Das Netz und die Realität scheinen im rechten Sumpf zwei Gesichter zu haben. Wo der "Volksaufstand" angekündigt war, blieb er aus. Aus 9.000 angeblichen Fans der "Bürgerinitiative gegen den Moscheebau in Gohlis", weiteren 2.000 "Fans" der Netzkampagne "Leipzig steht auf", welche insbesondere gegen das Asylrecht mobilisierte, wurde was? Zumindest nicht jenes, was sich die rechten Initiatoren erhofft hatten. Rund 80 Personen (laut Polizei), welche sich mit Fackeln an der Ecke Volksgarten-/Löbauer Straße aufbauten. Ihnen standen zeitweise 800 Gegendemonstranten aus allen Bevölkerungsschichten wie eine Barriere zum Asylbewerberheim gegenüber.

Die Initiative “Leipzig steht auf” scheint ein Grundproblem zu haben. Der Stadtname stimmt nicht. Auch deshalb versuchten die Initiatoren noch am Abend, die Erwartungen der angeblich breit in Leipzig befindlichen Unterstützer zu befriedigen, die Bauchlandung als Erfolg zu verkaufen. Der Eintrag auf der Facebookseite des Moscheebaugegner-Bündnisses lautet unter Anderem: “Vielen Dank an alle mutigen Bürger. Der heutige Tag hat deutlich gezeigt, das wir nicht eine “ominöse” Initiative sind, sondern Bürger, Eltern und Anwohner aus Leipzig.” Doch, sind sie, angesichts der Zahl der angeblichen Unterstützer – denn mit dem Abend des 3. Februar ist zumindest eines klar: Lange Anfahrtswege scheint man in der deutschlandweiten Rechten nicht wirklich in Kauf nehmen zu wollen.

Ominös bleibt dennoch etwas Anderes. Mit einem monatelangen Vorlauf, der Vermischung diverser Themen, welche man sicher kontrovers diskutieren kann, und einer beispiellosen Anzahl von Webseiten, Facebook-Accounts und “angebürgerten” Aufruf-Initiativen hatten sich rechte Strategen auf diesen einen Abend fokussiert. Hier wollten sie den Beweis antreten, wie groß der Aufstand des “Volkes” gegen die Leipziger Bürgerschaft ist. Um anschließend mit jenem Häuflein dazustehen, wo man getrost nach den Eindrücken des Abends rund 30 bekannte Gesichter aus der immer gleichen Hooligan-, Neonazi- und NPD-Ecke abziehen konnte.
Beruhigend? Die Frage beantwortet sich eher beim Blick auf die andere Seite des Demonstrationsgeschehens. 800, das klingt viel, war es auch und es machte alle durchaus froh, die mit Zu- und Abgängen durchaus auch 1.000 inklusiv der Teilnehmer an den kirchlichen Mahnwachen zählten. Dass die Polizei diese Zahlen trennte, zeigt ihr Verständnis von dem Abend, doch dazu gleich mehr. Die Gesamtzahl selbst jedoch ist, stellt man sie den 15.000 bis 20.000 gegenüber, welche einst gegen den heutigen Vormann von “Die Rechte” Christian Worch und Kumpane auf der Karl-Liebknecht-Straße saßen, eher klein.

Die Initiativen waren vielfältig, auch Sozialbürgermeister Thomas Fabian vor Ort, die meisten Gesichter jung bis alt und das lässt hoffen. Hoffen darauf, dass sich im Zweifel noch mehr aus der “schweigenden Mehrheit” finden, wenn es mal wieder gegen Gruppen von Menschen geht, zu denen sie sich nicht selbst zählt.

So gesehen ein Abend, der das Zahlenverhältnis klar gemacht hat, wenn es um die Präsenz auf der Straße geht, wo Leipziger Bürger angeblich gern ihren Wunsch nach Demokratie und Freiheit artikulieren. Auch wenn sie heute, sicher in den entsprechenden Verhältnissen auf beiden Seiten, lieber hinter den Gardinen blieben, steht es dennoch aktuell 10 : 1 gegen den Hass auf Asylbewerber und Muslime in Leipzig.
Der zweite Aspekt, der nachzutragen wäre, ist wohl das Verhalten der Polizei nach den mehrfachen Durchsagen bei einer Straßenbesetzung zu Beginn. Nicht als Ganzes, aber eine Einsatzleitung, welche nicht ganz grundlos folgenden Satz in (nachfolgend ganz dargestellter) Pressemitteilung zum Einsatz erwähnen musste: “Entgegen anderslautenden Meldungen, wurde seitens der Polizei kein Pfefferspray eingesetzt.” Reines Pfefferspray sicher nicht, dann wären die Augen der Geschädigten sicher jetzt trotz sofortiger Wasserausspülung danach noch gefährdet. Doch die Einsatzleitung griff während einer Platzverschiebungsaktion für die Gegendemonstranten zu einem fluiden Mittel, welches bei Temperaturen nahe Null Grad in der Nähe einer Körperverletzung und eines grundlegenden Missverständnisses liegt.

Mit einem Wassereinsatz gegen die Gegendemonstranten, welcher im Nachgang mit den “Rangeleien” während der Umverlagerung der Gegendemonstration weg von der Notunterkunft der Asylbewerber begründet wurde, zeigte die Einsatzleitung jene Stärke, die im Einsatzdress immer der zahlenmäßig größeren Seite zeigen soll, dass man wach ist. Die 250 Einsatzpolizisten im Harnisch waren offenbar unfähig, mit einer pöbelnden Frau und einer Gruppe Jugendlicher umzugehen, die nicht so rasch weichen wollten, wie der Staat befahl. Ob an solch einem Abend der Pkw-Verkehr in einem klar abgegrenzten Areal fließen musste, ist vielleicht die Grundfrage, die die Einsatzleitung überhaupt erst vor das Problem stellte. Was die Polizei am Ende eines friedlich verlaufenen Abends mitteilen ließ: “Durch die Polizei wurden vier Anzeigen wegen Körperverletzungen gegen Kundgebungsteilnehmer aufgenommen und Identitätsfeststellungen durchgeführt.”

Das war auf der mit Fackeln auftretenden Gegenseite nicht nötig. Ein gewisser Teil der “Leipzig steht auf”-Demonstranten dürften den Beamten vom Staats- oder Verfassungsschutz bereits bekannt gewesen sein.
Am Montag, dem 3. Februar 2014 fanden im Stadtteil Leipzig-Schönefeld drei Kundgebungen statt. Die Interessengemeinschaft “Leipzig-Schönefeld” meldete eine Versammlung unter dem Motto “Leipzig steht auf! Bürgerwille vor Minderheitenpolitik!” an. Die Initiative “Refugees welcome” meldete eine Gegenveranstaltung unter dem Motto: ” Gemeinsam solidarisch gegen Rassismus- Refugee welcome” an und die “Willkommensinitiative Schönefeld” führte eine Mahnwache durch, an der ca. 150 Personen teilnahmen.

An der Veranstaltung der Interessengemeinschaft “Leipzig-Schönefeld” nahmen ca.
80 Personen teil. Die Veranstaltung begann 19.00 Uhr und war gegen 20.15 Uhr beendet. An der Kundgebung der Initiative “Refugees welcome” nahmen ca. 700 Personen teil. Der Großteil der Veranstaltungsteilnehmer verhielt sich kooperativ und friedlich. Ein kleiner Teil der Kundgebungsteilnehmer hatte aber gegen 19.00 Uhr die Kreuzung Löbauer Straße/Volksgartenstraße blockiert.

Trotz mehrmaliger Aufforderung der Polizei über den Lautsprecherwagen, die Kreuzung wieder freizugeben, erfolgte dies nicht. Die Polizei sah sich veranlasst daraufhin die Kreuzung freizuräumen. Bei der Räumung kam es zu Rangeleien. Durch die Polizei wurden vier Anzeigen wegen Körperverletzungen gegen Kundgebungsteilnehmer aufgenommen und Identitätsfeststellungen durchgeführt.

Entgegen anderslautenden Meldungen, wurde seitens der Polizei kein Pfefferspray eingesetzt. Gegen 20.30 Uhr begann der Abmarsch der Veranstaltungsteilnehmer der Initiative ” Refugees welcome”. Die Veranstaltungen waren alle beendet. Die Polizeidirektion Leipzig war insgesamt mit 250 Beamten vor Ort.
Leipzig-Schönefeld: 800 Menschen zeigen Solidarität mit geflüchteten Menschen – Kläglicher Auftritt von NPD-naher Bürgerinitiative

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Am heutigen Montag, 03.02.2014 folgten an die 800 Menschen dem Aufruf zum Protest gegen eine rassistische Kundgebung in Leipzig-Schönefeld. Die Kundgebung war von einer neu gegründeten Initiative “Leipzig steht auf” angemeldet worden. Verschiedene Indizien legten nah, dass die NPD dort mitmischt, was sich durch die Präsenz von NPD-bekannten Akteuren am heutigen Abend auch bestätigte.

Lediglich an die 80 Personen folgten dem rassistisch durchsetzten Aufruf des ominösen Bündnisses, das sich unter anderem auch gegen den Bau einer Moschee in Gohlis einsetzt.

Dazu Juliane Nagel, Stadträtin in Leipzig und Anmelderin der Kundgebung des Bündnisses “Refugees welcome”: “Die Zahl derer, die am Montag Abend in Schönefeld gegen Rassismus protestierten, war überwältigend. Hier zeigt sich, dass zahlreiche Menschen in dieser Stadt die rassistische Stimmungsmache nicht länger dulden wollen. Erfreulich ist zudem, dass zahlreiche EinwohnerInnen aus Schönefeld den Weg in die Volksgartenstraße fanden.” Die Kundgebung von “Leipzig steht auf” war bereits die fünfte Aktion gegen die Notunterkunft für Asylsuchende in der ehemaligen Fechner-Schule seit Mitte November.

Juliane Nagel weiter: “Trotzdem die Szenerie am Montagabend ein klares Zeichen für einen solidarischen Umgang mit Flüchtlingen war, dürfen wir genau jene nicht aus dem Blick verlieren. Vor Verfolgung oder Krieg geflohen, suchen diese Menschen in Deutschland Zuflucht um ein normales Leben zu führen. Doch hier erwartet sie neben einer ressentimentgeladenen Stimmung auch die Härte des deutschen Asylsystems.

Die Unterstützung der geflüchteten Menschen darf sich nicht in Protest gegen die Aufmärsche von Nazis und rechten Bürgerinitiativen erschöpfen. Wir brauchen ein grundsätzliches und alltägliches Klima der Offenheit und Solidarität sowie dringende strukturelle Verbesserungen der Lebenssituation von Asylsuchenden z.B. durch eine bessere Wohnsituation fernab von Massenunterkünften, die Ermöglichung einer Erwerbsarbeit nachzugehen und die Abschaffung der Residenzpflicht.

Ich hoffe, dass sich die Stimmungsmache gegen die Notunterkunft in Leipzig-Schönefeld mit dem heutigen Abend erschöpft hat. Zumindest die Tarnung der NPD als “Bürgerbündnis” dürfte sich damit erledigt haben.”

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