Im Rahmen der Leipziger Buchmesse findet am Donnerstag, 14. März, um 15.00 Uhr eine Veranstaltung von Amnesty International - Leipzig und der Bürgerinitiative "Leipzig Korrektiv", in der Galerie KUB (Kantstraße 18) statt. Es wird das Buch "Mit Pfeil, Kreuz und Krone" von Magdalena Marsovszky und den Autoren Andreas Koob und Holger Marcks vorgestellt. Mit der Koautorin spricht der Schriftsteller György Dalos, Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2010. Anschließend folgt eine Diskussion mit dem Publikum.

Die Veranstalter Amnesty International – Leipzig und die BI “Leipzig Korrektiv” beabsichtigen mit dieser Veranstaltung, auf die derzeitige Situation in Ungarn aufmerksam zu machen und die Arbeit der Bürgerinitiative “Bürgerrechtsbewegung für die Republik” (“Polgárjogi Mozgalom a Köztársaságért”) aus Ungarn zu unterstützen.

Ungarns Regierung homogenisiert die Gesellschaft im Sinne einer “magyarischen Volksgemeinschaft”…

Seit Viktor Orbán vor zwei Jahren zum ungarischen Ministerpräsidenten gewählt und die offen antiziganisch und antisemitisch auftretende Partei Jobbik drittstärkste Kraft im Land wurde, sind in Ungarn Pressefreiheit und Bürgerrechte erheblich eingeschränkt, Reformen in der Justiz bedrohen deren Unabhängigkeit, und Roma werden von der “ungarischen Garde” und weiteren extrem rechten Gruppierungen regelrecht verfolgt. In einem Drittel der Grundschulen gibt es ethnische Trennungen, offen zur Schau gestellter Antisemitismus und Antiziganismus sind salonfähig geworden. Die EU reagiert mit Sanktionen wie Vertragsverletzungsverfahren und verweigert der ungarischen Regierung Fördergelder aus Brüssel. Doch die Regierung Ungarns ist fest davon überzeugt, dass sie demokratisch handelt.

Dabei versteht die Fidesz-Regierung Demokratie als Ethnopluralismus. Propagiert wird, Ungarn solle dem Magyarentum gehören, Polen dem Polentum usw. Ziel ist eine geschlossene, vermeintlich ethnisch homogene Volksgemeinschaft. Die MagyarInnen seien im In- und Ausland eine ethnisch-kulturelle und eine blutmäßige Abstammungsgemeinschaft.

Ziel ist das “Erwachen der organisch gewachsenen Nation”. Die Völkischen im Land, die sich für “national gesinnt” halten, betrachten alle anderen als “a-national”, “fremdherzig”, “antimagyarisch”, “kosmopolitisch”, “links”, “bolschewistisch”, “linksliberal” usw. Das gesamte politische und kulturelle Leben sowie die Medienlandschaft sind zweigeteilt in die “National-Gesinnten” und diejenigen, die liberaler und demokratischer denken.

Ungarn entwickelt sich zur ethnonationalen Diktatur, in der die Kriminalisierung und Dämonisierung der politischen GegnerInnen seit vielen Jahren meist antisemitisch geschieht. Diese Rhetorik ist zwar unterschiedlich codiert, doch die Botschaft lautet: Das sind zu vernichtende Entartete.Neben Homophobie, Antisemitismus und Antiziganismus gibt es eine Intellektuellenfeindlichkeit; auch die EU, das “internationale Großkapital” und die “westlichen Länder” gehören zu den Feindbildern. Laut Präambel des ab Januar 2011 gültigen Mediengesetzes seien nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten schützenswert. In einem Land, in dem es nicht um das Individuum, sondern um den Menschen als – vermeintlichen – Teil einer bestimmten kulturellen Gemeinschaft geht, läuft dies darauf hinaus, dass die Minderheit zum Vorteil der Mehrheit weichen soll.

Seit dem Regierungswechsel sind alle Instanzen, die das öffentliche Leben bestimmen, mit Fidesz-Leuten besetzt. Auch der kulturelle Bereich ist von der Regierung monopolisiert worden. Die Justiz und die Notenbank haben ihre Unabhängigkeit verloren. Ganz zu schweigen von den Medien. Es gibt nur noch zwei oppositionelle Tageszeitungen, einen Radio- und einen Fernsehsender, die nicht regierungskonforme Nachrichten vermitteln. Kritische JournalistInnen werden entlassen und finden keine neue Arbeit. So sind die öffentlichen-rechtlichen Medien vielfach die einzige Informationsquelle.

In einigen Schulen gibt es ethnische Trennungen, Roma-Kinder dürfen nicht mehr am Schwimmunterricht mit den “Weißen” teilnehmen, weil sie das Wasser beschmutzen würden. Roma-Kinder werden oft schon im Kindergartenalter wegen angeblich mangelnder Intelligenz in Sonderklassen untergebracht. Unter dem Vorwand, sie benötigten besondere Betreuung, werden sie von den “weißen” Kindern getrennt. Seit 2010 verschlimmert sich die Situation stetig. Vor dem Regierungswechsel gab es noch zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom Staat unterstützt wurden. Die neue Regierung stellt keinerlei Mittel mehr zur Verfügung.In Kleinstädten, in denen die offen antiziganisch eingestellte Jobbik-Partei die Mehrheit im Kommunalparlament stellt, überlässt die Regierung der Partei die vollkommene Befugnis über die Roma. In diesen Orten werden die Roma durch tägliche Schikane terrorisiert und haben Angst, ihre Kinder alleine auf die Straße gehen zu lassen. Der Vorstandsvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung für die Republik, Aladár Horváth, sagt, Ungarn habe sich zum Apartheid-Land entwickelt. Für die Roma stehen Sanitäter und Polizei nicht oder zu spät zur Verfügung. Die Feuerwehr kommt oft absichtlich zu spät und die Polizei nimmt keine Anzeigen auf.

Die Ungarische Garde ist seit 2009 offiziell verboten, wird aber von der Regierung geduldet. An Ostern 2011 mussten etwa 300 Roma-Frauen und -Kinder aus der Gemeinde Gyöngyöspata evakuiert werden, weil die von extrem rechten Gruppierungen ausgehende Bedrohung außer Kontrolle geriet. Doch diejenigen, die helfen, werden als PanikmacherInnen dargestellt. Die Helfer von Gyöngyöspata mussten sich vor einem Untersuchungsausschuss verteidigen.

Laut einer Untersuchung des Progressiv-Instituts in Budapest aus dem Jahr 2009 sind über 80 Prozent der Befragten antiziganisch eingestellt. Das betrifft auch sämtliche Verwaltungen des öffentlichen Dienstes. Es ist ständig die Rede von der “Zigeunerkriminalität”, selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien werden antiziganische “Dokumentationen” gezeigt. Nach einer aktuellen Untersuchung der Anti-Defamation League ist der Antisemitismus in Ungarn von zehn untersuchten EU-Ländern am stärksten. Auch Homophobie ist weit verbreitet.

Der Transformationsprozess der Jahre seit 1989 und der Weg in die Demokratie sind in Ungarn auf dem Weg des Scheiterns. Die Angst vor Veränderung, vor Freiheit und einer liberalen offenen Gesellschaft hat in Ungarn derzeit die Oberhand.

In weiten Teilen der Gesellschaft werden der demokratische Widerstreit als Chaos und die Diversität als Unordnung erlebt. Die “nationale Wiedergeburt”, der Kampf für Werte, die man als die “altüberkommene Tradition” ansieht, der Kampf gegen den Liberalismus und den “westlichen Hedonismus”, gegen Reformen, gegen die Sozialdemokratie, gegen das Denken in Kategorien der liberalen Demokratie usw. gehen einher mit einer Art nationaler Religion: In ihr meint die neue Regierung im Namen des Volkstums (des Magyarentums) eine Art Sendung zu vollenden. Diese “magyarische Sendung” strahlt nach Außen als “Hungaria irredenta” und nach Innen als Vision einer “sauberen” Nation, in der bald Ordnung herrschen soll.

Magdalena Marsovszky ist Lehrbeauftragte an der Hochschule Fulda und Vorstandsmitglied im Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V.

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