Ja, es ist gelebtes Jubiläum. Die „a cappella“-Konzertwoche war voll von meisterhaften, besonderen musikalischen Gästen. Und das Abschlusskonzert von „a cappella“ ist als Rundreise, Rückblick und Querschnitt einer solchen stets ein besonderer Abend. Aber das Abschlusskonzert des 20. „a cappella“-Festivals – das bezeichnenderweise auch 200. Konzert der Festivalgeschichte – war auf seine ganz eigene Weise ein wirklich außergewöhnliches.

Das Programm der Gastgeber amarcord braucht diesmal keine die Stilpalette komplettierende Farbe oder ein musikalisch neuer Clou sein. Nein, die Stückauswahl vierer amarcord selbst schlichtweg am Herzen liegender Lieder mit ihrer jeweiligen Bedeutung für das Ensemble und ihre Darbietung machen diesen Programmblock zu einem der schönsten, den die Festivalkreateure je gezeigt haben.

Der Große Saal des Gewandhauses liegt ganz im Dunkeln und still da, als aus den oberen Parkettreihen die ersten Töne des Abends und die Stimme von Tenor Wolfram Lattke erklingen. Stück für Stück kommen rundherum vier weitere Lichtpunkte und Stimmen dazu: Amarcord beginnen im Saal und im Publikum verteilt mit dem wunderbaren „In This Heart“ von Sinéad O’Connor. Welch Auftakt…

Die Sänger widmen das Lied ihren Familien, die das Festival „a cappella“ und die fünf einstigen Thomaner selbst seit Anfang an begleitet und unterstützt haben. Die Brücke zum Gewandhaus als wichtiger Partner von „a cappella“ seit nun schon langer Zeit schlägt daraufhin das Arrangement des Gewandhauschorleiters Gregor Meyer von „Swing Low, Sweet Chariot“.

Cole Porters „Let’s Do It (Let’s Fall in Love)“ widmen die amarcords wiederum einem möglichen Geburtstagskind im Publikum. Es findet sich auch eine Dame, auf die das zutrifft, und die – mit Luftschlangen, Sekt und einer verzierten Sitzgelegenheit nahe den fünf Sängern bedacht – dieses Ständchen samt „Rahmenprogramm“ wohl ebenso wenig erwartet hätte und vergessen wird wie das Publikum.

Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING
Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING

Zu guter Letzt setzen amarcord mit dem ghanaischen Lied „Da N‘ase“ und der dazugehörigen Ansage von Bass Holger Krause noch ein Statement dafür, in den aktuellen politisch aufgewühlten Zeiten Weis- und Klugheit zu bewahren, unser europäisches Leben nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Das „a cappella“-Publikum darf sich (diesmal dreistimmig) an „Da N‘ase“ beteiligen, was die Sache global und rund macht.

Nach dieser souverän moderierten und durchgeführten Abendeinleitung steht ein quasi historischer Special Guest auf dem Plan. Denn die Banchieri Singers aus Ungarn gehören zu jenen Ensembles, die einst zur allerersten „a cappella“-Ausgabe auftraten. Das Ensemble aus je drei Frauen und Männern zeigt sich mit zwei Shakespeare-Vertonungen, einer modernen Motette und einem Folksong-Medley aus seiner ungarischen Heimat.

Dabei repräsentieren die Stücke nicht nur europäische Verbindungen und die Musik zeitgenössischer Komponisten ihrer Heimat, sondern auch das grundsätzliche Repertoire der Gruppe. Denn die Kompositionen speisen sich auf interessante Weise gleichermaßen aus Alter Musik, Zeitgenössischem und jazzigen Anklängen. Die Banchieri Singers haben dabei eine ganz eigene Art, dynamisch zu arbeiten oder Pausen zu setzen. Schön, dass man sich dem im nächsten Jahr ausführlicher widmen kann. Da nämlich kommen die Ungarn für ein ganzes Konzert zurück zu „a cappella“. Sehr spannender Beitrag!

Die Aufgabe, die erste Konzerthälfte des Abends abzuschließen, gebührt im Anschluss daran den Gewinnern des diesjährigen Internationalen „a cappella“ Wettbewerbs Leipzig. Die German Gents aus Berlin haben dort mehr als großen Eindruck hinterlassen – sie bekamen nicht nur den „Leipzig a cappella Award“ für den 1. Platz, sondern auch den Publikumspreis und den Sonderpreis der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.

Jetzt dürfen sie auch noch im rundherum ausverkauften Großen Saal des Gewandhauses vor knapp 1.900 Zuhörern auftreten. Für vier Sänger mit einem Altersdurchschnitt von gerade 20 Jahren ein enormes und einmaliges Mitbringsel. Entsprechend ist den jungen Burschen bei ihrem Auftritt an diesem großen Abend eine gewisse Nervosität (verständlicherweise) anzumerken.

Aber nichtsdestotrotz: Mit romantischen Liedern, Palestrina- Polyphonie, Hindemith (!) und Barbershop zeigen sie, warum ihnen die Jury – ganz zu Recht – deie höchste Auszeichnung des Wettbewerbes verliehen hat. In diesem jungen Alter so ausdrucksstark, genau und hingebungsvoll zu singen, spricht für riesiges Potential in der A-cappella-Zukunft, verdient großen Respekt und ganz viel Jubel seitens des Publikums.

Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING
Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING

Drei Programmblöcke, drei auf ihre Weise besondere Ensembles. Und nach der Pause gleich so weiter: Das Festivalteam selbst geht zum Jubiläum auf die Bühne! Zusammen mit amarcord singt der „Praktikantenchor“ Johannes Brahms‘ „All meine Herzgedanken“, und da die Festivalväter logischerweise in den Reihen der Männer stehen, dürfen vor allem die Frauenstimmen stolz auf diese schöne Aufführung sein.

Es wird anschließend nicht minder stimmreich, denn die US-Amerikaner Chanticleer sind an der Reihe. Richard Strauss‘ zauberische Komposition „Traumlicht“ war bereits im Einzelkonzert des 12-köpfigen Ensembles ein wahrer Höhepunkt. Nun aber erlebt das Stück eine Aufführung mit einer ganz besonderen Kooperation: Chanticleer singen gemeinsam mit amarcord und mit ihrem ehemaligen (und wahrlich legendär anzuhörenden) Bass Eric Alatorre, der in der Jury des diesjährigen „a cappella“ Wettbewerbs saß.

Ganze 18 Männerstimmen erstrahlen dabei (in zum Teil wechselnden Formationen) – und das Ergebnis ist ein einzigartiger musikalischer Moment, mindestens für das Jahrzehnt. Den amarcords steht anschließend beseelte Freude ins Gesicht geschrieben.

Aber was soll man sagen… Chanticleer „solo“ treibt den Jubel in gar noch überschwänglichere Gefilde. Dieses Ensemble beherrscht wirklich jedes Genre und kombiniert sie in einer so hochklassigen Weise, wie man es sonst nur von den King’s Singers kennt. Ihre Trümpfe an diesem Abend sind zunächst ein ausschweifendes Stück ihres mexikanischen Barock- Repertoires (ein wahrhaft festliches Stimmenorchester!) und das ungarische Roma-Lied „Járbă, máré járbă“.

Und mit welcher Spritzigkeit und überragenden Qualität diese aktuellen Chanticleers singen…! Auch der „Creole Love Call“ à la Comedian Harmonists ist eine Freude beim Zuhören und Zusehen. Zu guter Letzt singt das Ensemble Queens „Somebody To Love“ – und mit Worten ist dieser fantastischen Umsetzung lauter toller Arrangement-Ideen nicht mehr Herr zu werden. Was man mit 12 Stimmen alles gesangstechnisch fabrizieren kann? Chanticleer sind die Referenz dafür. Aller Anzugetikette zum Trotz: Das war tierisch gut!

Wer die darauf noch folgenden(!) Swingles im Einzelkonzert erlebt hat, weiß, dass sie die Bach-A-ca-jazzy-sierungen der legendären Anfangstage heutzutage noch bringen und auch beherrschen. Aber er hat auch erkannt, dass diese aktuelle Formation ihren eigenen Weg geht und wohl noch weiter gehen wird. Heute lässt sie Bach in der Bachstadt Bach sein. Denn die sieben internationalen jungen Sänger wollen vor allem: Songs singen.

Und diese mit aller Kreativität und Kunst versehen, die in ihnen vorgeht. Dass sie das können, beweisen schon die ersten beiden Nummern vollends. Jede und jeder einzelne der sieben derzeitigen Swingles wäre als Stimme und Persönlichkeit eine Bereicherung für jede A-cappella-Gruppe des Planeten.

Zu ihrer mitreißenden Eigenkomposition „Burden“ darf das Publikum noch einmal dreistimmig mitsingen, und Mumford & Sons‘ „After The Storm“ mit seinem wahnsinnig intensiven Leadpart von Oliver Griffiths demonstriert noch einmal, was für hervorragende Interpreten die modernen Swingles sind. Danach kann man im Saal nicht einmal eine Stecknadel fallen hören.

Ein letztes Lied noch The Swingles, bevor sich alle Ensembles des Abends auf der Bühne sammeln – doch das letzte vokale Bonbon ist noch nicht gelutscht. In einem improvisierten Circle Songs bringt Swingles-Bariton Kevin Fox noch einmal alle anwesenden Künstler und das Publikum gemeinsam zum Singen. Er gibt jeder Stimmgruppe und den verschiedenen Platzbereichen des Saals melodische Patterns, wobei er sich in einem Anflug von Bobby McFerrin jeweils zu diesen hinimprovisiert.

Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING
Foto: Sören Wurch, DREIECK MARKETING

So singt zum Finale des „a cappella“-Jubiläums (mehr als dreistimmig!) der ganze Raum – ganz getreu des im Laufe der Woche aufgekommenen Mottos, dass Musik einfach Musik sei und man frei, jenseits der Grenzen singen sollte. Quod eram demonstrandum. Und seltsam doch, wie all das, der gesamte Abend, trotz aller erhebenden Momente so ganz unaufgeregt und mit einer innerlichen Ruhe von statten ging…

Ja, dieser Abend war besonders. Überraschend, kontinuierlich, außergewöhnlich gut und eine Verquickung von Talent und Musikalität, die so wohl nie wiederkommt. Angeführt und angeleitet haben das in superber Manier amarcord. Und in einem Jahr werden diese das 21. Festival „a cappella“ anleiten und mit dem 201.Konzert der Festivalgeschichte beginnen. Kaum zu glauben… Aber wahr.

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