Islamophobie und Islamfeindlichkeit sind nicht nur in West-, sondern auch in Osteuropa verbreitet, wo zum Teil nur sehr wenige Muslime leben und wo die Bevölkerung den Islam und Muslime oft nur aus den Medien kennt. Islamophobie ohne Muslime“ nennen das gleich mehrere der Forscher, die Beiträge geschrieben haben für eine soeben erschienene Sonderveröffentlichung des in Leipzig angesiedelten Leibniz-Wissenschaftscampus "Eastern Europe – Global Area" (EEGA).

„Unter dem Titel „Islamophobie in Osteuropa verstehen und erklären“ widmen sie sich dieser bislang wenig erforschten Thematik. „Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass Islamfeindlichkeit in Osteuropa zunimmt – und es Parallelen zu Westeuropa gibt“, sagt Dr. Alexander Yendell, Soziologe der Universität Leipzig und Herausgeber der online frei verfügbaren Publikation.

„Es wird immer wieder sichtbar, dass dort die Islamfeindlichkeit besonders hoch ist, wo kaum oder sogar gar keine Muslime leben. Das gilt ganz besonders stark für Osteuropa. Zudem ist erschreckend, zu beobachten, welche Ausmaße Islamfeindlichkeit annimmt. Beispielsweise tragen in Polen rechtskonservative Klerikale massiv zur Islamfeindlichkeit bei, und in Tschechien werden selbst in Schlagersongs Muslime abgewertet. Die angebliche Bedrohung durch den Islam ist in osteuropäischen Ländern zum Teil zum Wahlkampfthema geworden“, berichtet Alexander Yendell über die im Sonderheft beschriebenen Ergebnisse.

Die Muster der Islamfeindlichkeit auf individueller Ebene seien in Osteuropa allerdings nicht anders als in Westeuropa. „Das zeigen vor allem mein Leipziger Kollege Professor Gert Pickel und Cemal Öztürk von der Leuphana Universität Lüneburg in ihrem Beitrag. Insbesondere Bedrohungsgefühle, wenn Menschen sich materiell beziehungsweise ökonomisch und auch physisch durch Zuwanderer bedroht fühlen, stehen demnach in Zusammenhang mit der Abwertung von Muslimen“, erläutert Yendell.

Aber auch eine symbolische Bedrohung spiele eine Rolle, „wenn Menschen glauben, dass ihre Kultur durch Zuwanderung in Gefahr ist“. Darüber hinaus gehe es noch um „Ethnozentrismus“ bei Menschen, die meinen, „dass man nur richtig russisch, polnisch oder ungarisch sein kann, wenn man auch Vorfahren aus dem Land hat“.

„Der Forschungsbedarf zu dem Thema ist immens, und es ist wichtig, dass Forscher aus Ost und West gemeinsam daran arbeiten und voneinander lernen“, sagt Yendell, der in der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig tätig ist. „Vor allem im anglo-amerikanischen Raum gibt eine breite soziologische und sozialpsychologische Vorurteilsforschung, die aber nicht unbedingt über die Grenzen Nordamerikas und Westeuropas hinaus bekannt ist. Umgekehrt herrscht ein Defizit in Bezug auf die Forschungslage in Osteuropa.“

Die im Sonderheft versammelten Fallstudien und Analysen von Bevölkerungsumfragen gäben nun erste Einblicke in dieses wichtige Feld. Die Beiträge stammen von Soziologen, Politikwissenschaftlern und Anthropologen aus Tschechien, Polen, Deutschland, Österreich, Großbritannien und Kanada. Sie haben sich im November 2017 in Leipzig getroffen und ihre Tagungsbeiträge später in überarbeiteter Form zur Verfügung gestellt.

Möglich wurde dies durch eine Förderung im Rahmen des Leibniz-Wissenschaftscampus “Eastern Europe – Global Area” (EEGA), einem Verbundprojekt in der Wissenschaftsregion Leipzig-Halle-Jena unter Leitung des Leibniz-Instituts für Länderkunde und der Universität Leipzig.

Die Universität Leipzig ist eine von elf Hochschulen und Forschungsinstituten, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Aufbau eines „Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ beauftragt wurden. Die sächsische Hochschule bringt dabei ihr Forschungsprojekt „Populismus und die Dialektiken des Globalen“ ein. „Das Institut wird auch das Thema Islamfeindlichkeit im Blick haben“, sagt Alexander Yendell.

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