Ralf Kohl gehört zu den Umtriebigen unter den Leipzigern. Er nimmt gern an Bürgerforen teil und meldet sich auch gern zu Wort. Auch gern kritisch und eigensinnig. Auch als OB-Kandidat hat er sich schon versucht, auch wenn er die benötigte Anzahl an Unterschriften nicht zusammenbekam. Aber er weiß zumindest, was man so erlebt, wenn die Stadt Leipzig Bürgerbeteiligung veranstaltet. Und deswegen hat er mal nachgefragt zu einem Thema, das jetzt wieder aktuell wird.

Denn er ist misstrauisch. Immer dann, wenn die öffentliche Diskussion für einige heißgeliebte Projekte der Stadtverwaltung nicht so läuft, wie von den Planern gedacht, verschwindet das Projekt für eine Weile wieder in den Schubladen, wird im stillen Kämmerlein weitergearbeitet. Und dann, wenn alles sich wieder beruhigt hat, kommt man mit dem alten Senf und streicht ihn auf die abgekühlte Wurst.

So sieht es jedenfalls Ralf Kohl. Und er packte seinen Frust auch in die Einwohneranfrage, die er am 17. März stellte: “Bürgerinfoveranstaltungen werden als Feigenblatt für Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe seitens der Stadt und ihrem Chef verkauft. Auch die Stadträte glauben dieses Märchen. Zur Gestaltung des Leuschnerplatzes fand eine große Bürgerinfoveranstaltung im Rathaus statt. Nach ca. 1 1/2 bis 2 Stunden als sich der Saal schon langsam lichtete (auch städtische Angestellte gingen) durften sich die Bürger endlich zu Wort melden. Dabei waren Standpunkte und einleitende Worte nicht erwünscht! Vom Podium wurden kurze Fragen gewünscht. Eigene Denkansätze zum Thema waren unerwünscht! Dafür war keine Zeit mehr. Die Fragen wurden nur halb oder gar nicht beantwortet. Die gegebene Antwort MUSSTE der Bürger schlucken, Nachfragen waren nicht erwünscht bzw. nicht möglich, weil Fragen (Redebeiträge) gesammelt und dann im Paket beantwortet wurden.”

Sein Fazit: “DAS IST EIN MONOLOG UND KEIN DIALOG!!! – Eine Teilnahme von Bürgern an dem nach der Veranstaltung stattfindenden ‘Arbeitsladen’ (Workshop) war nicht vorgesehen. Auch nach direkter Nachfrage kam ein klares NEIN von Herrn zur Nedden aus dem Podium.

Mitten in der Weihnachtszeit (19. Dez.) fand eine zweite Bürgerinfoveranstaltung statt. Dabei ging es nur noch um die Auswertung des “Arbeitsladens”. Meinungen waren nur noch zu den vorliegenden Architektenvorschlägen gefragt. Eine Frage nach Bürgerbeteiligung oder Bürgerdialog auf Augenhöhe wurde als störend bzw. als Kritik aufgefasst. Ein Künstler, der ein fertiges Brunnenmodell mitgebracht hatte, bekam keine Möglichkeit, sein Modell vorzustellen. Am 05. März schrieb die LVZ: ‘Plan für Leuschnerplatz steht’.”

Seine Fragen beantwortete Baubürgermeister Martin zur Nedden am 17. April. Und die Antworten machen tatsächlich deutlich, was auch das Stadtforum immer wieder kritisierte: die Bürgerbeteiligung wird eher dirigiert als zugelassen und man vermengt zwei Projekte so miteinander, dass am Ende keiner mehr weiß, um welches es eigentlich geht. Nicht einmal der Baubürgermeister.

Gleich zu Beginn seiner Antwort an Ralf Kohl erklärt Martin zur Nedden ihm, dass es sich eigentlich um zwei paar Schuhe handelt: “Für den Wilhelm-Leuschner-Platz laufen zwei unterschiedliche Planungsprozesse parallel. Da ist zum einen das Bauleitplanverfahren zur Sicherung des neuen städtebaulichen Leitbildes für das Areal zwischen Peterssteinweg, Rossplatz, Grünewaldstraße und Windmühlenstrasse. Zum anderen geht es um die Gestaltfindung für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal. Da ich aufgrund der von Ihnen gestellten Anfrage schließe, dass es Ihnen um den Prozess zur Sicherung des neuen städtebaulichen Leitbildes geht, werde ich in meiner Antwort hauptsächlich hierauf eingehen.”Das Ergebnis: Es gab drei Bürgerforen, die sich mit der stadtplanerischen Gestaltung beschäftigten: am 16. März 2010 als Auftakt einer Werkstatt mit sechs Architektenteams, die ein durchaus heterogenes Ergebnis erbrachte (dazu gleich mehr), dann am 16. Dezember 2010 – jenes Forum also, aus dem Ralf Kohl so frustriert ging, in dem aber die Ergebnisse der März-Werkstatt als Entweder-Oder präsentiert wurden, ohne dass ersichtlich wurde, wer dieses Entweder-Oder festgelegt hatte, und am 4. Oktober 2012 zur Auslegung des B-Plan-Entwurfes, zu dem sich das Stadtforum Leipzig sehr kritisch äußerte.

Wie aber kam es zu dem seltsamen Entweder-Oder der Stadt, das dann in der parallel geführten Diskussion um das “Freiheits- und Einheitsdenkmal” gleich mal zur Grundlage der Diskussion wurde, als sei das alles schon entschieden, auch wenn das Protokoll vom 8. Oktober 2012 nur von einem “zu qualifizierenden Gerüst” in Bezug auf den B-Plan spricht? Nur zur Erinnerung: Zu diesem Zeitpunkt war der Wettbewerb um das Denkmal schon gelaufen und dessen Grundlage war eine völlig undefinierte Platzfläche gewesen – eine Definition, an der sämtliche Wettbewerbsteilnehmer mit Pauken und Trompeten scheiterten.

Aus der Werkstatt im März 2010 waren zumindest einige noch ungelöste Themen übrig geblieben. Martin zur Nedden zählt sie auf: “Allerdings ist deutlich geworden, dass das historische Oval in gewisser Weise mit den absehbaren neuen Konturen kollidiert; die Prominenz der Stadtbibliothek am Platz und am Ring hoch geschätzt wird; die Etablierung einer Markthalle am historischen Standort einen räumlichen Bezug zum Platz nahe legt; die räumliche Konfiguration des Platzes auf den Erhalt, den Denkmalstatus und die avisierte kulturelle Nutzung des Bowlingtreffs reagieren muss; die Lokalisierung des in der Diskussion befindlichen Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmals ggf. mit der räumlichen Ausformulierung und Gestaltung des Platzes korrespondieren muss.”

Und genau das ist die Frage nach der Henne und dem Ei: Formuliert das Denkmal den Platz – wie es OBM Burkhard Jung im Prozess des Denkmalwettbewerbs nie müde wurde zu erklären? Oder formuliert der Platz die Rahmenbedingungen für das Denkmal? Und man kann eigentlich darauf wetten, dass das Thema auch in der Werkstatt so diskutiert wurde: Erst braucht es einen klar definierten Platz – dann haben die Wettbewerbsteilnehmer die Chance, ihr Denkmal in dessen Konturen zu entwickeln.

Die Stadt las sich die formulierten Fragen aus der Werkstatt aber dann so zurecht, wie Martin zur Nedden es formuliert: “Deshalb spricht in Anknüpfung an die Verständigung im Bürgerforum viel für die Variante B – ‘Großer Platz’. Am 18.05.2011 hat die Ratsversammlung den Beschluss gefasst, diese Variante der weiteren Bauleitplanung zugrunde zu legen.”

Im Protokoll zum 16. Oktober 2010 heißt es aber nicht nur, dass die Meinung auf dem Bürgerforum durchaus zweigeteilt war. Etwa: “Die Wiederherstellung des historischen Ovals findet ebenso Fürsprecher, wie die Modifikation dieses Platzbereiches.” Die Teilnehmer des Forums konnten sich also durchaus auch eine andere Platzgestaltung als die des historischen Ovals vorstellen. Eine Abstimmung zu “Großer Platz” vs. “Oval” oder “Modifizierter Platz” fand aber laut Protokoll nicht statt. Man nahm einfach die positiven Stimmen zu einem “großen Platz” als Zustimmung und legte das dann den Stadträten zur Bejahung vor. Aus dem Entweder-Oder war also kurzerhand ein Oder-Ja oder Oder-Nein geworden, ohne dass an irgendeiner Stelle sichtbar wurde, wer das eigentlich entschieden hat.

Im Protokoll vom 16. Oktober 2010 steht aber auch noch etwas anderes: “Sollte sich in der weiteren Vertiefung die große Platzkonfiguration als schwierig erweisen – z. B. bezüglich der Ausbildung eines lebendigen Stadtraumes aufgrund der Größe der Fläche – so könnte auch auf die Variante A – Das modifizierte Platzoval – zurückgegriffen werden.”

Den Eindruck, dass die Bürgerbeteiligung der Stadt Leipzig ein “Monolog ist und kein Dialog” konnte die Antwort des Baubürgermeisters jedenfalls nicht zerstreuen.

Die Antwort von Martin zur Nedden an Ralf Kohl: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/EE76EC52ECA10DF5C1257B5000471455/$FILE/V-ef-226-antwort.pdf

Protokoll des Bürgerforums am 16. Oktober 2010: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/EE76EC52ECA10DF5C1257B5000471455/$FILE/V-ef-226-anlage-2.pdf

Protokoll des Bürgerforums vom 4. Oktober 2012: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/EE76EC52ECA10DF5C1257B5000471455/$FILE/V-ef-226-anlage-3.pdf

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