Es ist kein Leipziger Thema allein. Doch mit 22.000 Dauererwerbslosen in der Messestadt beileibe kein kleines. Derzeit berät die Bundesregierung - mehr oder minder transparent - über Veränderungen der Gesetzgebung im SGB II. Neben einer Anhebung von 391 Euro auf 399 Euro (Alleinstehende) des Satzes versucht das Bundesarbeitsministerium die Sanktionspraxis zu vereinfachen, um die Rate der berechtigten Einsprüche und die zu etwa einem drittel verlorenen Gerichtsverfahren zu senken. Und könnte damit nach Meinung der "Erwerbslosenhilfe Leipzig" zu einer noch deutlich härteren Gangart an den Jobcentern beitragen. Sie rufen deshalb für den 2. Oktober zum Protest vor dem Jobcenter Leipzig auf.

Auf Bundesebene soll noch in diesem Herbst eine “Rechtsvereinfachung” für die Jobcenter im Lande eingebracht werden. Noch ist über die neuen Regelungen nicht alles bekannt, ein wirklicher Entwurf liegt noch nicht vor. Doch was bereits bekannt wurde, lässt die Arbeits- und Erwerbsloseninitiativen in ganz Deutschland wach werden. So auch die Erwerbsloseninitiative Leipzig mit Katrin Rößler an der Spitze. Hier spricht man von der Einführung eines “Sonderrechtes” für Arbeitslose.

So seien neben positiven Weiterentwicklungen laut Erwerbsloseninitiative (ELO) vor allem folgende Änderungen in der Sanktionspraxis geplant: “Bei Sanktionen sollen künftig immer 30 %, also auch für Meldeversäumnisse gelten. Diese wurden bisher mit 10 % sanktioniert und machen ca. 70 % aller Sanktionen aus. Dies ist also eine drastische Verschärfung.” Was überdies besonders ins Auge sticht, ist der Versuch des von Andrea Nahles (SPD) geführten Ministeriums, die häufig berechtigten Widersprüche einzuschränken und die Hürden zu erhöhen. Wenn es darum geht, dass sich Erwerbslose gegen falsche Bescheide und Sanktionen zur Wehr setzen. So sollen laut ELO “Überprüfungsanträge (…) weitgehend unmöglich gemacht werden. Selbst bei groben Fehlern soll für die Vergangenheit erst nachgezahlt werden, wenn das Bundessozialgericht in der Sache entschieden hat. Dies bedeutet nach zirka 5 bis 6 Jahren. Für Widersprüche und Klagen soll eine Kostenpauschale von 20,00 Euro eingeführt werden.”

Wo die Fristverlängerung bedeutet, dass es quasi am Sankt-Nimmerleinstag eine Korrektur für Fehler der Jobcenter gäbe, sind auch 20 Euro eben nicht wenig Geld für jemanden, der über ein wortwörtliches Existenzminimum verfügt. Dessen Kürzungsmöglichkeit seit längerem in der Kritik steht. Unterstellen Sanktionen und damit jede Kürzung bei einer Existenzgrundlage doch logisch folgernd, da sei noch Luft und die Würde des Menschen eben doch antastbar. Hinzu kommt die beständige Unterstellung, auch die rund 22.000 in Leipzig lebenden Erwerbslosen seien eben nicht gewillt zu arbeiten. Ein Märchen, was die Mehrheit betrifft, welches längst durch medial aufbereitete Sinnlosschulungen, dem 10. Bewerbungstraining und anderen Beschäftigungstherapien widerlegt ist.
Der ungebrochene Trend zur Automatisierung und der Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer arbeitet seit Jahren kraftvoll einer effektiven Auflösung der sogenannten “Sockelarbeitslosigkeit” in den Industriestaaten Europas entgegen. Erwerbslose werden so zunehmend zu verwalteten Menschen, ohne einen geförderten Arbeitsmarkt gelingt der Wiedereinstieg in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt selten. Bleiben Weiterbildungsschleifen, Sanktionen bei kleinsten Fehlern und oft genug psychologische Probleme bei den Betroffenen. Menschen, die in der Effizienzmaschine keinen Platz mehr finden, werden zur Verfügungsmasse für eine staatlich alimentierte Weiterbildungsindustrie. Und zum lästigen Kostenposten der Kommunen.

Die Erwerbsloseninitiative dazu: “Ist das SGB 2 an sich schon schlimm genug, erst recht unter der Berücksichtigung der geplanten Änderungen, so sind es die JobCenter in den Kommunen, die dem Ganzen die Krone aufsetzen mit sogenannten Internen Anweisungen zu Kosteneinsparungen.” Eine solche hatte auch 2013 in Leipzig ebenso für Verärgerung gesorgt, wie die immer wieder verschobenen Anpassungen der Berechnungen zu den “Kosten der Unterkunft” – salopp, den Geldern für Miete und Energie für Erwerbslose. Hier versucht Leipzig seit Jahren die Kosten ebenso zu drücken, wie durch mehr oder minder offen geforderte Sanktionsquoten. Das Fördern ist oft nicht mehr erkennbar, am Fordern scheint man nun wieder zu basteln.

Dass jedoch ein bislang geltendes Sonderrecht aufgehoben werden soll, findet die ELO gut. “Die U25-Sonderregeln in diesem Punkt sollen entfallen” so die ELO. Also keine bis zu 100 Prozent Kürzungen eines – man darf es gern wiederholen – Existenzminimums mehr. Wobei man sich in der Tat fragt, wie es dazu kommen konnte, dass unter 25-Jährige überhaupt mit Sondersanktionshöhen bedacht werden dürfen. Weiterhin positiv aus Sicht der Leipziger Initiative: “Auch die Mieten dürfen nicht mehr von Sanktionen betroffen sein.” Vielleicht hat auch nur irgendwer verstanden, dass es nicht sehr sinnvoll ist, aus Erwerbslosen auch noch Obdachlose zu machen?

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Dafür versucht sich das Ministerium von Nahles gerade an weiteren Vorschlägen beim Thema Wohnen, welche diese geplanten Verbesserungen für Hartz IV-Empfänger wieder etwas versalzen könnten. “Die Heizkosten sollen in die Berechnung des Unterkunftsbedarfs einfließen, ein Desaster für viele in schlecht isolierten Wohnungen. Die Mieten sollen noch weiter begrenzt werden, so dass Umzüge kaum noch genehmigt werden. Wer also billig aber vielleicht schlecht oder beengt wohnt, wird kaum noch eine Chance auf angemessene Wohnung bekommen”, so die Erwerbsloseninitiative Leipzig.

Natürlich werden davon eher Umzüge betroffen sein, welche eine Verbesserung für den Betroffenen darstellen – wird die nun mit den Heizkosten kombinierte Miete als zu hoch empfunden, könnten einige durchaus Stück um Stück zu Umzügen gedrängt werden.

Einen Grund für diese und weitere Änderungsvorschläge sieht die ELO vor allem darin, dass bislang “Die Vorschläge zu den Gesetzesänderungen (…) einzig von Jobcentern und Kommunen” stammen. “Wohlfahrtsverbände und Interessenvereinigungen für Erwerbslose wurden weder befragt noch wurden deren Forderungen berücksichtigt.”

Für Kathrin Rösler ist das Fazit zum derzeitigen Stand der Dinge klar: “Die als `Rechtsvereinfachung` geplanten Gesetzesänderungen sollen die Rechte der Empfänger von Grundsicherung für Erwerbslose weiter einschränken und noch mehr Einsparungen generieren.”

Die Protestveranstaltung findet am 02.10.2014 in der Zeit von 08:00 bis 12:00 Uhr vor dem Jobcenter Leipzig in der Georg-Schumann-Str. 150 statt. Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche gegen bereits bestehende und geplante neue Schikanen zu Lasten der Bedürftigen ruft die Erwerbsloseninitiative zur Teilnahme auf.

Die Demonstration ist der Höhepunkt der bundesweiten Aktionswoche, die unter anderen von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), der Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen (BAG PLESA), dem Erwerbslosenforum Deutschland, dem Netzwerk und der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), der Initiative Soziales Europa, Tacheles e.V. Wuppertal und den ver.di-Erwerbslosen getragen wird. Die Erwerbsloseninitiative Leipzig e. V., die Autonome Erwerbsloseninitiative und die Erwerbslosenberatung Zweieck haben sich angeschlossen.

Mehr Informationen, Treffen und Unterstützungsangebote für Erwerbslose unter
www.elo-leipzig.de

Zum Interview vom 26. September auf L-IZ.de
Hartz IV in Leipzig: Rechtsanwalt Dirk Feiertag im Interview zu den Neuregelungen im SGB II
Der Freibetrag für Einkünfte aus Ehrenamt soll von 200,00 Euro auf die tatsächlich gezahlte Aufwandsentschädigung abgesenkt werden.

Selbstständige Aufstocker sollen nur noch für maximal 24 Monate einen Anspruch auf Aufstockung haben. Selbst Finanzämter und die IHK sagen, dass es rund 5 Jahre braucht, bis eine Selbstständigkeit sich trägt.

Der Alleinerziehendenzuschlag soll nur noch für Aufstocker bezahlt werden.

Kinder, die zur Ausübung des Umgangsrechtes besuchsweise beim anderen Elternteil verweilen, bekommen für diese Zeit den Regelsatz beim zu besuchenden Elternteil zugeschlagen. Bei dem Elternteil, wo sich die Kinder überwiegend aufhalten, soll dieser Betrag abgezogen werden.

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