Der Förderverein "Neue Ufer" hat zwar im Lauf seiner 20-jährigen Geschichte so manche Klatsche und Niederlage einstecken müssen. Aber ohne diesen Verein wäre bei der Rückgewinnung der innerstädtischen Gewässer in Leipzig bis heute nicht viel - oder auch gar nichts geschehen. Nicht einmal das, was der Verein selbst kritisiert. Auch im neuen Magazin "Neue Ufer" Nummer 10, das der Verein jetzt vorlegte.

Es ist ein für Leipzig sehr typischer Verein – hinter den Kulissen emsig tätig, um Kontakte zu knüpfen und Fördergelder zu sammeln, vor den Kulissen immer im Nachzug, weil niemand Zeit findet, zum Beispiel die Website zu aktualisieren oder auch mal offensivere Pressearbeit zu machen. Prioritätensetzen, nennt man das. Die Stadt profitiert davon. Jedes Stück wieder freigelegter Mühlgraben erhöht die Attraktivität der Umgebung und auch die Sogwirkung der Stadt. Die Verwaltung rühmt sich dessen gern und tut dann so, als sei das alles logische Entwicklung von diversen Stadtentwicklungs- und Hochwasserschutzkonzepten. Aber die gibt es gar nicht. Und wenn es sie gibt, greifen sie das Entstandene auf. Man ersetzt die eigentlich notwendige strategische Arbeit durch viel Geklingel.

Oft genug verändern sich die Projekte, die in der Arbeit des Fördervereins “Neue Ufer” entstanden sind in der Realisierung bis zum Unkenntlichen. Das etwa, was die Stadtplaner 2006 mit dem Elstermühlgraben am Ranstädter Steinweg angestellt haben, hat mit den ursprünglichen Visionen des Vereins für eine wieder erlebbare Wasserwelt nichts zu tun. Es ist – wie so viele andere Planungsprojekte der Stadt – ein in Beton gegossenes Unvermögen. Das sich nahtlos einreiht in aktuelle Fehl-Stellen wie die gerade mit dem Architekturpreis der Stadt glorifizierte City-Tunnel-Station Wilhelm Leuschner-Platz oder der gerade zur Vollendung schreitende neue Zugang zur Petersstraße – eine Orgie in Stein, statt einer sinnvollen Fortsetzung der Lennéanlage. Wenn Leipzigs Stadtplanern nichts einfällt, dann greifen sie zu Sichtbeton und Granit.

Der Termin für eine Scheckübergabe für die Planungen zum neuen Pleißemühlgrabenabschnitt an Lampe- und Simsonstraße am 7. November, bei dem der Verein “Neue Ufer” auch sein neues Vereinsmagazin vorstellte, machte aber auch noch etwas anderes sichtbar, nämlich, wie sehr die Stadt mit der Ratifizierung ihres Hochwasserschutzkonzeptes, an dem sie eigentlich seit 2004 arbeitet, hinterher hinkt. In den nächsten Wochen will Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal das Konzept zur Entscheidung vorlegen. Und eine wichtige Rolle werden in diesem Konzept die alten Mühlgräben spielen. Sie sind wichtig als schnelle Abflussrinnen für den innerstädtischen Hochwasserfall.
Doch das Problem ist: So lange die Mühlgräben nicht geöffnet sind, können sie keine Hochwasser aufnehmen. 4 Kubikmeter pro Sekunde ist der aktuell mögliche Abfluss, reguliert durch all die engen Röhren, durch die Elster- und Pleißemühlgraben sich immer noch zwängen müssen. Künftig sollen es, so Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, im Hochwasserfall bis zu 15 Kubikmeter pro Sekunde sein. Bildlich betrachtet: Der Wasserstand in den Gräben erhöht sich um 2 Meter. Wer sich die ganzen Röhrenzuläufe anschaut, sieht, dass das nicht funktioniert.

Logisch, dass jetzt die Öffnung des Pleißemühlgrabens in seinem kompletten Verlauf in den Fokus der Stadtpolitik rückt. Und dass es für die Stadtpolitik dazu heftige Kritik vom Förderverein “Neue Ufer” hagelt. Und das gleich mehrfach. Denn am Dittrichring hat die Stadt Leipzig 2011 die Öffnung eines Teilstücks gründlich verpennt. Damals ging es um die bauliche Sicherung eines Regenwasserrückhaltebeckens unter der Fahrbahn des Dittrichrings. Im Vorfeld hatte man 2009 auch den Förderverein “Neue Ufer” zur Diskussion eingeladen. Doch statt wirklich Nägel mit Köpfen zu machen und an dieser Stelle nachhaltig wieder einen für Hochwasserfälle genügend breiten Kanalverlauf zu schaffen, entschied sich die Stadt für die Verfüllung des alten Rückhaltebeckens und die Beibehaltung der alten Wölbleitung, die nicht in der Lage ist, Hochwasser aufzunehmen. Man kann nur mutmaßen, das es die stets waltende Angst der Stadtverwaltung war, auch nur an einer Stelle einen Straßenquerschnitt zu verengen. Die Arbeiten im Sommer 2011, bei denen eine komplette Fahrbahn gesperrt war, zeigten zwar, dass es auf dem Dittrichring überhaupt keine Stauprobleme gab.

Aber das Geld, das für die unterirdische Verfüllung ausgegeben wurde, kann nur einmal ausgegeben werden. 1,5 Millionenm Euro, die – so der Autor des Beitrags, Joachim Wünscher, schon den größten Teil einer Öffnung des Pleißemühlgrabens vor der Hochschule für Musik und Theater abgedeckt hätten. Man spürt regelrecht den Ärger im Förderverein über eine derart beratungsresistente Stadtregierung.

Das nächste Malheur befürchtet der Verein wohl zu recht weiter nördlich, wo der Pleißemühlgraben unterirdisch hinter der Feuerwache und dem IHK-Gebäude abschwenkt und am Ranstädter Steinweg dann Richtung Rosental abschwenkt. Dort würde der Graben hinterm Naturkundemuseum weiterfließen. An der Angerbrücke hätte er einen kleinen Bypass zum Elstermühlgraben. Doch 2012 hat die Verwaltung gleich drei Verlaufsvarianten präsentiert. Eine wäre der historische Verlauf. Der hätte aber (aus Verwaltungssicht) ein kleines Problem: Die Feuerwehr würde ihren Garagenhof hinter der Feuerwache aufgeben müssen, denn der steht auf dem überbauten Pleißemühlgraben. Eine 2. Variante würde zumindest durch eine Verschwenkung des Mühlgrabens einen Teil des Hofes erhalten. Aber am heftigsten alarmiert zeigt sich der Förderverein durch die 3. Variante, in der die Stadt den Mühlgraben künftig direkt neben dem Dittrichring vor Feuerwache und IHK führen will.

Dazu kommen die 2013 von der Stadt wiederbelebten Pläne für ein Hochhaus an der Ecke Ranstädter Steinweg/Dittrichring. Pläne, die schon in den 1920er Jahren heftig diskutiert und immer wieder modifiziert wurden und immer wieder aus finanziellen und stadtplanerischen Gründen vertagt wurden. Kein einziges der im Laufe der 90 Jahren vorgestellten Projekte nahm auch nur ansatzweise die konkrete Lage zur Kenntnis. Auch nicht die in einem Workshop in den 1990er Jahren entwickelten “Zacken”. Meist wurde der Pleißemühlgraben aus den kühnen Konstruktionen einfach weggelassen. Ein im Grunde exemplarisches Beispiel dafür, wie unfähig Verwaltungen sind, einmal zu Papier geronnene wilde Ideen wieder zu revidieren. Sie werden immer wieder aufs Neue aus den Schubladen geholt und den Bürgern als der Weisheit letzter Schluss präsentiert, ohne auch nur eine Idee an womöglich bezahlbarere und passendere Gestaltungen zu verschwenden.

Mit der ganzen Problematik setzt sich im neuen “Neue Ufer”-Magazin der Vereinsvorsitzende Heinz-Jürgen Böhme auseinander, der auch auf die historischen Baulösungen an dieser markanten Stelle im Stadtbild eingeht.

http://neue-ufer.de

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