Im neuen Quartalsbericht der Stadt Leipzig bekommen die berühmten Drei Affen so richtig Zucker. Denn Zahlen lassen sich nicht wegdiskutieren. Sie können auch in der politischen Diskussion nicht einfach niedergeredet werden. Höchstens ignorieren kann man sie und so tun, als wäre die Welt ganz einfach gestrickt. Sozusagen handlich gemacht für einfache Gemüter, die sich dann mit Wörtern wie Effizienz und Entbürokratisierung schmücken.

Es vergeht seit 1990 eigentlich keine Legislaturperiode, in der nicht irgendetwas reformiert, zusammengelegt, eingemeindet oder auf diverse Weise vereinigt wird. Stets mit dem vollmundigen Versprechen, Verwaltungseinheiten zu verschlanken, die Kosten zu senken und den Bürgern bürokratische Wege zu ersparen. Im neuen Quartalsbericht beschäftigt sich Jens Vöckler recht intensiv mit den “Gemeindegebietsänderungen im Freistaat Sachsen”. Er geht auf die jüngsten – mehr oder weniger “freiwilligen” Gemeindezusammenschlüsse in Sachsen ein. Er hat aber auch mal in einer Tabelle aufgelistet, wie der Konzentrationsprozess der kommunalen Verwaltungen seit 1990 vorangetrieben wurde.

Aus damals noch 1.626 Gemeinden, die vor dem Hintergrund dessen, was das Vorbild Westdeutschland in den Jahren zuvor schon an Gemeindezusammenschlüssen vorgemacht hatte, natürlich recht kleinteilig wirkten, wurden bis zum Januar 2013 nur noch 438. Wer im Internet sucht, findet wenige verlässliche Zahlen zu den Effekten solcher Zusammenschlüsse. Egal, ob auf Gemeinde oder Kreisebene, wie 2008 bei der sächsischen Gebietsreform, die – nach Ankündigung der Regierung – jährlich Einsparungen von 160 Millionen Euro bringen sollte.

Letztere übrigens fast ausschließlich resultierend aus dem Abbau von rund 3.700 Personalstellen beim Land, von denen ein Teil an die Kommunalverwaltungen abgegeben wurde in der Hoffnung, dort “Synergien” zu erschließen. Aber weder für das Jahr 2009 noch alle folgenden wurde das Ergebnis der Gebietsreform evaluiert. Und dasselbe gilt auch für alle Gemeindezusammenschlüsse. Selbst im Leipziger Umland machen die Einwohner einst eigenständiger Gemeinden ihre Erfahrungen damit, was es heißt, wenn die Gemeindeverwaltung in einem Ort konzentriert wird und neue Großgemeinden mit 5.000 oder 8.000 Einwohnern entstehen.

Hinter der Forcierung der Verwaltungskonzentration in Sachsen steckt natürlich auch das bekannte Gespenst der demografischen Entwicklung. Weniger Einwohner bedeuten weniger Finanzzuweisungen vom Bund. Das Geld muss irgendwo eingespart werden. Dass der Freistaat diesen Einsparprozess dann noch mit schönen Worthülsen ummantelt, ist dann schon reines Marketing. Vöckler: “Nach Auffassung des Freistaats Sachsen bietet nur die Einheitsgemeinde umfassende Handlungsräume für transparente, kostengünstige, rechtssichere und schnelle Entscheidungen, weil Planungs-, Trägerschafts- und Durchführungszuständigkeiten innerhalb eines Verwaltungsträgers vereinheitlicht sind.”Er geht auch auf die Vorgeschichte dieses Konzentrationsprozesses ein, der in den 1960er Jahren in den westlichen Bundesländern begann, “aus Rationalisierungserwägungen”. Und weil der Osten ja so lernfähig ist, hat er das Experiment 1990 einfach übernommen. Und weil die ersten Zusammenlegungen nicht die erwarteten Effekte brachten, hat man immer wieder noch eins draufgesetzt. Und im Gleichschritt mit den Rationalisierern aus westlichen Landen einen Effekt verstärkt, der mittlerweile die ganze Bundesrepublik zum Wandern gebracht hat: die Entblößung der ländlichen Räume von funktionierenden Infrastrukturen (von den Allzweckwunderwaffen Autobahn und Bundesstraße mal abgesehen) und den verstärkten Zuzug in die Großstadt.

Denn Gesellschaften funktionieren nicht wie Kleinbetriebe. BWL ist für politische Gestaltungsverantwortung wirklich das falsche Studium. Auch wenn “Einheitsgemeinden” und Großkreise natürlich das Regieren leichter machen. Auch das Hineinregieren in die Kommunalpolitik – ob beim Naturschutz, bei der Bildung, bei der Finanzpolitik.

Nur für die betroffenen Bürger wird Politik immer mehr zu einem UFO. Oder um Jens Vöckler zu zitieren: “Dem Gewinn an Effektivität für die Verwaltung steht für die Bürger der aufgegangenen kleineren Gemeinden allerdings nicht selten ein Verlust an Bürgernähe, Heimatverbundenheit und oft auch infrastrukturellen Einrichtungen gegenüber.” Infrastrukturelle Einrichtungen, die dann so nach und nach verschwinden: das Gemeindeamt, die Schule, die Polizeiwache, die Kindertagesstätte, der Arzt, der Seniorentreff … und wenn man da schon so am Sparen ist, sind dann die Zugverbindung (wenn noch vorhanden) oder der regelmäßige Überlandbus das Nächste, was verschwindet.

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Nicht zu vergessen: die Betroffenheit. Wenn die Verwaltung 20 Kilometer entfernt ist, werden Sorgen mit Lärm, Verkehr, Umweltverschmutzung usw. schnell weniger drängend. Und da es keine Gemeindeverwaltungen mehr gibt, die für die Belange vor Ort kämpfen, bleibt den Bürgern nur noch die Gründung von Initiativen, um sich überhaupt noch politisch Gehör zu verschaffen. Der Rückbau von Verwaltung bedeutet auch den Rückbau von Beteiligungsmöglichkeiten. Noch ein Grund für viele vor allem junge Sachsen, dem Land den Rücken zu kehren.

Da ziehen sie sogar nach Grünau, wenn es sein muss.

In einem großen, elfseitigen Beitrag im Quartalsbericht beschäftigen sich Falk Abel, Peter Dütthorn, Andreas Martin und Ruth Schmidt mit Grünau. In dem es so nebenbei auch um die Zuzüge in die große Plattenbausiedlung am westlichen Stadtrand geht. Über Jahre hat dieser Ortsteil drastische Bevölkerungsverluste erlebt. Doch mit dem verstärkten Bevölkerungswachstum in Leipzig profitiert auch Grünau vom Zuzug vor allem aus dem Landkreis Leipzig (212 Zugezogene im Jahr 2012), Chemnitz (174 Zugezogene) und Nordsachsen (115 Zugezogene).

In Grünau finden die Zuzügler oft noch die Mieten, die sie aus ihrer Heimatregion kennen. Aber bedeutet das wirklich schon eine “Trendwende für Grünau?” – Damit beschäftigen wir uns morgen an dieser Stelle.

Leitbild der Gemeindezusammenschlüsse in Sachsen: www.kommunalberatung-sachsen.de/uploads/media/2010_06_11_Gemeindezusammenschluesse.pdf

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