Vom 20. bis 22. Juni fand in Rio de Janeiro die Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung Rio+20 statt. Rio+20 deshalb, weil in Rio de Janeiro vor 20 Jahren die mittlerweile legendäre Konferenz stattfand, die die weltweiten Agenda-Prozesse in Gang setzte und vor allem auch erstmals deutlich formulierte, dass es die Kommunen selbst sind, die den Prozess hier zu einer besseren und zukunftsfähigen Welt vorantreiben.

Entsprechend genau verfolgten auch viele, viele Städte das, was da in Rio geschah. Und was geschah, war im Grunde nicht nur fast nichts. Wie schon zu den diversen Klimagipfeln der vergangenen Jahre konnten sich die Regierungen, die vor allem im Fokus der medialen Öffentlichkeit standen, auf keine neuen, weiterführenden gemeinsamen Projekte verständigen. Insbesondere die hochindustrialisierten Staaten mussten sich sogar eingestehen, dass sie nicht einmal die 1992 beschlossenen Ziele ernsthaft angepackt haben. Im Gegenteil: Der Ressourcenverbrauch wurde weltweit noch forciert. Die Vernichtung wertvoller Lebensräume ging weiter, die Schere zwischen Arm und Reich klaffte weiter auseinander. Die Ausgangsbedingungen für ein neue, bewahrende Weltwirtschaft sind im Jahr 2012 noch schlechter als 1992.

Dass am Ende wieder keine greifbaren Beschlüsse oder Vereinbarungen zustande kamen, ging selbst Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal an die Nieren: “Ich hätte schreiend rauslaufen können”, sagt er. Er ist nicht nur Bürgermeister für Ordnung, Umwelt und Sport, er ist auch Sprecher des Koordinierungskreises der Leipziger Agenda 21. Der tagte am Montag, beschäftigte sich natürlich auch mit den Nicht-Ergebnissen von Rio+20. Und mit zwei nicht ganz unwichtigen Fragen: Woran liegt’s? Und: Was kann man ändern?

Denn auch der Blick auf den 1997 in Leipzig gestarteten Agenda-Prozess zeigt ein durchwachsenes Bild. Es gibt Projekte, die sich sich etabliert haben – das Brachflächenmanagement ist eines davon, der Online-Haushaltsrechner, die Freiwilligenagentur …

Die Beschaffungspolitik der Stadt hat sich punktuell geändert, Energieeinsparung ist ein Leitthema in der städtischen Baupolitik geworden, die neuen verkehrspolitischen Leitlinien setzen verstärkt auf umweltfreundliche Verkehrsarten. Den CO2-Ausstoß in Leipzig will Heiko Rosenthal mittelfristig von derzeit über 5 Tonnen auf 2,5 Tonnen senken. In seiner Person überschneiden sich die Ansprüche der Leipziger Agenda und die Handlungsspielräume als Bürgermeister.

Und die sind – so schön alle Agenda-Ziele sind – begrenzt. Nicht nur durch Gesetze, die teilweise Jahrzehnte alt sind und auf Landes- oder Bundesebene beschlossen wurden. Auch durch die ganz gewöhnlichen politischen Spielregeln in der Verwaltung, im Stadtrat und in der Kommunikation mit den Leipzigern.

Denn was keine Mehrheiten finde, kann nicht umgesetzt werden.

Ist auch nichts Neues für den Leipziger Agenda-Prozess. Die Frage, wie man die selbstgesetzten Ziele und die Grundlagen nachhaltigen Denkens popularisiert, wurde auch 2000 schon debattiert. Für Rosenthal die wichtigste Erkenntnis: “Aus meiner Sicht geht es nur mit Verzicht.” Mit Verzicht aufs dritte Auto, auf die eingeflogenen Winter-Erdbeeren, auf einen Teil unserer übermäßigen Fleisch-Fresserei. “Die Änderung fängt bei jedem Einzelnen an”, sagte er am Mittwochmorgen bei einem kurzfristig anberaumten Pressegespräch zum Thema.Man merkte, wie die Rio-Konferenz in ihm nachrumorte: “So geht es nicht weiter.” Das gegenwärtige (westliche) Zivilisationsmodell überfordert die Erde. Da aber die Regierungen sich mit der jüngsten Rio-Konferenz endgültig nicht als die Schrittmacher der Entwicklung entpuppt haben, sondern – gerade im Fall der westlichen Industrienationen – wieder mal als Bremser, bleibt eigentlich nur ein Weg: Die Kommunen müssen ihre (Über-)Lebensmodelle selbst entwickeln.

Sie können auch voneinander lernen. Sie können aber auch anfangen, ihre eigenen Bürger dazu zu ermuntern, nachhaltiger zu denken und zu handeln. “Das geht am besten über positive Beispiele”, sagt Ralf Elsässer, der die Agenda-Arbeit in Leipzig koordiniert. Beispielhaft sind die mehr als 100 Vereine, Personen und Initiativen, die schon 2000 mitgearbeitet haben, Leipzigs Nachhaltigkeits-Ziele zu erarbeiten. Viele Projekte, die mittlerweile auch Teil der Stadtpolitik geworden sind, registrieren die Leipziger schon gar nicht mehr als ursprüngliche Agenda-Projekte.

Dass mittlerweile ein Verwaltungsvorschlag zu neuen Modellen der Bürgerbeteiligung im Verfahren ist (und wohl auch endlich zur Abstimmung kommt), ist auch ein altes Agenda-Projekt. Mit Einschränkungen. “Es wäre schön, wenn Agenda-Projekte einfach eins zu eins übernommen würden”, sagt Elsässer. “Aber so blauäugig sind wir nicht. Das würde auch den politischen Gegebenheiten widersprechen.” Also wird manches zukunftsweisende Projekt im Lauf durch die Abstimmungsverfahren rundgeschliffen, oft auch deutlich abgeschwächt.

Das, was OBM Burkhard Jung (SPD) und seit einiger Zeit Finanzbürgermeister Torsten Bonew (CDU) mit dem nachhaltigen Finanzmanagement der Stadt praktizieren, ist eine alte Agenda-Idee. Denn nur eine Stadt, die ihre Schuldenlast senkt, kann langfristig ihre Handlungsspielräume auch der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anpassen.

Über 150 Seiten umfasst der erste Umsetzungsbericht zu den Leipziger Agenda-Zielen. Die wären natürlich eine ideale Handlungsgrundlage für die Stadtverwaltung. Aber Politik heißt eben auch, dass all jene Mehr- und Minderheiten mitgenommen werden müssen, die noch längst nicht so weit sind, nachhaltig leben oder gar auf ihren lieb gewordenen Konsum oder auch nur die kleinste Bequemlichkeit zu verzichten.

Also wird sich der Koordinierungskreis der Leipziger Agenda auch künftig auf einzelne, handhabbare Projekte und Arbeitsschwerpunkte konzentrieren.

Sechs solche Schwerpunktthemen wurden am Montag beschlossen:1. die weiter gehende energetische Optimierung in der Stadt und der weitere Ausbau der regenerativen Energiebasis. Das Langzeitziel ist natürlich die Unabhängigkeit der Stadt von den großen, externen Energieversorgern. Und gleichzeitig die deutliche Senkung der Umweltbelastung.

2. die Förderung von Bildungsaktivitäten in allen Lebensabschnitten und die Herstellung größtmöglicher Bildungsgerechtigkeit. Denn jede Bildungsstudie belegt (und die neueste der Kultusministerkonferenz hat es nur noch einmal untermauert): Bildungsgerechtigkeit ist Chancengerechtigkeit.

3. Gestärkt werden soll auch die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit. Ein Mega-Thema in einer Stadt, in der fast jeder Dritte armutsgefährdet ist.

4. die Art der Wirtschaftspolitik soll umgekrempelt werden. Die Stadt soll nicht mehr mit Dumping-Löhnen und dem Unterbieten von Umwelt-Standards bei Unternehmensansiedlungen punkten, sondern mit echter Lebens- und Arbeitsqualität, die vor allem für kreative Unternehmen attraktiv ist.

5. ist eins der Ur-Themen: Die öffentlichen Ausgaben der wirtschaftlichen Leistungskraft der Stadt anpassen.

6. immer mehr Leipziger lernen, nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu konsumieren und zu leben. “Dafür haben wir im vergangenen Jahr extra die Zukunftsakademie Leipzig e.V. gegründet”, sagt Elsässer. Zielgruppengerecht werden hier die Bildungsangebote zur Nachhaltigkeit gebündelt und angeboten.

Denn ein Grundproblem, das auch den Leipziger Agenda-Prozess bremst, ist die Tatsache, dass viele Leipziger nicht wirklich wissen, wie sie ihr Leben nachhaltig gestalten können. Sie sind vom Überfluss an Informationen überfordert, sehen sich eher in ihrer Lebensqualität bedroht und sehen auch nicht, welchen Zugewinn an Lebensqualität sie andererseits bekommen. Das sieht man wirklich erst, wenn man den Schritt wagt. Vielleicht sogar erst nur einen.

Es sind viele kleine Schritte, die zum Ziel führen. In einer Hauruck-Aktion wird man die nachhaltige Stadt nicht bekommen. Aber selbst die so oft zerredete deutsche “Energiewende” gilt bei anderen Nationen zumindest als Beispiel. “Die schauen sehr genau hin, wie wir das machen”, sagt Heiko Rosenthal. “Und wenn es uns gelingt, wird das Vorbild haben für die ganze Welt, da bin ich mir sicher.”

Und dasselbe erwartet Ralf Elsässer auch von allen erfolgreichen Projekten im Leipziger Agenda-Prozess. Damit die künftig besser wahrgenommen werden von der oft so vergesslichen Öffentlichkeit, soll es ein eigenes Nachhaltigkeits-Logo geben.

Und auch an anderer Stelle will der Agenda-Koordinierungskreis öffentlicher werden: bei Stadtratsentscheidungen zu den großen Leitlinien der Stadtentwicklung. “Dazu werden wir dann jedes Mal öffentlich unsere Stellungnahme abgeben”, sagt Heiko Rosenthal in seiner Funktion als Sprecher des Koordinierungskreises. Das nächste Thema dieser Art ist der Stadtentwicklungsplan Verkehr.

www.leipzigeragenda21.de

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