Auf dem G20-Gipfel in Seoul im November 2010 hat sich die Bundesregierung verpflichtet, "bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen". Doch eine Regierungsinitiative liegt bislang nicht vor. Stattdessen hörte der Bundestag jüngst Sachverständige wie den Leipziger Bundesrichter Dieter Deiseroth zu Oppositionsentwürfen.

Für die Grünen im Bundestag ist die Sache klar. “Die Untätigkeit dieser Regierung zeigt sich auch beim unzureichenden Schutz von Whistleblowern”, so die grüne Abgeordnete Ingrid Hönlinger bei der Debatte zum Bundeshaushalt 2012 im letzten November. Ein Whistleblower-Schutzgesetz werde international gefordert, so die Rechtsexpertin weiter. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen zeige aber, dass sich die Bundesregierung noch nicht einmal entschieden habe, ob sie den Whistleblower-Schutz stärken wolle oder nicht.

Dabei dürfte sich diese Frage eigentlich gar nicht mehr stellen. Der G20-Gipfel in Seoul Mitte November 2010 habe unter anderem Deutschland aufgefordert, “bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen und umzusetzen, um Hinweisgeber, die gutgläubig einen Verdacht auf Korruption melden, vor Diskriminierung und Vergeltungsmaßnahmen zu schützen”. Darauf verwies Ende Februar diesen Jahres Dr. Dieter Deiseroth als Sachverständiger in einer Anhörung des Deutschen Bundestages. Dies sei “mit Zustimmung von Bundeskanzlerin Angela Merkel” erfolgt, erklärte Deiseroth, im Hauptberuf Richter am hiesigen Bundesverwaltungsgericht und ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Whistleblower-Schutzes, den versammelten Parlamentariern.

Dass es überhaupt zu der Anhörung kam, war kein Verdienst der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien. Denn von dieser Seite – wir lasen es schon – liegt kein Beratungsgegenstand vor. Stattdessen machen sich die drei Oppositionsparteien daran, diese wesentliche Gesetzeslücke zu füllen.

Denn ohne das mutige Offenlegen von gravierenden Missständen durch eben jene Whistleblower wäre in Deutschland vermutlich weder der letzte große Gammelfleisch-Skandal aufgedeckt, noch das öffentliche Bewusstsein für Qualitätsstandards in der Altenpflege geschärft worden. Doch oftmals wird der Ehrliche zum Dummen, nämlich wenn er hinterher seinen Arbeitsplatz verliert.”In Deutschland sind Whistleblower, also Beschäftigte, die auf Rechtsverletzungen, gravierende Missstände oder erhebliche Gefahren/ Risiken für wichtige Rechtsgüter in ihrem Betrieb/ Unternehmen, ihrer Dienststelle oder ihrer sonstigen Organisation intern oder extern gegenüber Behörden oder in der Öffentlichkeit hinweisen, bisher schlechter geschützt als in den USA, im Vereinigten Königreich und anderen Staaten”, schrieb Sachverständiger Deiseroth den Abgeordneten ins Stammbuch. Insbesondere fehle ein wirksames Diskriminierungsverbot.

“In einer demokratischen Gesellschaft, in der ?die’ Meinungsäußerungsfreiheit grundrechtlich jedermann – innerhalb der von den Grundrechten und von den verfassungsmäßigen Gesetzen selbst gezogenen Grenzen – umfassend garantiert ist, kann und darf es bei ihrer Gewährleistung keine ?weißen Flecken’ und keine rollenspezifischen Schutzdefizite geben”, so Deiseroth weiter. Im Klartext: Die Grundrechte gelten auch am Arbeitsplatz und können von den Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstvertrag nicht aufgehoben werden.

Für ein solcherart überfälliges Update schlug der Leipziger Richter dem Bundesgesetzgeber zwei Reformpfade vor. Da ist zum einen die Ratifizierung einschlägiger internationaler Übereinkünfte. Zum Beispiel des Artikels 5 der Konvention Nr. 158 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO vom 22. Juni 1982. Und des Artikel 24 sowie des Anhangs dazu der Revidierten Europäischen Sozialcharta. Die ist noch nicht ganz so alt wie die vorgenannte ILO-Konvention.Zum anderen plädierte Deiseroth für ein “Bundesgesetz zur Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit von Beschäftigten und zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblowern)”. Die Schaffung eines solchen speziellen Gesetzes ist für Deiseroth “wegen der zahlreichen zu regelnden diffizilen Einzelfragen” der Änderung verschiedener Einzelgesetze vorzuziehen. Auch böte dieses neue Gesetz den Charme, “später in das seit langem geplante Arbeitsgesetzbuch übernommen zu werden”, verweist der Leipziger Richter auf eine noch größere und ältere Gesetzesbaustelle.

Als Inhalte eines Hinweisgeber-Schutzgesetzes fordert der Sachverständige Deiseroth im Wesentlichen drei Dinge: den Schutz für das Äußern kritischer Meinungen von Beschäftigten, den Schutz von Beschäftigten für den Fall der Weitergabe von betriebsinternen Informationen über Rechtsverletzungen, gravierende Missstände sowie schwerwiegende Gefahren und Risiken für gewichtige Rechtsgüter in ihrem beruflichen Wirkungskreis an Behörden und Dritte, und schließlich eine Regelung über ein Leistungsverweigerungsrecht von Beschäftigten bei Straftaten und gravierenden Rechtsverletzungen.

Die Linken im Bundestag haben im Juli 2011 ihren Kriterienkatalog für ein “Gesetz zum Schutz und zur Förderung der Tätigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern” vorgelegt. “Wir meinen, dass Menschen, die den Mut und die Courage haben, auf Missstände aufmerksam zu machen, dafür nicht benachteiligt oder gar bestraft werden dürfen”, erklärte dazu Linken-Abgeordnete Karin Binder. Schließlich sei Zivilcourage ein wichtiges Element unserer Demokratie und notwendig für eine funktionierende Gesellschaft.

“Ein Hinweisgeberschutzgesetz ist nötig, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser vor arbeitsrechtlichen Nachteilen zu schützen”, heißt es zur Begründung des Entwurfs eines “Gesetzes zum Schutz von Hinweisgebern – Whistleblowern (Hinweisgeberschutzgesetz)”, den die SPD-Fraktion im Bundestag im Februar 2012 beschlossen hat. “Als SPD wollen wir eine einheitliche rechtliche Regelung, wer unter welchen Umständen wen über Missstände informieren darf”, so die sozialdemokratische Abgeordnete Anette Kramme. Schließlich werde es Zeit, dass die Rechte und Pflichten von Hinweisgebern endlich verbindlich geregelt werden.

Bei den Grünen geht die Diskussion um die Ausgestaltung des Schutzgesetzes online weiter. Den aktuellen Stand gibt es jeweils auf www.gruen-digital.de. Der Regierung sind also nun genug Hinweise für einen besseren Hinweisgeberschutz gegeben worden. Was sie daraus macht, wird man sehen.

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