Seit Jahren treffen sich am 13. Februar Neonazis in Dresden, um den Jahrestag der Bombardierung der Landeshauptstadt 1945 zur Verbreitung revisionistischer Propaganda zu missbrauchen. Im Jahr 2010 wurde der rechte Großaufmarsch erstmals durch friedliche Sitzblockaden verhindert. Ein bis heute umstrittenes, jedoch wirkungsvolles Mittel des Protestes gegen Neonazis- nicht nur in der Landeshauptstadt. Im selben Jahr starteten jedoch sächsische Behörden eine Repressionswelle ungeahnten Ausmaßes gegen die Neonazi-Gegner. Ein Rückblick im Vorfeld des anstehenden Aufmarsches von rechts am 13. Februar 2013.

19. Januar 2010: Infobüro und Plakatverteilstellen des neu gegründeten Blockadebündnisses “Nazifrei! – Dresden stellt sich quer!” werden durchsucht. Begründung: Auf den Plakaten werde zu Straftaten aufgerufen. Kurz darauf wird die Bündnis-Homepage abgeschaltet. Ohne nennenswerten Erfolg. Die Aktivisten ziehen kurzerhand auf einen anderen Server um.

13. Februar 2010: Mehrere tausend Neonazis treffen sich am Bahnhof Dresden-Neustadt. Und sitzen fest. Tausende Menschen blockieren die geplante Aufzugsroute. Unter ihnen Abgeordnete der Linkspartei, die eine Fraktionssitzung unter freiem Himmel abhalten. Für die Dresdner Staatsanwaltschaft ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Die Behörde leitet in der Folge mehrere Verfahren gegen Landtagsabgeordnete der Grünen und der Linkspartei ein. Der Prozess gegen André Hahn, damals Vorsitzender der sächsischen Linksfraktion, wurde im November 2012 wegen geringer Schuld eingestellt.

Mai 2010:
Die Staatsanwaltschaft Dresden leitet ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Im Visier haben die Ermittler eine “Antifa-Sportgruppe”, die gezielt Neonazis angreifen soll. Unter den gut zwei Dutzend Beschuldigten befindet sich der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, der sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert. Die Telefone der Betroffenen werden abgehört, einige von ihnen werden observiert. Zu Anklagen kam es bis heute nicht.
19. Februar 2011: Wieder reist die rechte Szene vergebens nach Dresden. Ihr geplanter Großaufmarsch fällt ins Wasser. Schuld sind tausende Gegendemonstranten und ein auf Konfrontation ausgerichtetes Einsatzkonzept der Polizei. Nicht zuletzt durch dieses entstehen zusätzliche Konfrontationen. Die Beamten setzen frühzeitig gegen friedliche Demonstranten bei Minusgraden Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Wer sich an diesem Tag an einer Sitzblockade beteiligt hat, muss mit Strafverfolgung rechnen.

Um die Verdächtigen zu ermitteln, bedienen sich die Ermittler einer technischen Raffinesse: Der Funkzellenabfrage. Über 1 Mio. Verbindungsdaten wurden in der Dresdener Südvorstadt erhoben, davon 55.000 ausgewertet. Mit anderen Worten: Name und Geburtsdatum der Nutzer der überwachten Nummern werden ermittelt. Unter den Betroffenen auch Abgeordnete und Journalisten. Ganz nebenbei setzten die Ermittler einen IMSI-Catcher ein. Dieser ermöglicht das zeitgleiche Abhören von Gesprächen im Umkreis und die Ortung von Mobilfunkgeräten. Über den konkreten Verwendungszweck schweigen sich die Behörden bis heute aus.

Am frühen Abend des gleichen Tages erstürmt die Polizei das “Haus der Begegnung”. Türen werden aufgebrochen, Inventar beschädigt. Durchsucht werden eine Privatwohnung, eine Anwaltskanzlei sowie die Räume der Linkspartei, die an diesem Tag vom Dresdner Blockadebündnis genutzt werden. Die Anwesenden werden festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und sehen sich beinahe ausnahmslos mit dem Vorwurf konfrontiert, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben.

Im Oktober 2011 wird ein Großteil der Durchsuchung gerichtlich für rechtswidrig erklärt. Für die Staatsanwaltschaft Dresden kein Anlass, die Verfahren gegen die vermeintlich kriminelle Vereinigung einzustellen. Auch die beschlagnahmten Mobiltelefone und Rechner werden einbehalten, selbst wenn diese illegal durchsuchten Räumen entnommen wurden.März 2011: Die Dresdner Staatsanwaltschaft verschickt Schreiben an Busunternehmen, die am 19. Februar Menschen in die Landeshauptstadt transportiert hatten. Demosanitäter werden mit ähnlichen Anfragen konfrontiert – trotz ärztlicher Schweigepflicht.

12. April 2011:
Großrazzia gegen Neonazi-Gegner: Die Dresdner Staatsanwaltschaft lässt 21 Wohn- und Geschäftsräume in Sachsen und Brandenburg durchsuchen. Anlass ist das Ermittlungsverfahren gegen die angebliche “Antifa-Sportgruppe”.

3. Mai 2011: Die Polizei durchsucht am frühen Morgen das Wohnprojekt “Praxis” in Dresden-Löbtau. 150 Ermittler durchkämmen zwei Wohnungen und beschlagnahmten “unter anderem Laptops, Computer, Mobiltelefone, Steine, Sturmhauben, Schutzkleidung, eine Zwille mit Stahlkugeln sowie Aufkleber und Plakate mit gewaltverherrlichenden Inhalten.” Anlass ist abermals das Verfahren gegen die “Antifa-Sportgruppe”. Ermittelt wird zu diesem Zeitpunkt gegen 16 Männer und eine Frau.

10. August 2011: Sächsische Polizisten durchsuchen Wohn- und Amtsräume des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König. Der Vorwurf: Aufwieglerischer Landfriedensbruch. Ab kommenden März muss sich der Geistliche vor dem Dresdner Amtsgericht verantworten. Außerdem soll König der “Antifa-Sportgruppe” angehören. Dieser Vorwurf wird später wieder fallen gelassen werden. Das Thüringer Innenministerium war erst unmittelbar vor Beginn der Razzia informiert worden.

September 2011: Der Sächsische Datenschutzbeauftragte, Andreas Schurig, kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, es habe keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Funkzellenabfrage am 19. Februar gegeben. Daraufhin lässt die Sächsische Staatsregierung vom Rechtswissenschaftler Ulrich Battis ein eigenes Gutachten anfertigen, das zu einem anderen Schluss kommt.

13. Oktober 2011: In Berlin werden die Wohnung zweier Neonazi-Gegner durchsucht. Vorwurf: Besonders schwerer Landfriedensbruch. Sie sollen Blockadewillige durch Dresden geleitet haben.

25. Mai 2012: In einem der ersten Blockade-Prozesse wurde ein junger Student zu einer Geldstrafe verurteilt. Eine Revision vor dem Sächsischen Oberlandesgericht hat Erfolg. Begründung: In dem Urteil des Amtsgerichtes Dresden seien elementare Rechtsgrundsätze nicht beachtet worden.

Juli 2012:
Nachdem Gerichte bereits die vollumfängliche Rechtswidrigkeit der erfolgten Stürmung des “Hauses der Begegnung” festgestellt hatten, stellt die Staatsanwaltschaft Dresden nun doch die daraus hervorgegangenen Strafverfahren wegen angeblicher “Bildung einer kriminellen Vereinigung” ein.

Dezember 2012:
Die Dresdner Staatsanwaltschaft beantragt die Aufhebung der Immunität des sächsischen Grünen-Abgeordneten Johannes Lichdi – wegen Beteiligung an den Blockaden am 19. Februar 2011. Sein Kommentar: “Ich bin stolz, an der Platzbesetzung an der Reichenbacherstraße teilgenommen zu haben und mit vielen Bürgerinnen und Bürgern ein wirksames Zeichen gegen den Naziaufmarsch gesetzt zu haben.”

16. Januar 2013: Der Berliner Tim H. wird trotz schwacher Beweislage vom Amtsgericht Dresden zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Der 36-jährige Familienvater soll am 19. Februar 2011 mittels Megafon das gewaltsame “Durchfließen” einer Polizeikette koordiniert haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das Revisionsverfahren gilt als sicher, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung dies anstreben.

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