Seit der Einladung der Landtagskandidaten verschiedener Parteien zum Wahlkampfforum Süd der L-IZ.de sind wenige Tage vergangen. Tage, in denen die AfD Leipzig mit Andreas Mölzer (FPÖ) einen österreichischen Politiker nach Leipzig eingeladen hat, der Berater von Jörg Haider war und im EU-Wahlkampf derbe Töne wie "Negerkonglomerat EU" anschlug. Gleichzeitig konnte der Leipziger Landtagskandidat der Grünen Jürgen Kasek erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man die Anhänger der AfD reizt. Und welche verbalen Tiefschläge dies auslösen kann.

Wer in Sachsen von Konservativen gewählt werden möchte, muss möglichst anständig erscheinen. Allzu wild mag’s der Wähler in diesem Bereich dann doch nicht, eher beschaulich dahingleitend, mit möglichst viel wirtschaftlichem Sachverstand – und sei es auch nur zum Schein. Attribute, welche regelmäßig in den vergangenen Jahren das sächsische Wahlpendel zugunsten der CDU bewegte. Die AfD Sachsen möchte also möglichst konservativ sein, ein bisschen rebellisch aber auch, sonst wäre es ja wieder CDU. Soweit man von heutigen Burschenschaftern und ehemaligen CDU-Mitgliedern Rebellion verlangen kann, die Forderungen im sächsischen Wahlprogramm der “Alternative” gleicht in vielen Punkten dem der CDU. Nicht verwunderlich, viele AfD-Mitglieder waren lange Jahre in der CDU aktiv.

Ansonsten sagen die Wählerwanderungen der letzten Wahlen in Sachsen, dass sich die AfD mit der Linkspartei und der NPD um die Enttäuschten und Frustrierten balgt. AfD-Hauptansatz zwei also: die Lösung vieler Probleme ist national-sozial, will man das Protestpotential an der Wahlurne abschöpfen. Hier versammeln sich dann die “patriotische Plattform” innerhalb der AfD, straff national, gegen Zuwanderung, für mehr Deutschland. Und die Bewegung der sogenannten “Identitären”. Hier wird’s dann elitär und durchaus islamfeindlich. Für Sozialwissenschaftler Alexander Häusler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf steht jedenfalls fest. “Die Identitären sind eindeutig rassistisch, islamfeindlich und völkisch eingestellt.”

Das Gemisch verfing bei den letzten Wahlen zum Bundestag 2013 und in den Kommunal- und Europawahlen 2014 ganz gut, doch es zeigen sich auf dem EU-kritischen Kurs gegen alle “Systemparteien” auch deutliche Probleme. Immer wieder droht die AfD ins radikale Lager abzukippen, vor allem dann, wenn sie die Welt auf den nationalen Raum verengt. Wobei die Zustimmungskurve bei den Wählern, die in der AfD-Spitze Bernd Lucke gern als seriös-wirtschaftlich denkenden Ökonomen sehen, durchaus absinkt, wenn radikale Reaktionen an der Basis ein weiteres Gesicht der Partei offenbaren.
Wenig seriös fielen die Reaktionen gegenüber Landtagskandidaten Jürgen Kasek (B90/Die Grünen) aus, welcher die AfD Leipzig nun im Wahlkampf provozierte. So formulierte er in einem Twitterpost vor einigen Tagen – satirisch, wie er betont: “Ab sofort empfehle ich nicht mehr zum Friseur Gentlemens Cut in #Leipzig zu gehen. Inhaber ist ein #AfD ler. Man weiß nie wo die Schere ansetzt”. Der Leipziger Grüne ist seit Jahren für seine Haltungen bekannt – auf Demonstrationen mit Stinkefinger gegen die NPD, im Alltag mit programmatischer Arbeit im Stadtvorstand der Leipziger Grünen.

In einem Statement gegenüber L-IZ.de teilt Kasek nun mit: “Die gegen mich erhobenen Vorwürfe, ich habe damit zum Boykott aufgerufen, entbehren jeder Grundlage.” Der Beitrag impliziere vielmehr, dass er seine vorherige Empfehlung des Geschäftes nun zurücknehmen müsse. “Der Eintrag ist von mir gelöscht worden, da er missverständlich war und der darin enthaltene satirische Charakter, einigen Lesern offenbar verborgen blieb. Im Wortlaut habe ich zum Ausdruck gebracht, dass ich einen bestimmten Friseur nicht mehr empfehlen kann, da Inhaber ein AfD Mitglied sei. Meine Aussagen, dass die AfD in Teilen ein Naziproblem hat, Ideologien der Ungleichwertigkeit verbreitet und damit nicht mit beiden Füßen auf den Boden des Grundgesetzes steht, werde ich nicht zurücknehmen und habe sie auch nicht zu bereuen.”

Und als ob sich Anhänger der AfD anschicken wollten, mal deutlich zu zeigen, wie man mit unliebsamen politischen Gegnern umgeht, gab es daraufhin eine Reaktion, welche netztypisch aggressiv daherkam, jedoch noch darüber hinausging. Was sich nach diesem Beitrag seitens der AfD-Anhänger bei Facebook, Twitter und an seinem Telefon sowie per Mail nach seinen Schilderungen über ihm ergoss, kann man getrost als einen Eimer Gülle überzeugter Nationalisten bezeichnen. Einige scheinen darüber auch die sonst so hervorgekehrte gute Stube weit hinter sich gelassen zu haben.
Jürgen Kasek zum weiteren Verlauf gegenüber L-IZ.de: “Dass sowohl die Alternative für Sachsen, als auch der Kreisverband Leipzig, den Screenshot des Twitterposts von der Seite des offen neonazistischen Forum “RockNord” übernommen haben, welches vom Verfassungsschutzbericht überwacht wird, spricht ebenso für sich wie die Tatsache, dass ich seit Tagen anonyme Anrufe, beleidigende Mails (Zitat: “Halt die Fresse”, “Ökofaschist”, “Nazi”, “Kinderficker”,) und eine Reihe von ähnlich klingenden Beleidigungen unter den Posts der AfD zum Thema zu finden ist.”

Weder die Drohungen, noch die Aufrufe zur Körperverletzung oder Beleidigungen würden Kasek dabei einschüchtern, gäben ihm aber zu denken. Auch, dass die in Facebookaccounts der AfD selbst stattfindenden Aggression niemand Einhalt gebot, ist bemerkenswert. Ähnlichkeiten zu rechtsradikalen Shitstorms seien ebenfalls zu erkennen. In seinem Facebookaccount schreibt er deshalb: “Mir wird mit Anzeigen gedroht und Aufrufe zur Körperverletzung machen die Runde. Nun, Beschimpfungen, Beleidigungen und Morddrohungen bin ich gewöhnt, das kenne ich bereits von der NPD. Aber hier zeigt sich auch recht deutlich, dass ein Teil der Anhänger der AFD neonazistisches Gedankengut in sich trägt und die Partei Einstellungsmuster der Diskriminierung und Menschenverachtung teilt und Aufrufe zur Gewalt stillschweigend duldet und toleriert.”

Es zeigt sich dabei aber ein noch tiefer liegendes Problem, als nur offener Hass und Aggressionen. Wer in unzähligen Statements und Wahlwerbung mehr Abgrenzung statt mehr Zusammenarbeit propagiert, gerät schnell über “stolz auf Deutschland” in den Bereich “Deutschland, Deutschland über alles”. Womit dann die gemeint sind, die irgendwie “drunter” sein müssen – Einwanderer, Flüchtlinge, sozial Schwache, postkolonial abgehängte Länder und der vorgeblich arme Süden. Die Grenzen sind ab hier immer fließend. Die AfD Sachsen pflegt folgerichtig Netzwerke zu Nationalisten in Europa, auch Richtung Österreich.

Und sieht, wie AfD-Landtagskandidat Roland Ulbrich auf Facebook, in Presse-Schlagzeilen wie “Um Ausländer-Maut zu sparen: FPÖ will Wiedervereinigung mit Deutschland `offen diskutieren`” scheinbar Themen, die es wert seien, Beachtung zu finden. Also doch mehr Europa, ein neues Großdeutschland oder nur das Europa der Reichen? Mit der rechtsnationalistischen FPÖ Hand-in-Hand für ein neues Vaterland? Es klingt zumindest ziemlich “alt-deutsch”, gestrig und dadurch unangenehm vertraut. Hier beginnt die Schnittmenge mit der NPD, welche im derzeit eher schlecht für sie laufenden Wahlkampf in Sachsen schon zu rufen scheint “Hier, hier – wir sind doch aber das Original, wenn es um gepflegtes Gegeneinander geht.”

Mit der Einladung eines ausgewiesenen Rechtspopulisten wie Andreas Mölzer durch AfD-Kandidat Roland Ulbrich, am 21. August Wahlkampfunterstützung zu leisten, wird der weniger seriöse Teil des Bildes der AfD schärfer. Wo der berühmte Satz “Das wird man wohl noch sagen dürfen” angeblich Meinungsfreiheit meint und Ausgrenzung und Angriff auf Andere bedeutet, da wird die Meinungsfreiheit anderer auf einmal zum “Ökofaschismus”.

Apropos Meinungsfreiheit, auch hier scheint es Probleme bei der AfD zu geben. So versuchte ein beauftragter Anwalt, umgehend Jürgen Kasek mit einer einstweiligen Verfügung zu überziehen, in welcher er aufgefordert wurde, seine Äußerungen bezüglich des “Gentlemens Cut” nicht zu wiederholen. Für Kasek ein deutliches Zeichen. Wo die AfD “… gegen die vorgeblichen Systemparteien wettert, da diese unliebsame Meinungen unterdrücken würden, versucht sie nunmehr mit juristischen Mitteln gegen eine unliebsame Meinungsäußerung vorzugehen und diese zu verbieten.”

Es deutet sich jedoch an, dass die AfD mit diesem Schritt wenig Erfolg haben wird, Kasek jedenfalls bleibt seiner Grundlinie gegenüber der AfD treu. Diese selbst scheint mit der “harten Gangart” in Wahlkampfzeiten bestens zurechtzukommen, solange es gegen andere geht. Das Wort “Negerkonglomerat” Mölzers weist dabei die eine Richtung der nicht mehr so ganz neuen Partei. Dass sich danach sogar die wenig mittige FPÖ von ihm trennte, scheint die Leipziger AfD nicht zu stören. Zum Märtyrer eignen sich die vorrangig männlichen AfD-Kandidaten in Sachsen also eher weniger, hier wird gern mal rustikal hingelangt. In der Nähe solcher Worte wie “Negerkonglomerat” wohnt bis in die heutigen Tage der gute alte Herrenmensch mitsamt seiner autoritären Überlegenheitsphilosophie aus kolonialistischen Zeiten. Zeiten, wo die harte Hand die Kindererziehung bestimmte, studieren konnte, wer Geld besaß und Widerspruch oder gar diese lästige Meinungspluralität massiv bekämpft wurde.

Für Jürgen Kasek steht nach seiner Befassung mit der AfD fest, dass ” … die AfD Ideologien der Ungleichwertigkeit verbreitet und damit Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit weiter fördert.” Damit verließe die Partei wie auch die NPD den grundrechtlichen Boden in einer Demokratie, schüre diffuse Ängste und verbreite Hetze, so Kasek. Wenn man dies attestiert, stellt sich die Frage, wie damit umzugehen wäre? “Die AfD gilt es daher nicht zu dämonisieren, sondern ihren inhaltsleeren Populismus und völlige Ahnungslosigkeit, die sich immer wieder zeigt, deutlich zu benennen und ihr argumentativ entgegenzutreten. Wer AfD wählt, wählt nicht Protest sondern inhaltslosen, menschenverachtenden Populismus”, so Kasek.

Wer oder was ist also die sächsische AfD? Gibt es vielleicht sogar mehr als nur eine, wenn Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) es eine Weile für möglich hielt, nach dem 31. August vielleicht doch mal verhandeln zu können und anschließend zurückruderte?

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