Armut in Deutschland? Jeder 5. in Deutschland arm? Ach hör doch auf. Das muss man relativieren, einordnen, bewerten, noch mal rasch mit zentralafrikanischen Lebensverhältnissen abgleichen und darüber die Wurzel aus dem statistischen Median dreier Multimillionäre ziehen. Um rasch zu erkennen, dass es eine gefühlte Armut ist. Heute morgen hat's jedenfalls bei mir geläutet. Hartmann - darf ich mal rauf kommen?

Es ist wirklich nicht die betonte Höflichkeit, die erniedrigt. Irgendwann denke ich sogar, mein Gott, was für eine arme Sau, die Frau. Das kennt man ja von nahezu jeder Kasse in der Bank, beim Autovermietungsservice, im Discounter. Und wenn’s Heike von Kasse 4 eigentlich schon hochkommt – gleich sagt sie es: Zahlen sie bar oder mit Karte? Naja, gegen Monatsende mit Karte, da ist noch Dispoluft gegen 12 Prozent Armensteuer drin.

Eigentlich müsste man zurück fragen: schreiben sie gegen 3 Prozent an oder gehen wir zusammen Revolution machen. Oder gleich in den Puff? Fragt man aber nicht im reichen Land. Wär auch peinlich so mit all den anderen Kartenzahlern an der Kasse da im Rücken.

Aber Frau Hartmann fragt. Weil sie das Finanzamt schickt. Haben sie Wertgegenstände oder Ländereien. Nein sagt man. Sind sie krankenversichert? Nein, schon länger nicht mehr. Da schaut sie kurz so einen “Mutter-hat-gesagt-bezahl-immer-die-Krankenversicherung-Blick” und fragt: “Echt”?

Nein gelogen natürlich, ich hab den Lady-Porsche einfach nur zwei Straßen weiter geparkt. Und die Mutti unten im Keller, weil sie da mehr Rendite über die Lebensversicherung bringt, als wenn ich sie zu früh widerrechtlich (aber preiswert) im Bodensee verklappen geh.

Irgendwann hab auch ich eine Frage an Frau Hartmann. Seit wann machen sie diesen Job? Naja, noch nicht lang. “Aber ich muss sie das fragen: haben sie Bares im Haus?” Und da erkenn ich sie wieder. So wie sie “bar” ausspricht.

Heike und ich werden Freunde, das weiß ich. Denn was am Ende bleibt, sind noch immer die Sozialkontakte. Da fühlt man die Armut nicht so.

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