Am Freitag, 31. Januar, war es soweit: Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) stellte das Maßnahmenpaket zum Leipziger Hochwasserschutz vor. Eigentlich liegt es schon seit Dezember vor. Aber die Leipziger beschäftigen wird es noch mindestens bis 2025/2027. Und Geld wird es natürlich auch kosten: mindestens 48 Millionen Euro.

Mindestens deshalb, weil mit dieser Summe von 48,12 Millionen natürlich nur die Projekte zusammengefasst sind, die in direkter Leipziger Regie gebaut werden. Was trotzdem erstmals eine Hausnummer ist, seit die Stadt Leipzig 1990 damit begann, sich überhaupt erst einmal wieder mit den innerstädtischen Gewässern zu beschäftigen.

Denn die waren seit den 1960er Jahren fast völlig aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verschwunden – systematisch verrohrt und zugeschüttet, nachdem die stinkenden Abwässer aus Kohlebergbau und Chemie im Leipziger Südraum die Mühlgräben in schaumbekrönte Kloaken verwandelt hatten. 1988 gehörte der Pleißegedenkmarsch zu jenen Ereignissen im Vorfeld der Friedlichen Revolution, die nicht nur die Umweltpolitik der DDR-Regierung kritisierten, sondern auch die Folgen im innerstädtischen Raum. Nach 1990 war es dann der Verein Neue Ufer, der beharrlich darum kämpfte, dass die alten Mühlgräben wieder geöffnet werden.

Anfangs gegen die üblichen Windmühlen. Aber mit dem damaligen Baubürgermeister Niels Gormsen bekam der Verein bald Schützenhilfe, denn die geöffneten Gewässer zeigten auf einmal einen ganz neuen Vorteil: Sie schufen neue Wohnqualitäten im innerstädtischen Raum. Und tragen bis heute zur steigenden Beliebtheit Leipzigs als Wohnort bei. Aber das änderte leider nichts daran, dass die Stadt immer wieder Probleme mit dem Akquirieren von Fördermitteln bekam. Während der Karl-Heine-Kanal im Leipziger Westen noch mit einer 100-prozentigen Förderung des Bundes in Höhe von 25 Millionen Euro revitalisiert werden konnte und dem Industriequartier ein völlig neues Gesicht gab, war man bei der Öffnung von Pleiße- und Elstermühlgraben immer wieder auf Gelder von privaten Spendern oder Stiftungen angewiesen. Bund oder Land stiegen nur noch mit geringen Förderanteilen ein.

Jedes neue Grabenstück wurde zu einem zähen Ringen um Gelder.

Seit Juni 2013 ist das nun wieder ein bisschen anders. Auch der “Kirchbach-Bericht” an die sächsische Landesregierung benennt das Thema: Die innerstädtischen Gewässer in der Hoheit der Kommunen sind ein wichtiger Teil des Hochwasserschutzes. Wenn der Freistaat die Kommunen bei der Sanierung dieses Gewässersystems nicht besser unterstützt, werden die es nicht schaffen, ihre Städte und Gemeinden für kommende Hochwasserereignisse fit zu machen.
Die letzten beiden Hochwasserereignisse, die Leipzig betrafen, im Januar 2011 und Juni 2013 haben nicht nur an der Weißen Elster für hohes Wasser gesorgt, sondern auch in scheinbar völlig abgelegenen Stadtgebieten die Pegel steigen lassen – an der Parthe, am Lösegraben, am Pösgraben, alles im Leipziger Osten und Nordosten. “Zum Glück haben wir da seit 2011 einiges anpacken können”, sagt Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, “so dass es im Juni 2013 zu keinen dramatischen Situationen kam.”

Aber 2013 hat dem Amt auch gezeigt, dass man die Vorsorge für Starkregenereignisse auch in den sonst kaum wahrgenommenen Einzugsgebieten etwa der nördlichen Rietzschke, aber erst recht in den Mühlgräben verbessern muss.

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Auch deshalb werden die 48 Millionen Euro wohl nicht der letzte Wert sein. Denn im Einzugsbereich der nördlichen Rietzschke will die Stadt 2014 erst einmal eine Gesamtanalyse vornehmen, wie hier der Hochwasserschutz am besten organisiert werden kann. Erst danach könne man, so Kunath, abschätzen, welche Maßnahmen dort überhaupt am sinnvollsten sind.

Warum hat Bürgermeister Heiko Rosenthal jetzt aber erst das “Mittelfristige Programm zur Finanzierung von Hochwasserschutz- und ausgewählten Gewässerentwicklungsmaßnahmen für Gewässer II. Ordnung in der Stadt Leipzig”, wie das Papier mit seinem ganzen langen Namen heißt, vorgelegt? – Unübersehbar spielt der Juni 2013 da eine Rolle. Die Zeit des gemächlichen Grabenöffnens ist vorbei. 2002 und 2013 haben nun wirklich deutlich genug gezeigt, dass Sachsens Städte gegen Extremwasserereignisse besser geschützt werden müssen. Und sie haben gezeigt, wie wichtig die innerstädtischen Wasseradern sind.

Die natürlich nicht funktionieren, wenn sie verrohrt sind. “Bei Überlagerung der Hochwasserwelle in den Flüssen I. Ordnung mit dem Abfluss der Niederschläge aus dem Stadtgebiet über die Gewässer II. Ordnung (kommunale Gewässer) kann es zu Überflutungen kommen”, heißt es in Rosenthals Vorlage. Elster- und Pleißemühlgraben werden also dringend gebraucht als Wasserableiter aus der Innenstadt.

Natürlich ist Rosenthals Programm nur die Hälfte dessen, was passieren muss. Denn nicht alle Gewässer unterstehen in ihrer Unterhaltung der Stadt. Gewässer der 1. Ordnung unterliegen allesamt der Hoheit des Freistaats und damit der zuständigen Landestalsperrenverwaltung. Dazu gehören in Leipzig die Weiße Elster, die Pleiße, die Parthe, die Nahle und die Luppe. Hier gilt das seit 2004 erlassene Hochwasserschutzkonzept des Freistaates, das auch bestimmt, dass Leipzig – genauso wie die Landeshauptstadt Dresden – prinzipiell gegen Hochwasser der Klasse HQ 150 zu wappnen sind. Das HQ 150 bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit eines Hochwassers dieser Größenklasse aller 150 Jahre.

Dass solche Hochwasser wie 2002 und 2013 nicht mehr aller 150 Jahre, sondern in Zukunft wohl in dichterer Folge kommen, hat mit dem weltweiten Klimawandel zu tun, der auch um Sachsen keinen Bogen macht. Schon die bisher erreichte durchschnittliche Temperaturerhöhung der Erdatmosphäre hat die Zahl der Extremwetterereignisse auch in Sachsen steigen lassen. Die Starkregenfälle von 2002 und 2013 gehören dazu. Entsprechend rigoros baut die Landestalsperrenverwaltung die Deiche und Regelbauwerke im Raum Leipzig aus. Übrigens mit deutlicher Unterstützung der Stadtverwaltung. Auch OBM Burkhard Jung will auf keinen Fall riskieren, dass Hochwasser der Klassen HQ 100 und HQ 150 wichtige Sachwerte in Leipzig vernichten oder gar Menschenleben gefährden.

Aber mit den bestehenden Gewässern 1. Ordnung ist es nicht getan.

Auch die Gewässer 2. Ordnung gehören in die Hochwasserschutzkonzeption. In der von 2004 waren sie noch nicht enthalten. “Dem Freistaat erschienen die Pläne für den Gewässerknoten weder ökonomisch noch ökologisch nachhaltig”, erzählt Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer. “Außerdem waren ihm die Kosten zu hoch.” Aber zumindest war klar:

Die Hochwasserschutzkonzepte von Stadt und Landestalsperrenverwaltung müssen sich verzahnen.

Wie das passieren soll – gleich mehr dazu an dieser Stelle.

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