Sie sind zwar stolz auf ihre Rechenergebnisse, die Statistiker von Bund und Ländern. Aber wie belastbar ist die jüngste Meldung des Sächsischen Landesamtes für Statistik? - "1.478 Stunden arbeitete jeder Erwerbstätige im Durchschnitt im Jahr 2012 in Sachsen", meldete das Amt am Dienstag, 19. März. Und: "Das durchschnittliche Arbeitspensum eines Erwerbstätigen sank im Jahr 2012 auf 1.478 Stunden und war etwas niedriger als im Jahr 2011."

“Die Pro-Kopf-Arbeitszeit in Sachsen lag jedoch um 81 Stunden über der durchschnittlichen Arbeitszeit je Erwerbstätigen in Deutschland. Vergleicht man die geleisteten Stunden mit dem Jahr 2000, so zeigt sich hier eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeit in Sachsen”, lesen die Kamenzer Statistiker aus dem Zahlenwerk heraus, das der Arbeitskreis “Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder” vorgelegt hat.

“Mit den aktuellen Ergebnissen zum Arbeitsvolumen werden vom Arbeitskreis ‘Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder’ auch die Daten ab 2000 entsprechend der Klassifikation WZ 2008 neu publiziert”, heißt es in der Erläuterung. “Im Rahmen der Revision 2011 erfolgten außerdem die Einbeziehung neuer statistischer Quellen sowie die Umsetzung verbesserter Berechnungsmethoden.” Was die Probleme der Rechnung noch nicht transparent macht. Denn eine zentrale Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten gibt es nicht. Einige Tätigkeiten fließen pauschalisiert in die Berechnung ein. Wenn sich bestimmte Tätigkeitsmuster über die Zeit deutlich verstärken, verändert das logischerweise auch die Grundlagen.

“Im Jahr 2000 lag die Pro-Kopf-Arbeitszeit bei 1.550 Stunden und damit knapp fünf Prozent über der vom Jahr 2012”, so die Auswertung der Kamenzer Statistiker. “Innerhalb Sachsens gab es zwischen den Branchen aber deutliche Unterschiede. Mit 1.718 Stunden je Erwerbstätigen war das Baugewerbe 2012 der Bereich mit der längsten Arbeitszeit. Im Gegensatz dazu betrug die Arbeitszeit im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit nur 1.419 Stunden je Erwerbstätigen.

Hauptursachen für die Unterschiede zwischen den Ländern bzw. Branchen waren neben der Wirtschaftsstruktur die unterschiedlichen tariflichen bzw. individuellen Arbeitszeiten sowie die steigende Bedeutung von Teilzeitbeschäftigung und Minijobs.”

Das Problem ist den Statistikern durchaus bewusst. In seinem Methodenhandbuch erläutert der Arbeitskreis “Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder” explizit die Schwierigkeit, für all die “modernen Instrumente” des Arbeitsmarktes überhaupt relevante Zahlen zu ermitteln.

“Für die Arbeitsvolumenrechnung stehen nur allgemeine Regelungen der Arbeitszeit auf der Basis von Tarifverträgen zur Verfügung. Neuere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zur Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen, wie Abweichungen von Flächentarifverträgen oder Sonderregelungen in einzelnen Unternehmen, die vor allem in kleineren regionalen Einheiten Auswirkungen haben können, können mit einem allgemeinen Rechenmodell nur unvollständig abgebildet werden”, heißt es da. “Die einschränkende Bezeichnung ‘Standard-Arbeitsvolumen’ für die Kreisebene bringt daher zum Ausdruck, dass die Rechenergebnisse an allgemeinen tariflichen Standards ausgerichtet sind, bedeutsame lokale Besonderheiten aber ggf. nicht treffend wiedergeben können.”

Das wäre in einer seriösen Statistik eigentlich der Punkt, für solche “bedeutsame lokale Besonderheiten” Fehlertoleranzen anzugeben. Das müsste das Statistische Landesamt für Sachsen eigentlich tun. Man weiß eigentlich in Kamenz, dass der komplette Osten und das Niedriglohnland Sachsen insbesondere tatsächlich dadurch gekennzeichnet sind, dass tariflich bezahlte Vollzeitarbeitsplätze die Ausnahme und nicht die Regel sind. 2008 hat das Amt dazu ein recht informatives Faltblatt herausgegeben: “Erwerbstätigkeit in Sachsen unter der Lupe 2007 / 2008”. Das bildet zwar nur die Entwicklung bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 ab – aber auch damals war Sachsen schon gekennzeichnet durch einen überdurchschnittlichen Ausbau nicht-regulärer Beschäftigung.

11,4 Prozent der Erwerbstätigen waren damals schon “Selbstständige und mithelfende Familienangehörige”. Wieviele von diesen Selbständigen kamen überhaupt unter eine Stundenzahl von 1.900 oder 2.000? Wie fließen all die unbezahlten Überstunden in die Rechnung, die gerade Selbstständige leisten, um ihr Unternehmen – sei es groß oder klein – am Laufen zu halten?

13 Prozent der Erwerbstätigen waren damals schon marginal beschäftigt, jobbten in Mini- und Midi-Jobs. Dass 72,8 Prozent der Beschäftigten “nicht marginal” beschäftigt wurden, heißt weder, dass sie gut bezahlt wurden, noch dass sie reguläre Arbeitsstunden von 36 oder 40 pro Woche hatten. Schon das damalige Faltblatt stellt trocken fest: “Die steigende Zahl der Erwerbstätigen beruht auch auf dem starken Zuwachs an Teilzeitjobs. Über 155.000 Teilzeitstellen kamen im Freistaat Sachsen in den letzten 10 Jahren hinzu. Während die Teilzeiterwerbstätigkeit um 74 Prozent zugenommen hat, verringerte sich die Zahl der Vollzeitstellen im gleichen Zeitraum um mehr als 217.000 (14 Prozent).”

Da steht auch zu lesen: “Von den knapp 1,7 Millionen sächsischen Arbeitnehmern, also Arbeitern, Angestellten und Beamten, verfügten 2007 über 330.000 Personen über einen befristeten Arbeitsvertrag. Das bedeutet, dass knapp 20 Prozent der Arbeitnehmer im Freistaat keine dauerhafte Anstellung besaßen.”Solche Verhältnisse haben Konsequenzen. Auch für die Berechnung von Arbeitsvolumina. Ein immer größerer Teil der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden verschwindet quasi aus dem Erfassungshorizont der Statistiker. Hinter den also seit 2000 scheinbar so konstant sinkenden Zahlen zum Arbeitsvolumen steckt nicht wirklich eine verkürzte Arbeitszeit für mehr Beschäftigte. Sondern – zumindest bis 2005 – ein beständiger Abbau von vollwertigen Arbeitsplätzen zugunsten von marginaler und prekärer Beschäftigung. Und das in einem weit höheren Maß als im Bundesdurchschnitt.

Seitdem klafft die Entwicklung auch in Sachsen auseinander. Während die Vollbeschäftigung in den Landkreisen weiter sank, nahm sie vor allem in den beiden Großstädten Dresden und Leipzig durch die Ansiedlung einiger Unternehmen wieder zu. In Leipzig stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2007 bis 2011 von 200.064 auf 215.886. Ein erstaunlicher Effekt, der auch erklärt, warum der permanente Bevölkerungszuwachs die sozialen Probleme der Stadt nicht noch weiter verschärfte. Doch nur ein geringer Teil dieser neuen Arbeitsplätze waren auch Festanstellungen. Die meisten entstanden im Bereich der Leiharbeit. Auch das ein Faktor, der die Berechnung von Arbeitsvolumina zusätzlich erschwert.

Wie schwierig es ist, von der vom Arbeitskreis verwendeten Berechnungsmethode tatsächlich die lokalen Besonderheiten eines Arbeitsmarktes mitsamt seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abzubilden, weiß man auch in diesem Gremium. Erstaunlich, dass die eigene Definition die lokalen Akteure nicht dazu animiert, die Ergebnisse entsprechend vorsichtig zu werten. Die Definition: “Anders als bei den Ergebnissen der regionalen Arbeitsvolumenrechnungen für die Länder werden die Ergebnisse für die kreisfreien Städte und Landkreise als Standard-Arbeitsvolumen bezeichnet. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mangels statistischer Ausgangsdaten unternehmensspezifische Sonderregelungen zu den tariflichen Arbeitszeiten in den Berechnungen nicht berücksichtigt werden.”

“Mangels statistischer Ausgangsdaten”? – Das sagt im Grunde alles. Und es bedeutet, dass diese Aussage, die das Statistische Landesamt formuliert hat, mit der Wirklichkeit wohl eher wenig zu tun hat: “Insgesamt wurde von den 1,97 Millionen Erwerbstätigen in Sachsen 2012 ein Volumen von 2.917 Millionen Stunden erbracht. Das waren 0,3 Prozent bzw. neun Millionen Stunden weniger als im Vorjahr und rund fünf Prozent bzw. reichlich 154 Millionen Stunden weniger als im Jahr 2000.”

Es deutet Vieles darauf hin, dass nicht das Arbeitsvolumen gesunken ist – eher ist es wohl sogar gestiegen – sondern dass immer mehr Beschäftigungsverhältnisse aus dem für die Bundesrepublik geltenden Tarifstandard herausgefallen sind.

Das Faltblatt zur Sächsischen Erwerbstätigkeit 2007/2008: www.statistik.sachsen.de/download/300_Voe-Faltblatt/Sb_Erwerbstaetigkeit_2007-8.pdf

Homepage des Arbeitskreises “Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder”: www.aketr.de

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