Im Landtagswahlkampf musste sich Wolf-Dietrich Rost, Abgeordneter und Kandidat der CDU, von seinem SPD-Konkurrenten Holger Mann - zumindest auf dem Plakat - vorwerfen lassen, nicht ganz so fleißig zu sein. Zum Beispiel beim Stellen von Anfragen. Möglich, dass das der Wiedergewählte nicht so auf sich sitzen lassen mag. Also hat er gleich mal eine Anfrage gestellt zu einem Thema, das man von ihm so nicht erwartet hatte: wirtschaftliche Jugendhilfe.

Immerhin ein Thema, das nicht nur in Leipzig brennt. Wenn Eltern überfordert sind, sich Probleme andeuten oder Kinder und Jugendliche selbst aus dem Raster fallen, muss die Kommune tätig werden, Hilfe und Beratung organisieren für die Familien, die Heranwachsenden in ambulante oder gar stationäre Betreuung nehmen, soziale Betreuung oder Vollzeitpflege bereitstellen. Möglichst so, dass gerade den Minderjährigen möglichst schnell geholfen wird und gefährliche Konflikte entschärft werden.

Wolf-Dietrich Rost nutzte nun die Gelegenheit um nachzufragen, wie sich die Fallzahlen in den drei sächsischen Großstädten entwickelt haben. Immerhin steht zu vermuten, dass die Fallzahlen wachsen – vor allem auf Grundlage der wachsenden Geburtenraten. Aber auch im Zusammenhang mit den keineswegs beruhigten sozialen Lebenslagen der Betroffenen. Denn eines ist ebenso Fakt: Wenn Eltern mit Beziehungs-, Job- und Geldproblemen zu kämpfen haben, haben auch die Kinder darunter zu leiden.

Nicht verblüffen dürfte Rost die Tatsache, dass die Fallzahlen von 2010 bis 2013 in allen drei Großstädten anstiegen. Am deutlichsten in der Landeshauptstadt Dresden, auch wenn Dresden 2013 mit 3.106 Fällen noch hinter Leipzig lag, das mit 3.407 Fällen einen neuen Spitzenwert erreichte. 2010 war der Abstand zwischen beiden Städten noch größer, kam Dresden auf 2.116 Fälle, während es in Leipzig schon 2.933 Fälle waren. Was ja wohl bedeutet, dass sich die Problemlage in der eigentlich finanziell besser gepolsterten Landeshauptstadt so langsam dem Problembild in Leipzig annähert.

In Chemnitz entwickelten sich die Fallzahlen ebenfalls kontinuierlich nach oben – von 1.064 auf 1.203 Fälle.

Die andere Frage, die Wolf-Dietrich Rost umtrieb, war natürlich die: Wer bezahlt das alles? Gibt es dafür so eine Art Rahmenplan? Müssen sich die Kommunen an bestimmte Vorgaben halten?

Im Allgemeinen nicht, erklärte ihm Markus Ulbig (CDU), Staatsminister des Inneren. “Die konkrete Umsetzung von Hilfen zur Erziehung geschieht vor Ort und erfolgt im jeweiligen Einzelfall auf der Grundlage eines individuellen Hilfeplans.” Und er bestätigte dem fragenden Abgeordneten noch etwas: Das, was in den drei sächsischen Großstädten passiert, ist kein Einzelfall. “In den letzten Jahren ist bundesweit ein Anstieg der Fallzahlen sowie der Kosten im Bereich der Hilfen zur Erziehung zu konstatieren.”Bundesweit? Bei sinkender Arbeitslosigkeit? Das würde die Vermutung bestätigen, dass sich hier – quasi indirekt – all die Flexibilisierungsinstrumente des deutschen Arbeitsmarktes austoben. Denn solche Entwicklungen entstehen ja nicht einfach, weil in der Talkshow fünf Prominente drüber schwatzen. Sie entstehen, weil augenscheinlich eine wachsende Zahl junger Familien unter den prekären Beschäftigungsangeboten im modernen Arbeitsmarkt leiden. Das Existenzielle schlägt mitten in die Familienstrukturen hinein.

Und das Ergebnis: Steigende Kosten im Haushalt der Kommunen. Mit der kleinen Überraschung: Nicht Leipzig gibt das meiste Geld für wirtschaftliche Jugendhilfe aus, sondern Dresden. Das war 2010 noch anders. Da schlugen die Kosten für die wirtschaftliche Jugendhilfe in Dresden noch mit 26,6 Millionen Euro auf, in Leipzig waren es 32,8 Millionen Euro. Chemnitz war mit 13 Millionen Euro dabei.

Aber wie das so ist in einer Stadt, die für ihre Jahreshaushalte jeden Cent zusammenkratzen muss: Auch bei der Jugendhilfe schaut Leipzig streng auf die Kosten und versucht die Probleme der jungen Betroffenen vor allem stationär zu lösen. Denn richtig teuer wird vor allem die umfassende Beratung und Betreuung.

In Dresden kann man da noch ein bisschen mehr aus dem Vollen schöpfen. 2012 gab Dresden schon 35,2 Millionen Euro für die wirtschaftlichen Jugendhilfen aus, Leipzig kam auf 31,9 Millionen. Weit dahinter wieder Chemnitz mit diesmal aber auch schon fast 19 Millionen Euro.

So gesehen ist das Leipziger Ausgabenbündel eher ein Sparpaket, bei dem die Messestadt deutlich bei solchen Posten wie Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer, sozialpädagogische Familienhilfe oder intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung spart – ganz zu schweigen von den Erziehung-, Jugend- und Familienberatungsstellen, wo Leipzig nicht einmal so viel Geld in die Hand nimmt wie Chemnitz.

Das kann gewaltig nach hinten losgehen, denn hier versucht man vor allem, an Fachpersonalkosten zu sparen und die Beratung dann gar in einem “Haus der Jugend” zu bündeln – das man dann irgendwie ans Jobcenter anhängen möchte, wo es nun wirklich nicht hingehört.

Die Auskunft von Innenminister Markus Ulbig als PDF zum Download.

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