Seit ein paar Tagen steht eine provisorische Lichtsignalanlage am Schleußiger Weg. Ganz ohne Vorwarnung. Da erschraken wohl zu recht einige Spaziergänger und Radfahrer. Was ist da los? Lenken die jetzt tatsächlich - anders als versprochen - Kraftfahrzeuge auf den Nonnenweg? Einige sprachen ihre zuständigen Stadträte an - auch SPD-Stadtrat Mathias Weber bekam Anfragen, und gab diese gleich mal weiter ans Verkehrs- und Tiefbauamt. Und siehe da: Es geschehen Zeichen und Wunder.

Stadtrat Mathias Weber: “Mehrere Bürgerinnen und Bürger haben mich darauf angesprochen, dass am Eingang zum Nonnenweg in Höhe des Schleußiger Weges eine Lichtsignalanlage installiert wurde. Die meisten befürchten, dass motorisierter Verkehr durch den Nonnenweg geführt werden soll. Dem ist nicht so.”

Doch was er dann im Verkehrs- und Tiefbauamt erfuhr, ist schon eine kleine Sensationsmeldung, denn die Ampel soll tatsächlich die Zufahrt zu einer Baustelle regeln – einer Baustelle, die seit 1969 (in Worten: neunzehnhundertneunundsechzig) überfällig ist. Im Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis zum 23. Januar 2015 soll die alte Paußnitzbrücke abgerissen werden. Dafür ist eine Behelfs-Lichtsignalanlage notwendig, damit die Baufahrzeuge für alle Teilnehmer gefahrlos in den Schleußiger Weg ein- und ausfahren können.Weber weiter: “Trotzdem ist die Baustelleneinrichtung aus verkehrlicher Sicht nicht unspannend, da die sehr knappen Freischaltzeiten für den Fußverkehr zur Querung des Schleußiger Weges immer wieder in der Kritik stehen und die Verwaltung dies mit verkehrlichen Abläufen begründete. Wir schauen mal, wie das am Ende funktioniert hat, vielleicht besteht ja die Möglichkeit, da was für den Fußverkehr zu verbessern.”

Dass die Stadt nun tatsächlich dazu kommt, die alte Brücke abzureißen, gehört schon als Extra-Kapitel in die Geschichtsbücher, denn abgerissen werden sollte die Brücke schon vor 45 Jahren. Was auch damals schon eine heftige Verzögerung war. Denn die neue Paußnitzbrücke, die im Zuge der Begradigung des Schleußiger Weges gebaut wurde, war schon 1964 fertig. Aber damals schaffte man zwar, die alte Kurve des Schleußiger Weges zurückzubauen, für den Abriss der 1912 erbauten alten Paußnitzbrücke aber fehlten die Kapazitäten.Die alte Paußnitzbrücke war schon der zweite stabile Brückenbau an dieser Stelle. In den Akten des Verkehrs- und Tiefbauamtes hat Bettina Weil Angaben zu einem eisernen Vorgängerbau aus dem Jahr 1887 gefunden. Auch damals schon wurden die beiden Brücken im Verlauf des Schleußiger Weges parallel gebaut – die Brücke übers Pleißeflutbett weiter östlich genauso wie die Brücke über die Paußnitzflutrinne, die in etwa dem Verlauf des heutigen Elsterflutbetts entsprach. Der alte Brückenname wurde dann bei den Nachfolgebauwerken einfach übernommen.

Die zweite – 1912 erbaute – Paußnitzbrücke hatte nach den Recherchen von Bettina Weil schon früh bauliche Probleme: Die Gewölbe senkten sich, Risse traten auf. Trotzdem hielt sie durch. Nicht nur bis 1969, als man zwar die Planungen für den Abriss endlich in Sack und Tüten hatte. 1970 stellte dann das planende Baukombinat aber trocken fest, dass man gar nicht die Kapazitäten frei hatte, die Brücke abzureißen. Die Brücke erlebte also unbescholten ihren 60. Geburtstag, ihren 70. und gerade noch ihren 80. Das war 1992, als das Tiefbauamt wieder eine Genehmigung bekam, die Brücke abzubrechen. “Doch sie blieb weiterhin stehen”, schreibt Bettina Weil in ihrer Recherche zu “Leipziger Brücken. Teil II”. Sie wurde 90 und sie feierte auch noch in aller Stille ihren 100. Geburtstag. Was für Brücken in Leipzig ein einsamer Rekord ist: 50 Jahre hat sie ihren Dienst versehen, 50 Jahre hat sie im Ruhestand verbracht (mal von der ein oder anderen Gemüseschlacht zwischen Südvorstädtern und Schleußigern abgesehen).

In den Akten fand Bettina Weil sogar den Antrag zur Errichtung eines China-Imbisses auf der alten Brücke. Das kam dann aber auch nicht zustande.

Wenn das Verkehrs- und Tiefbauamt es jetzt wirklich ernst meint, ist dieser Tage die letzte Gelegenheit, die Alte Paußnitzbrücke zu bewundern.

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