Die Ölindustrie hat das Potenzial von Filmen erkannt und seit Anfang des 20. Jahrhunderts versucht, die Gesellschaft mit eigenen Produktionen zu beeinflussen. Wie eng die Filmbranche in ihren Anfangsjahren mit verschiedenen Ölkonzernen verknüpft war, zeigt das neue Buch „Petrocinema“, herausgegeben von Forschenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universität Stockholm.

Die Beiträge geben einen Überblick über diese ambivalente Verbindung und zeigen, wie weit der Einfluss von Ölkonzernen im 20. Jahrhundert reichte. Das Buch erscheint am 25. Februar 2021 in gedruckter Form und ist bereits als E-Book verfügbar.

Ohne Erdöl kein Film: Zelluloid, aus dem etwa die frühen Filme der Firma Kodak bestehen, ist ein Nebenprodukt der Ölproduktion. Auch finanziell haben Firmen wie Standard Oil, Shell und BP dem 1910 noch jungen Medium mit Auftragsproduktionen auf die Sprünge geholfen. Zunächst waren solche Filme vor allem als Schulungs- und Weiterbildungsmaterial für die eigenen Mitarbeiter oder zur Dokumentation der Firmengeschichte gedacht.

Es dauerte aber nicht lange, bis ihr Potenzial erkannt wurde: 1923 erschien mit dem Film „The Story of Petroleum“ (Die Geschichte des Erdöls) der erste großangelegte Informationsfilm über die Erdölindustrie. „Filme wie dieser wurden massenhaft in Kinos, aber auch in Schulen und zu öffentlichen Anlässen aufgeführt“, sagt der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Patrick Vonderau von der MLU, der das neue Buch gemeinsam mit Prof. Dr. Marina Dahlquist von der Universität Stockholm herausgegeben hat.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ließen Konzerne wie Shell Filme in konzerneigenen Filmabteilungen produzieren, von kurzen Werbespots über Lehr- und Bildungs- oder Unterhaltungsfilme bis hin zu neutral gehaltenen Dokumentationen. Zentraler Inhalt war dabei immer wieder die Rolle des Erdöls im Modernisierungsprozess westlicher Gesellschaften: „Erdöl avancierte in vielen Ländern – auch in denen ohne eigene Ölquellen – zur Grundlage eines modernen Lebensstils. Plastikprodukte oder Medikamente, das Reisen mit dem Auto – all das ist nur mit Erdöl möglich. Verbunden wurden diese Vorstellungen mit einem Fortschrittsglauben, der wiederum nur durch Erdöl erreicht werden könne“, so Vonderau.

Firmen wie General Electric und Krupp unterhielten eigene Filmarchive, in denen diese Filme zum Beispiel von Schulen kostenlos ausgeliehen werden konnten. Schätzungen zufolge gibt es allein in den USA etwa 300.000 Filme der Ölindustrie. Trotzdem ist deren Medienproduktion bis heute laut Vonderau unerforscht.

Die einzelnen Buchbeiträge zeigen anhand von historischen Beispielen, auf welchen Ebenen die Ölindustrie versuchte, gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Sie widmen sich deshalb neben einzelnen Filmen und Firmen auch damals eigens gegründeten Institutionen wie dem „American Petroleum Institute“ und den historischen Versuchen ihrer Einflussnahme, darunter beispielsweise von Standard Oil auf Disney und die Hollywood-Studios der klassischen Ära.

Der Band ist ein erster Schritt in einem größeren, von Vonderau und Dahlquist geleiteten Drittmittelprojekt, das über die nächsten zwei Jahre die Verbindung der Film- mit der Ölindustrie erforschen wird.

Buch: Marina Dahlquist, Patrick Vonderau (Hg.): Petrocinema. Sponsored Film and the Oil Industry. London 2021, 172 S., 110,97 Euro, ISBN: 978-1501354137

https://www.bloomsbury.com/uk/petrocinema-9781501354144/

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