Für die einen ist es ein Zeichen der "Konsolidierung des Leipziger Wohnungsmarktes", für die anderen ein bedrohliches Szenario: das Anziehen der Mieten in einigen Leipziger Stadtquartieren, das sich - rechnerisch - auch auf die Durchschnittsmiete in Leipzig auswirkt. Zahlen sind etwas Frappierendes. Besonders, wenn sie jeder benutzt, wie ihm gerade ist. Denn die Zahlen, die den meisten Leipziger Angst machen, sind für Investoren die herrlichste Erwartung auf Gewinn.

Im neuen Quartalsbericht der Stadt Leipzig haben sich gleich vier Autoren mit dem “gehobenen Wohnsegment in Leipzig” beschäftigt. Das gab es auch vor 2000 schon, genauso wie es auch damals Leute gab, die es sich leisten konnten. Danach kehrte im Luxuswohnungsbau in Leipzig eine gewisse Flaute ein. Doch so ab 2010 begann in praktisch allen innerstädtischen Ortsteilen der forcierte Bau von Wohngebäuden mit gehobener Ausstattung. Nicht nur Gründerzeithäuser wurden auf diese Weise wieder hochwertig saniert, auch moderne Gebäude mit allem Schnick und Schnack wurden hochgezogen.

7.209 Wohneinheiten haben die Forscher zum Stichtag 1. Juli 2014 in Leipzig gezählt, die den Kriterien des gehobenen Wohnens entsprechen – zahlentechnisch sind das 6,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter oder 2.000 Euro Kaufpreis pro Quadratmeter. Das ist noch eine überschaubare Größe. Denn offiziell gibt es in Leipzig rund 319.000 Wohnungen. Das kann man jetzt freilich nicht prozentual umlegen, denn die Autoren haben vor allem Sanierungs- und Neubauprojekte ab 2010 erfasst, dem Zeitpunkt, als die Neubautätigkeit in Leipzig erst wieder so richtig in Gang kam. Denn auch das darf man nicht vergessen: Bis 2010 gab es in Leipzig praktisch keinen Neubau mehr im mehrgeschossigen Wohnungsbau, nachdem letzte Projekte Ende der 1900er Jahre ausgelaufen waren. Und die Sanierung von alten Gründerzeithäusern lief auf Sparflamme. Der Wohnungsleerstand war einfach so groß, dass die meisten Investoren nicht viel Sinn darin sahen, ihre Bautätigkeit auszuweiten.

Das hat sich aber seit 2010 deutlich geändert. Im Grunde begann es mit der von der Stadtgesellschaft kaum wahrgenommenen Nachricht “Die Südvorstadt ist voll.” Kurz darauf gefolgt von einer ähnlichen Nachricht zu Schleußig. Ähnlich war es mit den anderen Ortsteilen entlang des Auenwaldes. Was für Investoren natürlich klar bedeutete: Wenn in den beliebtesten Ortsteilen die vorhandene Wohnsubstanz ausgeschöpft ist, steigt hier der Bedarf so, dass man auch höherpreisige Wohnungen vermieten kann. Also wird wieder investiert, manchmal im Bestand (mit zum Teil drastischen Folgen für die Altmieter), oft genug aber auch in der Baulücke. Die Neubautätigkeit erfasste das Musikviertel und das Bachviertel.

Aus Sicht der Bauträger wird Leipzig nun durch neue Wohnangebote und Qualitätssegmente bereichert. Und die schiere Zahl der Bauprojekte sagt auch: Es gibt tatsächlich eine Schicht in Leipzig, die diese Wohnungen nachfragt und bezahlen kann. Was völlig offen ist, ist die Frage: Wie groß ist sie?

Die Autoren gehen sogar davon aus, dass ihnen ein Teil dieser Wohnungen bei der Erfassung durch die Lappen gegangen ist. Sie rechnen mit rund 1.500 solcher Wohnungen, die jedes Jahr fertig werden. Und unübersehbar ihre Mieter und Käufer finden. Nach Gründerzeit und Neubau entdecken die Luxussanierer nun auch Baudenkmäler aus den 1920er und 1930er Jahren für sich, von den ambitionierten Umbauten ehemaliger Industriebauten zu hochwertigem Wohnraum gar nicht zu reden.
Die vier Autoren des Beitrags jedenfalls kommen zu der Frage, die auch andere Wohnungsmarktteilnehmer mittlerweile beschäftigt: Überhitzt sich dieser Markt nicht inzwischen? Die Mietpreise im gehobenen Segment sind in den letzten Jahren teilweise auf 10 und 12 Euro pro Quadratmeter gestiegen, die Kaufpreise auf 2.900 bis 4.000 Euro je Quadratmeter. Und eine Karte zeigt, das sich diese Wohnungen vor allem im inneren Stadtgebiet und in den Vierteln entlang des Auwaldes konzentrieren.

Und so fragen die Autoren natürlich, ob es in Zukunft noch genügend zahlungsfähige Haushalte geben wird, die sich diese Art Wohnen leisten können. Wird die wirtschaftliche Entwicklung Leipzigs tatsächlich dazu führen, dass sich immer mehr Leipziger auch Wohnungen in dieser Preisklasse leisten können? Die Autoren tendieren eher dazu anzunehmen, dass diese Entwicklung im Stadtinneren dazu führen wird, dass “mittelfristig viele einkommensschwache Haushalte aus den zentrumsnahen Stadtteilen wegziehen (müssen) …” Mutmaßlich in die Wohnsiedlungen aus DDR-Zeiten – Grünau, Heiterblick, Mockau usw.

“Bereits jetzt ist die Herausbildung von ‘Mittelschichtinsel in den inneren Städten’ auch in Leipzig zu beobachten”, schreiben die Autoren. “Dies führt zunächst zu einer kleinräumig segregierten Stadtentwicklung, langfristig entsteht eine Stadt der ‘Enklaven’.”

Segregation ist die Entmischung von Wohnquartieren – reiche Bevölkerungsteile schotten sich wieder ab, ärmere leben in besonderen Quartieren. Was in einer Stadt dann entsteht, sind “Enklaven” – als inselartige Wohngebiete, in denen die Besserbetuchten unter sich bleiben.

Alles Worte, die sich Leipzigs Stadtverwaltung bislang scheut, so auszusprechen. Immerhin kommen drei Autoren aus dem Leipziger Umweltforschungszentrum (UFZ), eine ist freie Autorin, zur Bestätigung eines Trends, den das offizielle Leipzig so noch nicht sehen will. Und auch das andere Wort, das Oberbürgermeister Burkhard Jung partout nicht benutzen will, fällt am Ende des Beitrags: “Die Wiederentdeckung von Innenstadtgebieten durch Teile des Mittelstands zeigt auch neue Probleme wie Gentrifizierung auf, denn je beliebter die Stadt wird, ‘desto mehr Konflikte und Verteilungskämpfe wird es geben'”, zitieren die Autoren.

Was ja wohl im Klartext heißt: Es ist höchste Zeit dafür, dass Leipzigs Verwaltung aufhört, sich die Leipziger Wohnungsmarktentwicklung schön zu reden. Jetzt gibt es noch Spielräume, gegenzusteuern und wirklich Wohnkonzepte zu entwickeln, die auch den Familien mit dem kleinen Geldbeutel ein bezahlbares Wohnen im Herzen der Stadt ermöglichen.

Die bisherigen Investoren haben lediglich die simplen und verständlichen Rechnungen eines klugen Unternehmers gemacht: Wenn ich 1.500 Mittelklassewagen zu einem Mittelklassepreis verkaufen kann, dann mach ich das. Das ist das Klügste, was ein Unternehmer tun kann. Für den sozialen Wohnungsbau aber braucht es zwingend die Genossenschaften der Stadt, die städtische Wohnungsbaugesellschaft und staatliche Fördermodelle, die diese Art Wohnungsbau überhaupt erst ermöglichen. Denn wenn die Wohnungsmarktreserve in Leipzig schmilzt, dann kommen zwangsläufig auch andere Wohnungsmarktsegmente unter Druck. Der Markt allein geht nach Rendite. Das ist sein Rezept. Um all die Leipziger aber, die sich dann nicht mehr wehren können, weil die Einkommen dazu nicht ausreichen, muss sich eine soziale Politik kümmern. Höchste Zeit dafür ist es.

Ein bisschen was zu den sozialen Schmerzstellen der Stadt gibt es morgen an dieser Stelle.

Der Statistische Quartalsbericht II/2014 ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er kann zudem für sieben Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden.

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