Von Carsten Schulze: Reihe der Schlaglichter - diesmal das Streichholz in der Dunkelkammer. Nach dem elften Beitrag der Schlaglichter-Reihe zum bevorstehendem neuen S-Bahnnetz muss ich doch meine Enttäuschung in Worte fassen. Gerade die Nummer 11 zum Thema Paunsdorf ergibt anstatt einer profunden Wertung der entstandenen Situation nur Wischiwaschi, welches Nicht-Eisenbahnern ohnehin spanisch vorkommt. Dabei zeigt dieser Aspekt exemplarisch, wie wichtig die Trennung von allgemeinen Problemen im Schienen-Nahverkehr und dem Projekt City-Tunnel (CTL) nebst netzergänzenden Maßnahmen ist. In Paunsdorf trifft beides aufeinander.

Der betriebliche Zweck des CTL ist die Bildung einer Stammstrecke, wo dichter Zugverkehr angeboten werden kann. Ähnlich wie bei der Straßenbahn, wo zentrumsnah mehrere Linien die gleiche Strecke befahren. Großer Vorteil: Für die kurzen Wege kann jede Bahn genutzt werden, Wartezeiten entfallen. Dieses Prinzip funktioniert weltweit erfolgreich.

So wie der CTL in Leipzig geografisch liegt (bahnhistorisch bedingt), sind südlich mehr Ziele für Linien offen als es (noch) Strecken gibt. So wurde in den 90ern im Kompromiss die Verbindung nach Osten über Stötteritz entlang des Güterrings entwickelt. Damit ab Paunsdorf wieder auf die Leipzig-Dresdner Eisenbahn eingeschwenkt werden kann, war eine eingleisige Brücke in Planung, die in Höhe Stünz den Güterring so verlässt, dass erst neben der Watzmannstraße die Güterstrecke Schönefeld-Engelsdorf unterquert und anschließend die Strecke Leipzig-Chemnitz überquert wird. Die steilen Rampen sind für die Triebwagen kein Problem, das Fahrgefühl ähnelt einer Achterbahn. Sei es drum, dieser Entwurf fiel den Kosten zum Opfer.

Warum war er wichtig: In Paunsdorf halten nach wie vor die Züge gen Grimma, die auch gern an das neue S-Bahnnetz angebunden werden wollen. Diese Züge sollen den Planungen zufolge wieder öfter alle 30 Minuten fahren, derzeit verkehren sie stündlich. Im Zusammenhang mit den CTL-S-Bahnen wäre ein Anschluss in Paunsdorf ideal. Stattdessen (ver)enden die S-Bahnen in Stötteritz.

Wo liegt darin das Problem? Das Fahrenlassen von Nahverkehrszügen kostet viel Geld. Die Hälfte davon geht für Schienenbenutzungsgebühr und Stationsbenutzungsgebühr wieder drauf. Über die andere Hälfte wird das Personal, die Fahrzeuge samt Unterhaltung und der Gewinn finanziert. Da Nahverkehr grundgesetzlich geregelt zur Daseinsfürsorge zählt, gibt der Bund (der als Eigentümer der DB Netz AG die eine Hälfte über die erwähnten Netz- und Stationsentgelte wieder einstreicht) viel Geld an die Länder weiter, welche dann regionalisiert entscheiden, wo wie oft Züge fahren. Das sind die Regionalisierungsmittel, etwas über 7 Mrd. Euro per anno. Sachsen gibt seinen Anteil daran an fünf Zweckverbände weiter und behält obendrein noch 25% der Summe zur Verwendung im Landeshaushalt ein. Dadurch ist das Geld knapp und reicht nicht, um “eben mal” Fahrleistungen der Züge zu erweitern.

Dieser Exkurs erklärt, warum die S-Bahnen vorerst nur bis Stötteritz fahren, lediglich alle 30 Minuten weiter nach Wurzen, und die fehlenden 3 km (um Anschluss an die Züge nach Grimma zu finden) wie Träume aus einer anderen Welt wirken. Klar, man kann gleich per S-Bahn weiter fahren, nach Engelsdorf, Borsdorf und, sobald elektrifiziert, nach Grimma. Doch das ist erst recht nicht mit den Geldern zu finanzieren, die Sachsen an den Zweckverband zur Bestellung der Leistungen weiter gibt.

Deshalb wäre die Zwischenendstelle in Paunsdorf und der Anschluss an die Dieselzüge ein idealer Kompromiss aus Angebotsqualität und Finanzierbarkeit. DIESER Aspekt ist wesentlich an dem Thema, nicht ob da bestehende oder alte Rangieranlagen der Billiglösung im Wege stehen. Die Abwägung dazu ist so komplex, dass sie gut und gern zwei, drei weitere Schlaglichter füllen würde.

Was ist nun das Ergebnis: Ob mit oder ohne Halt in Paunsdorf, Anschlüsse von Süden kommend an die Züge gen Grimma gibt es auch mit den zwei nach Wurzen durchfahrenden S-Bahnen nicht. Denn am Hauptbahnhof fahren laut bisheriger Planung beide Züge gleichzeitig los, nämlich zur Minute 15 (und bei Taktverdichtung der Dieselzüge auch zur Minute 45). Die Dieselzüge sind nach 6 Minuten in Paunsdorf, die S1 fährt durch den CTL nach Stötteritz, ist dort 12 Minutzen später, nach einer weiteren Minute in Anger-Crottendorf (neu, neben Ostfriedhof) und nach zwei weiteren Minuten in Paunsdorf, brauchen also 15 Minuten.

Warum ist dieser Anschluss überhaupt wichtig? Die Strecke von Borsdorf nach Grimma und weiter nach Döbeln bindet zahlreiche größere Städte im Muldental an, es besteht eine enge Verflechtung mit dem Stadtgebiet in Leipzig. Das besteht ja nicht nur aus dem Hbf, sondern wirkt flächendeckend. Die Fahrgäste der zum Hbf fahrenden Züge werden demnach ihren Weg irgendwohin ins Stadtgebiet fortsetzen müssen. Soll dies wettbewerbsfähig zum eigenen PKW gestaltet werden, kommt es gerade im östlichen Teil Leipzigs darauf an, direkte und schnelle Erreichbarkeit zu bieten.

Der “Umweg” der Züge von Wurzen aus ist demnach kein Nachteil, sondern aufgrund der vielen neuen Stationen und dem CTL der Vorteil, gleich in der Nähe zahlreicher wichtiger Ziele ankommen zu können. Diese Qualität mit einem Umstieg einmal quer über den Bahnsteig kann nun nicht mehr geboten werden. Das kostet tagtäglich viele Fahrgäste. Gewollter Sinn und Zweck der umfangreichen Investitionen war und ist jedoch, dass viele Fahrgäste mitfahren.

Für die nächsten Wochen wünsche ich mir mehr Tiefgründigkeit bei den Beiträgen. Dann haben auch alle Leser die Chance, zwischen dem eng beeinander liegenden Freud und Leid zu differenzieren.

Zum Teil 11 vom 24. Februar 2013 aus der City-Tunnel-Reihe auf L-IZ.de
Tunnelblick – Schlaglichter auf ein Milliarden-Projekt (11): Schöne Aussicht vom Westberg

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