Es dauert, bis Behörden ihre Worte ändern. Zwar legen "Arbeitsagentur" und "Jobcenter" jeden Monat einen "Arbeitsmarktbericht" vor, aber mit dem Leipziger Arbeitsmarkt selbst hat das nichts zu tun. Hatte es auch 2005 nicht, als Stufe 4 der Hartz-Reformen in Kraft trat mit dem - falschen - Versprechen, Menschen aus der einstigen Arbeitslosenhilfe einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Es ist nicht passiert. Auch neun Jahre nach Beginn von “Hartz IV” ist die alte Barriere vorhanden, die die gut Vermittelbaren von den anderen trennt. Und statt die Soziallasten der Kommunen zu senken, die auch schon vor 2005 unter den zugewiesenen “Pflichtaufgaben” ächzten, sind diese durch immer neue Kürzungsrunden auf Bundesebene in den neun Jahren erst recht drastisch angestiegen. Leipzig bezahlt den Verschiebebahnhof aus seinem eigenen Steueraufkommen mit. Und wird den Berg einfach nicht los, nicht mal in konjunkturellen Aufschwungzeiten, wie sie die Stadt – rein statistisch – seit 2010 erlebt.

Das Einzige, was im Frühjahr abgebaut wird, ist die Arbeitslosigkeit derer, die auch früher schon gut vermittelbar waren.

“In den zurückliegenden vier Wochen ging die Zahl der Arbeitslosen erfreulicherweise auf unter 30.000 zurück”, versucht Elke Griese, die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, die jüngste Entwicklung auf dem Leipziger Arbeitsmarkt schön zu malen. Was nicht an ihr liegt. Den Ton gibt die Bundesagentur vor und hat dabei eine ganze Herde folgsamer Medien, die aus voller Brust jodeln: “Arbeitslosigkeit im April unter 3 Millionen gefallen”.

Insgesamt waren Ende April 29.451 (Vormonat 30.175) Männer und Frauen in der Stadt Leipzig arbeitslos. Der Rückgang im Vergleich zum März betrug 724 Personen. Im Vergleich zum April des Vorjahres (31.055) ist die Zahl der Arbeitslosen um 1.604 zurückgegangen.

Die Entwicklung in den verschiedenen Altersgruppen fiel unterschiedlich aus. Bei den jungen Menschen bis 25 Jahren sank die Zahl der Arbeitslosen von März auf April um 122 auf 2.726 (Vorjahr: 2.926). Bei den Lebensälteren, in der Altersgruppe ab 50 Jahren, sank die Arbeitslosigkeit um 292 auf 8.890 Personen (Vorjahr: 9.371). Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat ebenfalls gesunken. Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 27 Personen auf 9.513. Im Vergleich zum April 2013 gab es 214 Langzeitarbeitslose weniger, listet die Arbeitsagentur die Zahlen auf, mit denen sich so schön Politik machen lässt, auch wenn es in jedem Frühjahr einen solchen Effekt gibt – die Baustellen kommen im ganzen Land in Gang, es werden wieder Saisonarbeitskräfte gebraucht.

Zum statistischen Zähltag im April lag die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig bei 10,8 Prozent. Im Vormonat lag sie bei 11,1 Prozent und im April des Vorjahres noch bei 11,7 Prozent. Aber die Menschen, die durch den ganzen Hartz-4-Aufwand eigentlich erreicht werden sollten, werden nicht erreicht. Im Gegenteil. Das “Reformwerk” erweist sich mehr und mehr als einer der größten Verschiebebahnhöfe, mit denen Kosten, die zuvor der Bund trug, in die Kommunen verschoben wurden.

Umso kläglicher ist das mediale Geschrei, wenn der Bundesfinanzminister endlich mal wieder ein paar Steuergelder mehr eingenommen hat, als er ausgegeben hat, nach baldmöglichster Steuersenkung. Der Bund schönt seine Schuldenbilanz auf Kosten der Kommunen und häuft damit eigentlich die finanziellen Risiken seiner Finanzpolitik auf kommunaler Ebene an. Dort reißen die Milliardenlöcher auf, denn das Geld, das die Kommunen im Ruhrpott oder im deutschen Osten umverteilen müssen, um die “Bedarfsgemeinschaften” am Leben zu erhalten, fehlt für Investitionen. Es ist Bundespolitik, die in den Kommunen als unsanierte Schule, als desolate Straße oder Brücke sichtbar wird.

Der Bund hat gar keinen Spielraum, um Steuern zu senken. Im Gegenteil, sie müssten nach Jahren der Weihnachtsmannpolitik sogar erhöht werden.
Leipzig, das jetzt gerade einen Jahreshaushalt mit einem Defizit von 18,2 Millionen Euro genehmigt bekam, rutscht in den nächsten Jahren noch tiefer in das Dilemma. Denn da, wo Arbeitslosigkeit in Leipzig richtig teuer ist, da tut sich nichts. Im Gegenteil: Da steigen die Zahlen sogar.

Im Rechtskreis III, also dem ALG I, waren im April 6.439 Menschen arbeitslos gemeldet. Das waren 406 weniger als im Vormonat und ebenfalls 406 weniger als im April 2013. Im Rechtskreis SGB II waren 23.012 Menschen arbeitslos registriert. Das sind 318 weniger als im März dieses Jahres. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sank die Zahl deutlich um 1.198 Personen.

Aber: In Leipzig gab es im April 43.511 Bedarfsgemeinschaften. Und das sind 79 mehr als im Vormonat und gerade einmal 595 weniger als im April des Vorjahres. Außerdem betreut das Jobcenter aktuell 54.090 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug der Anstieg 106, im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 1.153 Personen. Aber seit einem halben Jahr ist hier eindeutig eine Barriere erreicht: Für die Menschen in diesem Betreuungssystem gibt es in Leipzig keinen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt mehr.

Vor einem halben Jahr erfolgte ja bekanntlich auch ein kompletter Politikwechsel, bei dem die meisten Förderinstrumente des so genannten “zweiten Arbeitsmarktes” eingedampft wurden und eine verstärkte Vermittlung der Arbeitsuchenden in den “ersten” Arbeitsmarkt forciert werden sollte. Aber genau das funktioniert nicht. Gerade weil diese Menschen in der Regel den sehr hohen Erwartungen dieses Arbeitsmarktes nicht genügen – und das aus ganz natürlichen Gründen: eine fehlende Qualifikation, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Alter, Pflegepersonen im Haushalt oder – Kinder. Besonders die Alleinerziehenden in Leipzig können ein Lied davon singen.

Wer eine Wirtschaft immer effizienter macht, rationalisiert die möglichen Arbeitsstellen für diese Menschen als erstes weg. Wer nicht (mehr) flexibel ist, der steht diesem hochtourigen Arbeitsmarkt nicht mehr wirklich zur Verfügung. Das ist die Grundlüge der so genannten Hartz-4-Reform. Der hat auch kaum Chancen, bei den neu angebotenen Stellen als Bewerber erfolgreich zu sein. Es sei denn, er macht gewaltige Abstriche an seinen Ansprüchen – zum Beispiel bei den Gehaltserwartungen.

Und da landet er ganz schnell wieder beim Jobcenter – diesmal als Aufstocker. Auch die stecken in den Zahlen zu den “Bedarfsgemeinschaften”.

Zu den angebotenen Stellen meldet die Arbeitsagentur noch: “Dem gemeinsamen Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur und des Jobcenters Leipzig wurden in den letzten vier Wochen insgesamt 1.450 freie Arbeitsstellen zur Besetzung gemeldet. Die Zahl der gemeldeten Stellen ging gegenüber dem Vormonat leicht um 16 zurück. Gegenüber dem Vorjahr betrug der Anstieg 106 Stellen (1.344).”

Und ganz unten, bei den Berufseinsteigern, wächst ja das nächste Problem nach, das sich ein wenig in der Ausbildungsbilanz versteckt.

Im April waren 1.981 Ausbildungsstellen bei der Arbeitsagentur für das Berufsausbildungsjahr 2013/2014 gemeldet. Dem stehen aktuell 1.977 Bewerberinnen und Bewerber gegenüber. Das entspricht einem statistischen Verhältnis von nahezu 1:1. “In den kommenden Wochen und Monaten setzen wir alles daran, jedem Jugendlichen ein passendes Ausbildungsangebot zu unterbreiten. Aktuell sind bereits 671 junge Menschen in Leipzig mit einer Ausbildungsstelle versorgt (Vormonat 517)”, sagt Griese dazu.

Und hat dann bestimmt die Ärmel hochgekrempelt, als sie gesagt hat: “Für den nächsten Monat erwarte ich einen weiteren Rückgang der Arbeitslosenzahl.”

www.arbeitsagentur.de

www.leipzig.de/jobcenter

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