So richtig belastbar ist das zwar alles längst nicht mehr. Dazu schleichen sich in 22 Jahren zu viele Unwägbarkeiten ein, wenn man immer weiter rechnet von einer Bevölkerungszahl Stand 3. Oktober 1990. Aber man kann Trends ablesen. Der eine tut es so, der andere so. Aber es ist ziemlich sicher, dass die sächsische Staatsregierung nicht wirklich viel dafür kann, auch wenn Wirtschaftsminister Sven Morlok gleich am Samstag, 10. März, noch ein Statement dazu in die Welt sandte.

Auch im November konnte für den Freistaat ein Wanderungsüberschuss verzeichnet werden, teilte sein Ministerium mit. Insgesamt sind 1.286 mehr Menschen nach Sachsen gezogen, als abgewandert sind (Vorjahresmonat: 768). Das ist der höchste November-Wert seit 1995.

Für die ersten elf Monate 2012 ergibt sich für den Freistaat ein Wanderungsüberschuss von 11.403 Personen. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum lag der Wanderungssaldo bei +3.631 Personen. Für das Jahr 2012 insgesamt wird mit einem neuen Rekordwert seit 1995 gerechnet.

“Die Zahlen sprechen für sich”, meinte Sachsens Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Sven Morlok. “Dass der Wanderungssaldo nun seit fast zwei Jahren stabil positiv ist, belegt eine nachhaltig positive Entwicklung. Viele, vor allem junge Menschen kommen nach Sachsen und bleiben, weil sie gute Ausbildungs-, Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden. Sachsen ist ein Zuwanderungsland, und ich bin zuversichtlich, dass das auch in Zukunft so bleiben wird.”

Das mit den “guten Ausbildungs-, Lebens- und Arbeitsbedingungen” darf man getrost in Gänsefüßchen schreiben. Ein Saldo wächst nämlich nicht nur dann, wenn mehr junge Leute ins Land kommen, sondern auch dann, wenn weniger junge Leute wegziehen. Und Letzteres ist seit nunmehr drei Jahren der wesentliche Effekt dabei – bedingt durch die seit 2010 quasi halbierten Ausbildungsjahrgänge. Die sächsischen Unternehmen haben kaum noch eine Wahl: Wer ausbildungsfähig ist, wird genommen und muss nicht mehr nach Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg abwandern.

Dass die Zuwanderung junger Menschen höher ist als die Abwanderung, hat mit den Studienanfängern zu tun. Tatsächlich sind mittlerweile alle Hochschulen in der Bundesrepublik überbelegt – die Kapazitäten sind nicht mit dem Anstieg der Abiturientenzahlen gewachsen. Deswegen kommen auch viele Studienanfänger aus den etwas älteren Bundesländern. Was vor allem Auswirkungen auf die Bevölkerungszahlen der drei Großstädte hat.Leipzig hat nach der Hochrechnung für November 541.769 Einwohner gehabt (im Dezember waren es nach der vorläufigen Fortschreibung 542.117). Man kann sich ja schon mal an die Größenordnung gewöhnen, auch wenn irgendwann im Mai endlich (hofft man) die neuen Basiszahlen auf Grundlage des “Zensus 2011” vorliegen. Aber alle Großstädte in der Bundesrepublik profitieren von der höheren Studienbereitschaft der Schulabsolventen. Städte wie München, Frankfurt oder Stuttgart platzen längst aus allen Nähten. Dort steht der soziale Wohnungsbau deshalb längst wieder auf der Tagesordnung. Dasselbe wird auch in Dresden und Leipzig zu kommen. Es ist nur noch eine Frage weniger Jahre.

Wie stark Leipzig mittlerweile wächst, zeigt der Vergleich mit der letzten Bevölkerungszahl für 2011: Da standen 531.809 Leipziger in der Statistik. Binnen eines Jahres hat Leipzig also über 10.000 Einwohner dazugewonnen.

In Dresden ist der Effekt nicht ganz so stark. Dort wuchs die Bevölkerung vom Dezember 2011 bis Dezember 2012 von 529.781 auf 535.561. Aber wie unsicher die Hochrechnungen mittlerweile geworden sind, zeigt die nun vorgelegte Zahl für November 2012: 536.623. Hat Dresden gleich im Dezember wieder 1.000 Einwohner verloren? Wohl eher nicht.

Chemnitz wird für November jetzt mit 244.187 Einwohnern ausgewiesen. Im Dezember 2011 waren es noch 243.173. Das Wachstum hat also auch die alte Industriestadt wieder erfasst. Ein Wachstum, das in Sachsen wie andernorts freilich vor allem auf Kosten der ländlichen Räume geht.

Die Zahl der Sachsen, die in den drei kreisfreien Großstädten leben, hat sich von Dezember 2011 bis November 2012 von 1.304.763 auf 1.322.579 erhöht, während in den Landkreisen die Bevölkerungszahl von 2.832.288 auf 2.811.116 sank. Der Anteil der Großstadtbewohner hat sich also in den elf Monaten von 31,5 auf 32 Prozent erhöht.

Der Bevölkerungsverlust des Freistaates hat sich freilich dadurch, dass immer weniger junge Menschen wegen einer Ausbildung das Bundesland verlassen müssen, deutlich verringert, beträgt zum Jahresende 2012 wohl nur noch 5.748 (0,1 Prozent). 2011 hatte dieser Rückgang noch bei 12.426 Personen (0,3 Prozent) gelegen, 2010 noch bei 19.255 Personen (0,5 Prozent). Bei all diesen Zahlen – und zumindest Sven Morlok registriert das ja – wäre es allerhöchste Zeit, die Regierungspolitik endlich umzujustieren. Denn die arbeitet in allen Bereichen – von der Polizei über die Schule bis zu den Hochschulen – mit Zahlen und Hochrechnungen, die von der Entwicklung längst überholt sind.

Stur einfach an diesen so genannten “Reformen” festzuhalten und das Land herunterzusparen, bis es nicht mehr atmen kann, ist eine desaströse Politik und entzieht dem Land die Wettbewerbsfähigkeit, die es in den nächsten Jahren dringend braucht, um den Anschluss nicht zu verlieren.

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