Rajko Felgentreff war einer der ersten Montagsdemonstranten, die den neuen Ruf „Wir bleiben hier“ mitriefen. Die „Hierbleiber“ wurden neben den „Ausreisern“ nach der achtwöchigen Sommerpause zu einer neuen Kraft der Friedlichen Revolution in Leipzig. Stasi-Minister Erich Mielke glaubte vor dem 4. September 1989 noch, die Lage zu beherrschen. Die Forderungen nach Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde unter den Demonstranten aber immer größer – und immer mehr Menschen schlossen sich an.

Einer von ihnen war auch Udo Hartmann, der in der ersten Reihe mitdemonstrierte und eine Woche später verhaftet wurde. Anwesend ist auch Horst Hano, damaliger ARD-Korrespondent, der von den Geschehnissen Filmaufnahmen machte. Diese werden nach einem einführenden Vortrag gezeigt. Der Eintritt zur Veranstaltung im ehemaligen Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist frei.

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten.

Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.

Rückblick: Am 15. Januar 2019 befasste sich die Gesprächsreihe zu Beginn mit der ersten ungenehmigten Demonstration für demokratische Grundrechte am 15. Januar 1989 in Leipzig. An dieser hatten sich nach der Verteilung von über 4.000 Flugblättern etwa 500 Bürger beteiligt; 53 von ihnen sind festgenommen worden. Die nächste bedeutende öffentliche Protestaktion war am 13. März 1989, als mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße gingen und bei ihren Protesten lautstark riefen: „Wir wollen raus! Wir wollen raus!“

Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein. Die Situation wurde durch die gefälschte Kommunalwahl am 7. Mai 1989 verschärft. Zur Absicherung dieser „Schein-Wahl“ hatte die Stasi die Aktion „Symbol“ vorbereitet, doch Oppositionsgruppen hatten, so auch in Leipzig, eine Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung organisiert. Dadurch konnte der regelmäßige Wahlbetrug der SED erstmals nachgewiesen werden.

Rund vier Wochen später, am 4. Juni 1989, folgte dann eine Aktion des politischen Protests gegen die Umweltzerstörung in der DDR. Die Route des Pleißepilgerweges verlief entlang des wegen seiner starken Verschmutzung unterirdisch kanalisierten Flusses, der Pleiße. Für die Teilnehmer des Protestzuges war der Pleißepilgerweg „Geländer für gesellschaftliche Veränderungen“.

Eine Woche später wurde Leipzig erneut Zentrum der Opposition, als sich am 10. Juni 1989 Musiker aus der ganzen DDR zu einem verbotenen Straßenmusikfestival unter dem Motto „Für die Freiheit der Kunst“ trafen. Höhepunkt war dann der Kirchentag mit dem Statt-Kirchentag am 9. Juli 1989, an dem etwa 2500 Personen teilnahmen. In der Lukaskirche bei Pfarrer Christoph Wonneberger traf sich die Opposition aus der ganzen DDR und tauschte sich über die aktuelle Lage sowie über zukünftige Konzepte und Aktionen aus.

4. September 1989 – Erstes Friedensgebet und Montagsdemonstration nach der Sommerpause

Der Leiter der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, Manfred Hummitzsch, sagte am 31. August 1989 auf einer Dienstkonferenz bei Stasi-Minister Mielke: „Die Lage ist so, Genosse Minister, nachdem jetzt acht Wochen Pause war – und wir dort außer ein paar unbedeutenden Einzelbewegungen im Vorfeld der Kirche, die wir unter Kontrolle hatten – findet jetzt zur Messe am 4.9., 17.00 Uhr, das erste Mal wieder dieses operativ relevante ‘Friedensgebet’ statt.“ Noch tönte er siegessicher: „Die Lage wird kompliziert sein, aber ich denke, wir beherrschen sie.“

In dieser vermeintlichen Sommerpause hatte sich eine Verlagerung des Protestes hin zur „Abstimmung mit den Füßen“ vollzogen. Der am 2. Mai 1989 begonnene Abbau des ungarischen Grenzzaunes zu Österreich hatte in den folgenden Monaten eine ständig anwachsende Fluchtwelle von DDR-Bürgern über Ungarn in die Bundesrepublik ausgelöst. Auch die Zahl der Besetzer der Prager Botschaft der Bundesrepublik stieg ständig an.

Nach der Sommerpause kam es ab dem 4. September 1989 wieder regelmäßig im Anschluss an das Friedensgebet zu Demonstrationen und anderen Aktionen für die Genehmigung der ständigen Ausreise in die Bundesrepublik.

Am Montag während der Leipziger Herbstmesse fand auf dem Platz vor der Nikolaikirche auch eine Demonstration von Mitgliedern Leipziger Basisgruppen statt. Sie trugen große Transparente, auf denen unter anderem „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ zu lesen war. Nur wenige Sekunden nach dem Entrollen rissen junge Männer in Zivil die Plakate herunter. Darauf rief die Menge: „Stasi raus“. Diese Vorgänge wurden von den anwesenden westlichen Kameras gefilmt und in die ganze Welt übertragen.

Neu an diesem Abend war auch der Ruf der Demonstranten „Wir bleiben hier“. Die bis dahin bestehende Barriere zwischen den „Ausreisern“, die den Platz mit dem Satz „Wir wollen raus“ beherrscht hatten, und den „Hierbleibern“ war gebrochen. An den folgenden Montagen demonstrierten sie gemeinsam für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wenn auch mit unterschiedlichen Motivationen.

Am folgenden Montag, dem 11. September rächten sich Stasi und SED für die Fernsehbilder der Vorwoche und verhafteten nach dem Friedensgebet eine Reihe von Leipziger Bürgerrechtlern. Dies hatte nun allerdings DDR-weite Solidarisierungen zur Folge, die den Protest weiter mobilisierten.

Zeitzeugen erzählen

Bei der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag durch Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, beleuchtet. Im Anschluss kommen die Zeitzeugen Udo Hartmann, Rajko Felgentreff und Horst Hano unter der Moderation von Reinhard Bohse vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.

Sie berichten über die Stimmung auf der Demonstration am 4. September 1989. Udo Hartmann, der in der ersten Reihe mitdemonstrierte, wird auch seinen Mantel mitbringen, den er damals trug. Gezeigt werden auch zeitgenössische Filmaufnahmen von Horst Hano, der damals ARD-Korrespondent in Ost-Berlin war und über die Friedliche Revolution in der DDR berichtete. Darunter auch über jenen neuen Ruf „Wir bleiben hier“, den Rajko Felgentreff mit als einer der ersten gerufen hat.

Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Eintritt frei.

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