Irgendjemand verkündete jüngst, der Neubau des Leipziger Stadtarchivs würde ein Opfer der notwendigen Kürzungen im Haushalt 2014. Aber das würde unterstellen, der Haushalt 2014 wäre eine Überraschung und die Verwaltungsspitze hätte nicht erwartet, dass 2014 auf einmal ein 40- oder 90-Millionen-Euro-Loch aufklaffen würde. Hat sie aber doch. Schon 2012 wurde der Neubau des Stadtarchivs von der Umsetzungsliste gestrichen. Nur in den Fachausschüssen glaubte man wohl noch an ein Wunder.

Schon 2009 war die Verwaltung zu dem Schluss gekommen, dass eine Mietvariante damals die wirtschaftlichere Variante war. Das ging so als Vorlage auch in den Fachausschuss Allgemeine Verwaltung und den Finanz- und Grundstücksverkehrsausschuss. Doch dort kam man zu der Meinung, dass eine weitere Einmietung in ein Mietobjekt nicht erfolgen solle. “Die Verwaltung wurde beauftragt, einen Neubau auf einem städtischen Grundstück vorzubereiten und zu realisieren. Parallel sollte noch einmal der Umbau eines ungenutzten städtischen Bestandsgebäudes geprüft werden”, heißt es jetzt in der Vorlage des Verwaltungsdezernats, die in diesem Monat auch wieder in den Ausschüssen liegt. Die simple Aussage: Auf Jahre hinaus hat Leipzig kein Geld, um aus eigener Kraft ein neues Stadtarchiv zu bauen. An der Mietvariante geht kein Weg vorbei.

2011 kam zwar ein Planungs- und Finanzierungsbeschluss für den Neubau des Stadtarchivs auf einem städtischen Grundstück zustande. Geprüft worden waren die städtischen Grundstücke Telemannstraße 1-7, Barnet-Licht-Platz und Semmelweisstraße. Auch den Wilhelm-Leuschner-Platz prüfte man noch, einigte sich dann auf den Barnet-Licht-Platz, der heute eigentlich nur eine kleine Parkfläche am Rand der Prager Straße ist, hübsch vis-à-vis vom Technischen Rathaus.

Dumm nur, dass das Investitionsgeld dringend für andere Projekte gebraucht wird – neue Schulen, Kindertagesstätten, Straßen- und Brückenerneuerung. 2012 machte sich Leipzigs Verwaltung ernsthaft Gedanken darüber, wie der drohende Mangel an Schulgebäuden aufgefangen werden könnte. Unter anderem in einer Klausurtagung des Oberbürgermeisters am 14. Mai 2012, wo der Entwurf des Investitionsplanes 2013 ff. beraten wurde. Das war der Tag, als die Neubaupläne für das Stadtarchiv aus der Liste flogen. “Eine Einordnung des Neubaus eines Stadtarchivs in die mittelfristige Finanzplanung” war nicht möglich. Es blieb nur noch die Mietvariante.
Dumm nur, dass die Mietobjekte, die man 2008 und 2009 geprüft hatte, nun nicht mehr zur Verfügung standen. Sonst wäre das Stadtarchiv vielleicht in die Nonnenstraße, die Salomonstraße oder gar in die Spinnereistraße gezogen. Nur so zur schönen Erinnerung: Salomonstraße wäre das ehemalige Gebäude von Interdruck gewesen, wo jetzt präsentable Wohnungen entstehen. 2010 und 2011 hatte man in aller Verzweiflung sogar geprüft, ob man das Archiv im Haus des Buches oder im ehemaligen Landratsamt am Tröndlinring unterbringen könnte – aber das Haus des Buches ist zu 90 Prozent vermietet, das alte Landratsamt ist zu klein. Denn der Hauptgrund, warum das Stadtarchiv aus dem jetzigen Mietobjekt in der Torgauer Straße ausziehen muss, ist ja, dass die verfügbare Fläche mit 5.517 Quadratmetern jetzt schon zu klein ist. Es platzt aus allen Nähten. Es gibt zwar von 2011 Pläne zur Erweiterung auf 6.627 Quadratmeter. Aber auch das könnte schon mittelfristig zu wenig sein.

Aus der Vorlage: “Die Überbelegung der Magazine wird in den nächsten Jahren zu einer Beeinträchtigung des Erhaltungszustandes der Archivalien führen. Die Erschließung der Archivalien für die öffentliche Nutzung ist unter solchen Lagerungsbedingungen nahezu unmöglich, da ein Zugriff erst nach langen Umlagerungsarbeiten erfolgen kann.”

Und das nächste Problem: Indem man den Umzug in ein Mietobjekt so lange verzögert hat, ist man nun mit einem gestiegenen Mietpreisniveau bei Büroflächen konfrontiert. Und es fehlen natürlich Alternativen. Und zwar nicht nur die 2008 bis 2011 geprüften, sondern auch weitere, die vielleicht 2011 noch zur Verfügung gestanden hätten – wie das ehemalige LKG-Gebäude, in dem jetzt ebenfalls neue Wohnungen entstehen.

Das einzige derzeit verfügbare Alternativ-Angebot hat die Stadtbau AG vorgelegt: Albert-Schweitzer-Straße 10 in Reudnitz. Das ist die ehemalige Leipziger Großbuchbinderei. Sie müsste zwar auch für die Archivnutzung noch hergerichtet werden, bietet aber schon im ersten Nutzungsschritt 7.400 Quadratmeter Fläche, weitere 1.400 Quadratmeter, die das Stadtarchiv an 2030 zusätzlich braucht, könnten problemlos zugebaut werden. Der Mietvertrag soll auf 25 Jahre abgeschlossen werden.

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Nur die Sache mit der Miete bleibt. In der Torgauer Straße zahlt die Stadt derzeit 7,60 Euro je Quadratmeter, was in der Summe 503.000 Euro Jahresmiete ausmacht. In der Albert-Schweitzer-Straße kämen im Jahr 795.000 Euro zusammen. Aber das Gebäude ist augenscheinlich ganz gut für die künftige Nutzung geeignet und auch der gewohnte Archiv-Betrieb könnte ohne Probleme darin ablaufen. Etliche der alten Einrichtungsgegenstände – wie zum Beispiel die Regalsysteme – kann man mitnehmen.

Tatsächlich hatte das Stadtarchiv schon 2005 seine Kapazitätsgrenze erreicht. Was schlicht an den gewaltigen Mengen von Archivgut liegt, die die Leipziger Stadtverwaltung jedes Jahr produziert. Gegenwärtig umfassen die Bestände des Stadtarchivs ca. 12.000 laufende Meter (lfm) Geschäftsbücher und Akten, ca. 4.000 Urkunden, meist aus Pergament, ca. 300.000 historische Fotos ab 1867, darunter ca. 10.000 Glasnegative und ca. 85.000 Karten und Pläne. Der Überlieferungszeitraum reicht vom 11. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Jedes Jahr kommen 400 bis 600 laufende Meter hinzu.

Alternative wäre auch jetzt noch ein Umbau und eine Erweiterung des Gebäudes in der Torgauer Straße 74. Aber da wären dann auch auf längere Sicht die Kapazitätsgrenzen erreicht. Und so schlägt das Verwaltungsdezernat jetzt vor, den Planungs- und Finanzierungsbeschluss für den Barnet-Licht-Platz aufzuheben und dafür den Oberbürgermeister zu beauftragen, “einen Mietvertrag mit der Stadtbau-AG für die Unterbringung des Stadtarchives in der Albert-Schweitzer-Straße 10 zu verhandeln.”

Zur Vorlage:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/333DD95F45C657EAC1257BE100238F9A/$FILE/V-ds-3269-text.pdf

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