Es war das Grün im Kästchen, das Leipzigs Statistiker munter werden ließ. 2011 tauchte es ganz zart erstmals auf, 2012 waren zum ersten Mal vier von sechs Kästchen grün. Grün steht für Bevölkerungswachstum, Gelb für Stagnation. Rot für Verlust. Ein einziger Bezirk von Grünau war 2012 noch knallrot: Schönau. Worüber sich dann die Statistiker freilich noch einmal wunderten.

Denn Schönau ist nun ausgerechnet jener Grünauer Ortsteil, in dem die Bautätigkeit am regsten ist, wo im Schönauer Viertel sogar ein ganzer neuer Wohnbezirk entstand. Aber halt nicht in der berühmten Grünauer Plattenbauweise wie seit 1976 – sondern im Kleinformat der Einfamilienhäuser. Das korrespondiert mit der gesamten Leipziger Bautätigkeit seit ungefähr 15 Jahren: Wenn überhaupt gebaut wurde, dann im Segment der Ein- und Zweifamilienhäuser. Im Mehrfamilienwohnungsbau ist die Investitionstätigkeit fast erloschen. Dazu ist der Leerstand in Leipzig noch zu hoch. Gewesen, darf man wohl an der Stelle sagen. Denn die steigenden Mieten in zentralen Ortslagen sprechen eine andere Sprache: Hier ist der Wohnungsleerstand unter 5 Prozent gerutscht.

So hat es übrigens auch der “Zensus 2011” belegt: Ob Gohlis-Süd, Waldstraßenviertel, Südvorstadt, Schleußig oder Connewitz: Die Werte liegen irgendwo zwischen 5 und 10 Prozent. Aber nur, weil auch der ganze Bestand an unsanierten Gebäuden mitgezählt wurde. Diese Wohnungen stehen dem Wohnungsmarkt eigentlich nicht zur Verfügung. Aber sie sind da. Und je besser der schon sanierte Wohnungsbestand vermietet ist, umso mehr lohnt es sich für alte oder neue Eigentümer, nun auch an einstmals problematischen Gebäuden Gerüste zu setzen. Zu erleben in der Südvorstadt genauso wie in Gohlis-Süd. Geld bewegt die Welt.

333.233 Wohnungen ermittelte der “Zensus 2011” übrigens in Leipzig. Eine Zahl übrigens, die recht deutlich nach oben abwich von der bislang benutzten Zahl 316.643. Was unter anderem damit zu tun hat, dass der Zensus auch viele Wohnungen in Gebäuden erfasste, die nicht als (reine) Wohngebäude galten, darunter auch viele Wohnungen, die gleichzeitig zu anderen Zwecken genutzt werden. Entsprechend deutlich tat sich dann auch die erfassbare Lücke der leer stehenden Wohnungen auf. 38.490 stand dann im Mai 2013 bei der Veröffentlichung der Zensus-Ergebnisse da. Macht 12,1 Prozent aller reinen Wohnungen.

Das war 2011 durchaus noch genug, dass es auf dem Leipziger Wohnungsmarkt zu keiner Klemme kam. Aber die Leerstands-Karte, die Peter Dütthorn seinem Beitrag zum “Zensus 2011” im neuen Quartalsbericht beigegeben hat, zeigt so ungefähr, dass es eben kein “gleichmäßiges Rauschen” über das ganze Stadtgebiet ist, sondern eben gerade die bevorzugten Stadtteile schon dicht dran sind an der Schwelle von 5 Prozent, bei der es langsam eng wird mit dem bei den Leipzigern so beliebten Umziehen.

Grünau-Siedlung fällt dabei sogar in die Kategorie “weniger als 5 Prozent Leerstand”. Aber als Eigenheimsiedlung ist sie natürlich auch in Grünau die Ausnahme. Ansonsten gehört Grünau nach wie vor zu den Leipziger Stadtteilen mit überdurchschnittlich hohen Leerstandsquoten. Schönau, Grünau-Mitte und Lausen-Grünau fallen in die Kategorie 15 bis 20 Prozent Leerstand, in Grünau-Nord sind es sogar über 20 Prozent. Und trotzdem warnen Fachleute vor weiterem Abriss in Grünau. Und Leipzigs Statistiker fragen aus gutem Grund “Trendwende in Grünau?”

Denn 2012 haben erstmals Grünau-Mitte, Grünau-Siedlung, Lausen-Grünau und Grünau-Nord wieder Bevölkerungszuwächse verzeichnet. Nicht üppig – sie haben die Bevölkerungsverluste in Grünau-Ost oder in Schönau nicht auffangen können. Insgesamt verlor Grünau nur noch 55 Einwohner. Was natürlich auffällt, denn die Plattensiedlung, die 1991 noch 81.545 Einwohner hatte, hat in den folgenden 20 Jahren jedes Jahr Einwohnerverluste im Tausenderbereich gehabt. Bis 2012 fiel die Einwohnerzahl auf 46.871.Grünau war folglich das Stadtgebiet mit den meisten “Wohnungsrückbauten”. Und mit einem für Leipzig entsprechend niedrigen Mietniveau. Während die Durchschnittsnettomiete in Leipzig in den letzten Jahren schon bei 5 Euro pro Quadratmeter lag, waren es in Grünau eher 4 Euro. Bis ungefähr 2010. Auch Vermieter merken, wenn sich die Lage ändert und die Nachfrage wieder zunimmt. 20 Jahre lang galt “die Platte” in Leipzig nicht mehr als attraktives Wohnambiente. Ausnahme: Sanierte Plattenbauten im Stadtzentrum.

Grünau litt immer auch darunter, dass es eigentlich ein peripherer Randbezirk war, zwar mit Straßenbahn und S-Bahn erschlossen – trotzdem waren die Wege ins Stadtinnere lang. Es waren vor allem die jungen und erwerbstätigen Bewohner, die als erste wegzogen. Geblieben sind die Älteren, die die Nähe zum Stadtzentrum nicht vermissten, dafür die ruhige Wohnlage zu schätzen wissen. Auf Seite 18 im Quartalsbericht sieht man dann auch, welche wichtige Rolle die langjährigen Bewohner für Grünau spielen. Fast ein Drittel der Bewohner von Grünau-Ost leben schon 25 Jahre und länger in ihrem Quartier. Viele leben augenscheinlich seit dem Erstbezug in ihrer Wohnung.

Grünau-Ost ragt selbst für Grünauer Verhältnisse heraus, weil sich hier die Entwicklung augenscheinlich früher stabilisierte als in den anderen Grünauer Wohnblöcken, wo auch vor fünf Jahren noch heftig über Abriss und Umbau diskutiert wurde. Dreistellige Millionensummen sind in das Sanierungsgebiet geflossen, um das zu erreichen, was jetzt 2010/ 2011 wohl tatsächlich begonnen hat. Aber die schlichte Wahrheit ist wohl auch: Hätte Leipzig nicht das exorbitante Bevölkerungswachstum der letzten drei Jahre erlebt, wären auch alle Aufwertungsmaßnahmen in Grünau für die Katz gewesen. Es wären schlicht keine jungen Familien da gewesen, die nun auch Interesse an bezahlbarem Wohnraum in Grünau finden.

Denn die Stabilität, wie sie etwa in Grünau-Ost sichtbar ist, resultiert vor allem aus der Wohntreue der alten Mieter: Man fühlt sich wohl, ist mit Wohnung und Umgebung zufrieden und denkt gar nicht daran, in die quirlige Innenstadt zu ziehen. Da Ergebnis: In sämtlichen Grünauer Teilen ist das Durchschnittsalter deutlich höher als der Leipzig-Durchschnitt von 43,6 Jahren. Grünau insgesamt: 49,5 Jahre.

In Grünau-Siedlung sind es sogar 52,1 Jahre, in Grünau-Ost sogar 55,3 Jahre. Grünau-Ost fällt dann auch mit der Ausnahme-Altenquote von 73,2 auf. Auf 26,8 Bewohner zwischen 15 und 65 Jahren kommen 73,4 im Alter über 65 Jahre. Der Leipziger Wert liegt nur bei 33,1.

Beim Einkommen liegen zumindest drei Grünauer Ortsteile auf bzw. über dem Leipziger Einkommensniveau: Schönau, Grünau-Ost und Grünau-Siedlung. Drei aber haben nach wie vor recht deutliche soziale Probleme und entsprechend niedrige Einkommen etwa 100 Euro unterm Leipziger Durchschnitt: Lausen-Grünau, Grünau-Mitte und Grünau-Nord. Sie fallen dann auch mit entsprechend hohen Quoten an Arbeitslosen und SGB-II-Empfängern auf. In Grünau-Mitte und Grünau-Nord liegt die SGB-II-Quote jeweils über 30 Prozent.

Man sieht also, wie differenziert der ganze Stadtbezirk mittlerweile ist und dass die Stadt durchaus noch zu tun hat, hier eine soziale Segregation zu verhindern. Denn der Trend zur Festigung der “Vererbung von Armut” ist unübersehbar. Zwar trifft auf 26,9 Prozent aller Leipziger Kinder zu, dass sie wirklich arm sind und auf die Sozialgelder des Jobcenters angewiesen sind. Aber (bis auf Grünau-Siedlung) liegen die Grünauer Sozialgeld-Quoten alle deutlich über 30 Prozent, in Grünau-Mitte sogar bei 58 Prozent.

Entsprechend niedrig sind dann im Spiegelbild die Erwerbsquoten (3 bis 8 Prozent unterm Leipziger Durchschnitt) und die Selbstständigenquoten (5 Prozent unterm Leipziger Durchschnitt).

Quo vadis also? – Alles sieht danach aus, dass der Bevölkerungsverlust in den Grünauer Ortsteilen gestoppt ist. Mit den anderen Stadtteilen Leipzigs hat Grünau mittlerweile einen regen Wanderungsaustausch. Den Leipzigs Statistiker zwar nur mit reinen Zahlen untersetzen – aber die Wechselbeziehungen deuten eben doch darauf hin, dass etliche Grünauer, die sich einen entsprechenden Standard erarbeitet haben, in die deutlich teureren innerstädtischen Ortsteile umziehen, während Grünau insbesondere aus Lindenau, Klein- und Großzschocher Zuzüge erhält. Und natürlich aus den angrenzenden Landkreisen.

Augenscheinlich hat selbst Grünau noch mehr funktionierende Infrastrukturen als der ländliche Raum jenseits der Stadtgrenzen. Stadtluft macht – auf völlig neue Art – wieder frei. Aber wer erklärt sächsischen Politikern einmal die Sache mit den Lebensbedürfnissen?

Das mit der Mobilität haben sie ja alle verstanden. Oberflächlich zumindest, auch wenn die Folgen dann ganz, ganz andere sind als die erwarteten. Zur Freude der Drei Affen.

Aber dazu morgen mehr an dieser Stelle.

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