Die Leipziger Akzeptanz-Studien der Agentur Hitschfeld beschäftigen sich zwar mit dem Thema "Großprojekte". Aber das Problem, das sie beleuchten, betrifft jedes Verwaltungshandeln. Erst recht, wenn offenkundig Projekte vorangetrieben werden, für die es keine transparenten Beteiligungsprozesse und nachvollziehbaren demokratischen Entscheidungswege gibt. Stichworte: Leipziger Floßgraben und "Wassertouristisches Nutzungskonzept" (WTNK). Beides Anlass für eine EU-Beschwerde.

Es sind Leipzigs Naturschutzverbände, die jetzt die Nase voll haben von der Salami-Taktik der Behörden und eine Beschwerde bei der Europäischen Union eingereicht haben. Es geht nicht nur um den Eisvogel, auch wenn das gern so kolportiert wird. Es geht darum, dass die Akteure des Gewässerverbundes sich im engen Kreis entschlossen haben, die wichtigste Gewässerverbindung ins Neuseenland durch den Auwald und den Floßgraben zu legen. Was kein Problem gewesen wäre, wäre der südliche Auwald nicht ein nach EU-Recht geschütztes Gebiet. Wer hier Nutzungen unterbringt, muss die strengen Auflagen beachten und kann nicht einfach so tun, als gäbe es höherrangige – gern als wirtschaftliche Interessen – bezeichnet.

Aber genau das soll mit dem 2006 entwickelten “Wassertouristischen Nutzungskonzept”, das von keinem einzigen demokratisch legitimierten Parlament beschlossen wurde, begründet werden. Mittlerweile auch mit dem Argument, dass schon Millionen in die Gewässerverbindung investiert wurden – in den Ausbau des Floßgrabens 2007 und 2008 genauso wie in den Bau zweier Schleusen im 5-Millionen-Euro-Bereich am Cospudener See und am Connewitzer Wehr. Selbst eingefleischte Kanuten sagen, dass hier eine sinnvolle Umtragemöglichkeit für Sportboote völlig ausgereicht hätte – in Connewitz genauso wie am Cospudener See. Allein für die Paddler wären diese Investitionen nicht nötig gewesen – genauso wie die personelle Besetzung der Schleusen in jedem Sommer, die ebenfalls Geld kostet.

Es ist der Versuch einiger Behörden, sich als Wirtschaftsförderer aufzuspielen, der hier Investitionen ausgelöst hat, die sich niemals refinanzieren werden, Auch nicht durch die Ausflugsfahrten des Rana-Bootes, das in diesem Jahr eine Ausnahmegenehmigung von der Allgemeinverfügung zum Schutz des Eisvogels bekommen hat. Teil der Salamitaktik, wie die Umweltverbände finden, mit der immer mehr Motorbootverkehr in die Gewässer gebracht werden soll. Was damit untergebuttert wird, ist auch die öffentliche Wahrnehmung, dass es zum Schutz sensibler Naturareale auch einmal Beschränkungen und Sperrzeiten geben muss. Eine verantwortliche Stadt kann das sehr wohl begründen und damit auch mal einen wirklichen Beitrag zur Umweltbildung leisten.

Aber dass Leipzig überhaupt gewillt ist, seine Pflichten als verantwortliche Umweltbehörde wahrzunehmen, das bezweifeln die Umweltverbände, die sich mit dem Thema fachlich nun seit Jahren intensiv beschäftigen, mittlerweile geschlossen.

Die EU-Beschwerde eingereicht haben der Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald (NuKLA) und der Ökolöwe-Umweltbund Leipzig e.V. Der Beschwerde beigetreten sind der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle Saale e.V., der BUND Regionalgruppe Leipzig, Grüne Liga Sachsen e. V., der Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V., der Naturschutzband Sachsen e.V., der NABU-Regionalverband Leipzig e.V., der NaturFreunde Sachsen e.V. und der NaturFreunde Leipzig e.V.Im Kern richtet sich die Beschwerde gegen die Beeinträchtigung des europäischen Vogelschutzgebietes “Leipziger Auwald” durch die geplante touristische Übernutzung von Pleiße und Floßgraben auf Grundlage des wassertouristischen Nutzungskonzeptes für die Region Leipzig (WTNK).

“Dieses Tourismuskonzept ist unvollendet”, stellen die Beschwerdesteller fest. “Dennoch dient es zur Planrechtfertigung für zahlreiche sehr ehrgeizige Projekte im Leipziger Südraum. Gebaut wurden mehrere Schleusen und der Stadthafen. Im Floßgraben baggerte man die Sole aus, flachte die Ufer ab und fällte zahlreiche Ufergehölze. Nun soll auch die Pleiße an den Motorbootsverkehr Pleiße angepasst werden.”

Und sie befürchten: “Geht es nach den Initiatoren des Konzeptes, dürften schon in naher Zukunft bis zu 100 Motorbootsfahrten mit dem sogenannten Rana-Boot täglich im Leipziger Auwald auf der Pleiße und Floßgraben möglich sein. – Auch wenn es sich beim Rana-Boot (Modelle bis zu 18 Passagiere) um ein sogenanntes gewässerangepasstes Boot handeln soll, beeinträchtigen die sehr starke Aufwirbelung der Sedimente und der Schall den Leipziger Auwald. Hinzu kommen Ausbaggerungen, Uferverbauten und ständige Unterhaltungsmaßnahmen wie Baumfällungen an den Ufern und das Ausmähen der Wasserpflanzen.”

Wobei auch für die Entwicklung des gewässerangepassten Bootes, das ursprünglich mal LeipzigBoot hieß, Steuergelder geflossen sind.

“Die Nutzungen des Auwaldes haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Fahren nun auch noch 100 Boote über die Pleiße und den Floßgraben, werden Wespenbussard, Eisvogel und Co. vertrieben und die Lebensräume im Europäischen Vogelschutzgebiet zerstört. Das wollen wir nicht hinnehmen und reichen die Beschwerde ein”, fasst Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKLA, die Situation zusammen.

Insgesamt schrieben zehn regionale Naturschutzvereine die Europäische Kommission an, da sie nicht zusehen wollen, wie der Leipziger Auwald als Schutzgebiet von europäischer Bedeutung durch regionalen Motorbootsbetrieb praktisch von innen aufgelöst wird.

Auch für den Ökolöwen ist nun die Schmerzgrenze erreicht. “In den letzten Jahren erlebten wir eine fast beispiellose Salamitaktik der Tourismusplaner. In über zehn Einzelfällen wurden und werden gerade so die Zulässigkeitsschwellen unterschritten bzw. einfach falsch ausgelegt. Alle Projekte zusammen verstoßen in Summe ganz klar gegen EU-Richtlinien”, kommentiert Holger Seidemann vom Vorstand des Ökolöwen die Rechtslage.

Auch deshalb gibt es keine öffentliche Debatte über das “Wassertouristische Nutzungskonzept”, das nicht nur im südlichen Auwald seine Schwachstellen hat. Bei den Konzepten für die Freilegung der Alten Elster und ihrer Befahrbarkeit durchs Rosental taucht der nächste Fragenkomplex auf. Noch größere Fragezeichen schweben über den immer wieder aufgewärmten Planungen zum Ausbau des Elster-Saale-Kanals oder über dem von den Akteuren des Gewässerverbundes vorangetriebenen Projekt “Schiffbarkeit im Leipziger Neuseenland”. Von allein ist der Gesetzgeber nicht darauf gekommen, auf den Tagebauseen im Neuseenland einfach per Gesetz die Schiffbarkeit einzuführen.

Womit man bei den Akzeptanz-Studien der Hitschfeld-Agentur wäre: Alle Probleme, die bei politische Großprojekten auftauchen, spielen auch beim WTNK eine Rolle. Und diese Akzeptanz kann auch nicht dadurch hergestellt werden, dass über eine Diskussion über eine “Charta 2030” fürs Leipziger Neuseenland eine Art Zustimmung simuliert werden soll. Die gab es zu den Kernproblemen des WTNK, die alle mit Motorisierung zu tun haben, weder beim Workshop in Leipzig noch in Borna.

Aber da Umweltverbände in Leipzig nicht in Geld schwimmen, bitten die Initiatoren der EU-Beschwerde um Spenden:

Wer einen sanften und naturverträglichen Tourismus des Auwaldes unterstützen möchte, kann unter folgender Kontoverbindung eine Spende zur Finanzierung der EU-Beschwerde abgeben.

Spendenkonto: Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald, Kontoverbindung: EthikBank, IBAN: DE82830944950003164608, BIC: GENODEF1ETK

www.oekoloewe.de

www.nukla.de

Das Deckblatt der Beschwerde als PDF zum Download.

Die Begründungen der Beschwerde als PDF zum Download.

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