Am 8. April gab's den ersten Teil, am 18. nun den zweiten. Den dritten Teil der jährlichen Umfrage der Sächsischen Staatsregierung wird es dann wohl am 28. April geben. Man verteilt die Informationen in diesem Jahr häppchenweise. Im ersten Teil ging's um die Zufriedenheit mit der Staatsregierung. Im zweiten, den die Staatskanzlei am Freitag, 18. April, veröffentlichte, um 25 Jahre Friedliche Revolution. Obwohl. So ganz trifft das auch nicht zu.

Auch wenn der Chef der Staatskanzlei, Staatsminister Johannes Beermann, erklärt: “25 Jahre nach der Friedlichen Revolution wurde viel erreicht, aber die Aufbauarbeit ist noch nicht abgeschlossen. Die Menschen nehmen wahr, dass zwischen Ost und West noch Unterschiede in den Lebensverhältnissen bestehen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass die neuen Länder weiterhin besondere Unterstützung erhalten.”

Vom 20. Januar bis zum 18. Februar 2014 hat das Institut TNS Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH im Auftrag der Sächsischen Staatskanzlei 1.038 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger in Sachsen persönlich befragt. Die ersten Umfrageergebnisse stellten der Chef der Staatskanzlei, Staatsminister Johannes Beermann, und der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner am 8. April 2014 vor.

Und auch wenn “25 Jahre Friedliche Revolution” drüber steht, geht es eher um einen Vergleich. Oder einen Abgleich von Stereotypen. Die DDR ist ja mittlerweile ein gerasterter Fragenkatalog. Und aus Sicht der sächsischen Staatsregierung passt sie in ein simples Ja/Nein-Schema. “In der DDR wurde man politisch überwacht und konnte ohne Grund verhaftet werden – trifft das zu oder nicht.” Der brave Sachse sagt heute “trifft zu”. Die Ewiggestrigen sagen “trifft nicht zu”.

So simpel kann ein Weltbild sein. So simplifiziert man Diktaturen. Und verwandelt sie in Phrasen. “Der SED-Staat war ein Unrechtsregime” – “trifft zu” sagten 73 Prozent der Befragten, 16 Prozent sagten “trifft nicht zu”. Man hat ein schönes finsteres Label gefunden für das Ganze, fertig, Klappe zu. Muss man sich nicht mehr mit beschäftigen. Warum auch? Wir sind ja in Sachsen. Da ist alles ganz einfach. Es gab niemals Blockflöten und Wendehälse, Mitläufer und Wegducker. Und am Ende waren alle Revolutionäre.

Etwas komplizierter wird es erst bei den abgefragten Phrasen, die der DDR etwas Gutes zugestehen: Immerhin 33 Prozent der Sachsen meinen, die DDR habe zu den zehn führenden Industriestaaten gehört, 25 Prozent glauben, die Regierung der DDR sei durch demokratische Wahlen legitimiert gewesen.

Kann man fragen, sicher. Aber solche Fragen gehören in einen komplexeren Kontext. Man wirft sie nicht einfach hin und fragt: Glauben Sie oder glauben Sie nicht?

Dabei geht es der sächsischen Staatsregierungen nur um den Vergleich mit dem heutigen Sachsen. Und der soll ja positiv ausfallen. Fällt er auch. Auch wenn der Angebotskatalog zu dem, was die Befragten als Gewinn bezeichnen sollen (oder als verzichtbar) wieder sehr willkürlich wirkt. Das Warenangebot steht neben Reisefreiheit und Meinungsfreiheit, als wären das Güter aus der selben Warenklasse. Und die Kurzzusammenfassung wirkt entsprechend seltsam: “Jeweils acht von zehn Sachsen zählen die Meinungsfreiheit, die Reisefreiheit und das Warenangebot zu den wichtigsten positiven Veränderungen nach 1989. Auch die Vielfalt der Medien, Sachsen als selbstständiges Land, die Möglichkeit einer Existenzgründung und die Parteienvielfalt werden von der Mehrheit der Sachsen positiv eingeschätzt.”

Doch das Verblüffende im Vergleich mit den selben Fragen aus dem Jahr 2009 zeigt: Sachsen ist auf keinem guten Weg. Während der Wert für Warenangebot und Reisefreiheit praktisch gleich blieb, sank die Zustimmung zu Meinungsfreiheit als Gewinn von 90 auf 81 Prozent. Die Frage ist so unglücklich gestellt, dass das zwei Interpretationen zulässt. Die positive: Die Sachsen sehen Meinungsfreiheit im heutigen Freistaat unter Beschuss – man denke nur an das juristische Vorgehen gehen die Teilnehmer der Demonstration 2011 in Dresden. Oder – das ist die härtere Auslegung: Die Sachsen werden wieder gleichgültiger. Ihnen ist – 15 Prozent geben es so an – Meinungsfreiheit gleichgültig. Und der Satz über der Auswertung lautet dann forscherweise auch noch “Meinungsfreiheit nun gleichauf mit Warenangebot und Reisefreiheit”.

Dafür ist das Empfinden der “Vielfalt der Medien” seit 2009 von 53 auf 65 Prozent Zustimmung hochgeschnellt. Augenscheinlich freuen sich etliche Sachsen darüber, dass es mittlerweile zur alten Medienlandschaft eine Vielzahl alternativer Medienangebote vor allem im Internet gibt.

Es gibt also zu jenen 20 Prozent, die sich zunehmend wieder abwenden und einigeln und in eine Ist-mir-egal-Haltung verkriechen, auch einen Anteil von Bürgern, die sehr wohl interessiert sind an dem, was im Land passiert. Und sie begrüßen es, wenn auch neue Parteien das politische Angebot erweitern. 51 Prozent der Befragten finden die Parteienvielfalt gut – 8 Prozent mehr noch als 2009.Dafür ist ein anderer Parameter, den die Sächsische Staatsregierung für wichtig hält, ins Rutschen gekommen. Die überall herrschende Leistungsorientierung finden nur noch 48 Prozent der Befragten gut – 2009 lag der Wert noch bei 67 Prozent. Und das in Sachsen, dem man ja nun seit Jahrhunderten gern die Tugenden Fleiß und Leistungsbereitschaft zuschreibt. Aber es gilt wie bei so vielen Tugenden: Wenn der Bogen in Politik und Wirtschaft überspannt wird, sinkt die Zustimmung. In diesem Fall rapide.

In der nächsten Folie gibt’s wieder einen Sprung zurück in die DDR. Und hier wird sichtbar, dass die Erinnerung nicht ganz so primitiv ist, wie politisch gern suggeriert. Wichtig sind dabei nicht unbedingt die 10 Prozent, die in der DDR “mehr gute Seiten” sehen. 2009 waren das sogar noch 23 Prozent. Aber wichtig sind die 59 Prozent, die sich an gute und an schlechte Seiten erinnern. Auch dieser Wert sinkt leicht – was ganz sicher mit dem Wegsterben der Älteren zu tun hat und den natürlich völlig anders geprägten Erinnerungen der Jungen.

Und auch die Einschätzung der Lebensverhältnisse “nach der Wende” ist recht durchwachsen – auch wenn die positiven Einschätzungen gleichauf mit dem Sowohl-als-auch liegen.

“Bis die Lebensverhältnisse in den neuen und alten Ländern annähernd gleich sind, wird nach Einschätzung der Sachsen noch einige Zeit vergehen. 44 Prozent schätzen, dass dies etwa in fünf bis zehn Jahren der Fall sein wird, 40 Prozent glauben, dass es noch 20 Jahre oder länger dauern wird. Nur für acht Prozent der Befragten sind die Lebensverhältnisse bereits angeglichen”, liest die Staatskanzlei dann aus der letzten Folie.

Das Verblüffende ist, dass die Anzahl derer, die sagen, die Lebensverhältnisse seien schon angeglichen oder würden es in fünf Jahren sein, seit 2009 angestiegen ist (insgesamt von 12 auf 20 Prozent), obwohl jede Auswertung des Statistischen Landesamtes zeigt, dass die Löhne in Sachsen nach wie vor bei 82 Prozent West liegen und seit Jahren stagnieren. Glauben sie lieber den Verkündungen der Staatsregierung?

Die Krux solcher Umfragen ist immer, dass sie selten unabhängig sind. Oft genug sind sie vollgestopft mit Fragen, die schon suggerieren, was die Auftraggeber – in diesem Fall die Sächsische Staatskanzlei – gern hören möchten. Und das klingt dann, wenn die Staatskanzlei das Ergebnis verkündet, so: “Auf das Leben in der DDR schauen die Menschen in Sachsen mit gemischten Gefühlen zurück. Für sechs von zehn Befragten gab es damals sowohl gute als auch schlechte Seiten. Ein Viertel sehen insgesamt mehr schlechte, nur jeder Zehnte mehr gute Seiten. Eindeutig kritisch werden die politischen Verhältnisse in der DDR beurteilt. Für drei Viertel der Sachsen war der SED-Staat ein Unrechtsregime, in dem man politisch überwacht wurde und ohne Grund verhaftet werden konnte. Lediglich ein Viertel der Befragten glaubt, dass die Regierung der DDR durch demokratische Wahlen legitimiert war.”

Nein, ganz so goldig ist der Vergleich nicht wirklich. Und nicht nur beim Thema Meinungsfreiheit und Leistungsbereitschaft ist da seit 2009 ein gewisser Stimmungsumschwung sichtbar geworden. Auch 2014 sagen 68 Prozent der Sachsen, dass sie auf die sozialen Unterschiede der Gegenwart gern verzichtet hätten. Unterschiede, die ja das Pendant dessen sind, was man so landläufig heute als Leistungsbereitschaft bezeichnet.

Man kann es auch so formulieren: 68 Prozent der Sachsen empfinden den gegenwärtigen Freistaat als sozial ungerecht.

Da könnte man vertiefend weiterfragen. Aber das macht die Sächsische Staatskanzlei lieber nicht. Das würde wohl ein bisschen zu realistisch werden.

www.regionen.sachsen.de/24980.htm

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