Wer alte Bilder vom Europahaus aus seiner Erbauungszeit nach 1929 sieht, der merkt, dass das 13-geschossige Hochhaus auch im Parterre mit seinem Nachbargebäude abschließt. Das war das Niederländische Haus, das damals noch an der Ecke zur Johannisgasse stand, die noch bis zum Ring führte. Heute riegelt das Hotel "Radisson blu" diesen Zugang ab. Und man ahnt nur, dass der Plattenbau weit hinter der einstigen Straßenkante steht. Ein Thema, das mit dem Umbau des Europahauses wieder aktuell wird.

Denn künftig soll das Europahaus ja Sitz der Leipziger Stadtwerke werden. Die Werbung ist schon dran. Derzeit wird der Eingangsbereich des Europahauses umgestaltet. Und dabei wird ein Teil der Umbauten wieder zurückgenommen, die man 1965 am von Architekt Otto Paul Burghardt entworfenen Hochhaus vorgenommen hatte. Denn damals weitete man, wo immer es ging, den alten Promenadenring um das Stadtzentrum auf, um eine zum Teil vierspurige Führung des Fahrzeugverkehrs zu ermöglichen. Nirgendwo sind heute mehr die alten Raumkanten der 1920er Jahre erhalten.

Möglich wurde das, weil ein Großteil der damaligen Ringbebauung durch die Bombardements im 2. Weltkrieg Totalverlust waren – rings um das Europahaus betraf das neben dem Niederländischen Haus auch das Bildermuseum auf dem Augustusplatz, zwischen Grimmaischem Steinweg und Johannisgasse die Geschäftshäuser Flinsch und Becker und nördlich des Grimmaischen Steinwegs auch die Hauptpost. Um das Europahaus aber irgendwie in die neuen Bauensemble am Ring zu integrieren, wurden im Parterre die bis heute erlebbaren breiten Arkaden geschaffen. Bislang nahmen sie zwei komplette Stützenfelder ein. Der einstige Bürgersteig ist direkt am Ring noch zu sehen. Doch die wohlweisen Stadtväter haben auch hier die Aufstellung einer der vielen völlig sinnfreien Werbesäulen genehmigt, die nicht nur das Stadtbild verunzieren, sondern hier auch den Verkehr behindern.

Das wird seit Beginn der Bauarbeiten erst so richtig sinnfällig.

Denn von den bislang zwei Säulenfeldern in den Arkaden des Europahauses, von denen eins für den Radverkehr zur Verfügung stand und eins für Fußgänger, wird eines geschlossen und als Foyer wieder ins Haus integriert.

Hierdurch bleibt als öffentlicher Durchgang nur noch die Hälfte der bisherigen Breite. Durch den Umbau eines Teils der Arkaden zum Stadtwerke-Foyer werden Fuß- und Radverkehr lediglich auf einem weniger als 2,50 Meter schmalen Durchgang gemeinsam geführt. Gegenwärtig kommen die Behinderungen durch die Bauarbeiten noch hinzu.Der ADFC Leipzig kommt gar nur noch auf 2,25 Meter und betonte in seiner Kritik zu den beginnenden Bauarbeiten im April auch, dass das nicht nur ein normaler Radweg ist, sondern ein in beide Richtungen geführter.

Dr. Christoph Waack, Vorsitzender des ADFC Leipzig, dazu: “Die aktuelle Situation ist für den Fuß- und Radverkehr inakzeptabel. An der Baustelle bestehen erhebliche Sicherheitsdefizite, da der viel genutzte Weg durch die Arkadensäulen nur schwer einsehbar ist.”

Und da es so sinnfällig war, forderte der ADFC nun wiederholt die Anlage eines eigenen Radstreifens auf der Fahrbahn.

Diese Situation ist auch aus Sicht des FUSS e.V. für Fußgänger wie auch für Radfahrer absolut unbefriedigend.

“Gegenseitige Behinderungen und Missstimmung sind an der Tagesordnung”, stellt Bertram Weisshaar, Sprecher der Ortsgruppe Leipzig des FUSS e.V., fest. “Ärgerlich ist auch die widersprüchliche Beschilderung. Die rote Einfärbung des Gehweges mit Fahrradpiktogramm unmittelbar an der Engstelle suggeriert eine Bevorrechtigung der Radfahrer. Dagegen signalisiert die Beschilderung von der Goldschmidtstraße bzw. vom Augustusplatz kommend einen Gehweg, der den Radverkehr mit Zusatzzeichen lediglich freigibt und demzufolge unterordnet.”In der Praxis zeige sich dies jedoch wenig hilfreich, zumal der Radverkehr in beiden Richtungen freigegeben sei, sich die Radfahrer vor den Eingangstüren unter den Kolonnaden also auch noch begegnen. Gerade auch für die – künftigen – Besucher und Nutzer des Europahauses sei diese Situation sehr unbefriedigend.

“Die derzeitige Situation ist nicht akzeptabel, zumal es sich um einen wichtigen Abschnitt des Promenadenrings handelt. Als Sofortlösung muss eine klare Beschilderung und die Entfernung der roten Gehwegeinfärbung erfolgen. Perspektivisch ist eine Entschärfung durch die bauliche Trennung von Fuß- und Radverkehr unumgänglich”, erklärt Bertram Weisshaar.

Der Leipziger Ortsgruppe des Fachverbandes für Fußverkehr war die Situation auch schon vor dem Umbau ein Ärgernis. An dieser Stelle zeige sich nach ihrer Ansicht ein “Langzeitschmerz” der autogerechten Stadt: “Den öffentlichen Gehweg auf den Durchgang durch das private Gebäude zu beschränken, nur um die vier Fahrbahnen für den motorisierten Verkehr bis direkt vor die Gebäudekante aufzuweiten, das ist das Denken der Verkehrsplaner der 1920er und 1970er Jahre. Sowohl den Belangen der Fußgänger, aber auch der städtebaulichen und historischen Bedeutung dieses besonderen Gebäudes wird diese Straßengestaltung in keiner Weise gerecht. Angemessen und überfällig wäre der Rückbau auf drei Fahrspuren.”

Ein Blick auf die alten Fotos zeigt freilich: Nein, es war nicht das Denken der Planer der 1920er Jahre, sondern das der sozialistischen Stadtumgestalter der 1960er Jahre, die auf alte Stadtstrukturen keine Rücksicht nahmen.

Der ADFC hat einen Lösungsvorschlag vorgelegt, nämlich die Markierung eines Radfahrstreifens auf der Fahrbahn des Promenadenrings. Die Leipziger Ortsgruppe des Fachverbandes Fußverkehr (FUSS e.V.) schließt sich der Kritik des Fahrradclubs ADFC an. Die vorgeschlagene Lösung würde – im Gegensatz zur jetzigen Situation – den verkehrspolitischen Zielstellungen der Stadt entsprechen, die sich mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum klar für die Förderung der umweltschonenden nichtmotorisierten Verkehrsarten positioniert.

Die ungelöste Situation verweist aber auch auf die Tatsache, dass die Arbeiten der Stadt an einem funktionierenden Radring um die Innenstadt nicht weiter kommen. Neben gut ausgebauten Teilstücken stoßen Radfahrer immer wieder auf solche Behelfslösungen wie am Europahaus – die ja dann vorm Hotel “Radisson blu” weiter gehen. Und die sich auf der Innenseite des Rings am Gewandhaus spiegeln, wo man es nicht einmal im Zusammenhang mit dem Bau der Tiefgarage Augustusplatz fertiggebracht hat, einen funktionierenden Radweg zu integrieren.

Im Gegenteil. Gerade am dicht frequentierten Übergang von der Haltestelleninsel der LVB zum Augustusplatz überlappen sich nicht nur Rad- und Fußgängerverkehr. Die genialen Platzgestalter haben auch noch einen der “Milchtöpfe” und mehrere Sitzbänke in diesen Knoten gesetzt – und die Narren des Marketings noch ein weiteres völlig überflüssiges Werbeschild. Eine Situation, mit der die Leipziger Stadtplaner Fußgängern wie Radfahrern mehr als deutlich signalisieren, wie egal sie ihnen sind.

Die vorgesehenen Geh-Radwege an beiden Seiten dieses Stücks am Augustusplatz sind seit 2010 “in Planung”: Es tut sich nichts. Und da, wo der ADFC die Chance für einen Radweg auf dem Asphalt sieht, gilt von Seiten der Stadt nach wie vor ein generelles Radfahrverbot.

Die Bauarbeiten am Europahaus haben jetzt recht deutlich sichtbar gemacht, wie die Stadt ihre vollmundigen Versprechungen für den Radverkehr immer wieder vertagt, aussitzt, aus dem Auge verliert.

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