Es hat ein bisschen gedauert. Die Wahlen sind schuld. Das hat die Fertigstellung der "Kommunalen Bürgerumfrage 2013" verzögert. Am Montag, 1. Dezember, stellten Andreas Müller, Beigeordneter für Allgemeine Verwaltung, und Dr. Andrea Schultz, Amt für Statistik und Wahlen, Leiterin der Abteilung Stadtforschung, das fertige Produkt vor. Es ist so etwas wie das Stimmungsbarometer der Leipziger - und vielleicht eine Erklärung für die niedrige Wahlbeteiligung: Drei Viertel der Leipziger sind zufrieden.

Die Frage dazu ist immer die Nr. 1 in den jährlichen Bürgerumfragen, die Leipzig seit 1991 durchführt: “Wenn Sie an Ihr Leben im Großen und Ganzen denken: Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig damit?” Von “sehr zufrieden” bis “sehr unzufrieden” kann man da fünf Kästchen ankreuzen. Und irgendwie war 2013 alles Eiapopeia in Leipzig. 65 Prozent von den 4.085 Leipzigern, die sich bekannt haben, kreuzten “zufrieden” an, 11 Prozent “sehr zufrieden”, 18 Prozent waren eher für “teils/teils”. Das ist – so betonte Andreas Müller mit sichtlichem Stolz – das höchste Ergebnis, das die Umfrage seit 1992 ergab.

1992 lag die Summe der positiven Äußerungen zur Lebenszufriedenheit noch bei 47 Prozent, berappelte sich bis 1998 mal auf 63 Prozent, rutschte dann wieder auf 53 Prozent. Aber so ungefähr seit 2007 klettert die Kurve ständig bergauf. Parallel zur gefühlten wirtschaftlichen Stabilisierung der Stadt. 2009 waren es erstmals 73 Prozent Äußerungen im Bereich “zufrieden” und “sehr zufrieden”. Die Summe von 76 Prozent sind nun ein neuer Rekordwert. Der auch misstrauisch macht. Denn wenn die Leipziger derart zufrieden sind – warum geht dann nicht mal mehr die Hälfte zu den Wahlen? Erst recht zu Kommunalwahlen? Denn da wird doch bestimmt, wer die Kommunalpolitik gestaltet und – damit in Verbindung – auch die Wirtschaftspolitik.

Denn die Zufriedenheit – das bestätigen jetzt die Bürgerumfragen seit 2003 – hängt direkt mit dem zusammen, was die Menschen im Portemonnaie haben. Am zufriedensten waren in der Vergangenheit immer die Senioren in Leipzig (weil sie aufgrund ihrer langen Erwerbsbiografie meist auch gute und auskömmliche Renten hatten) und die jungen Leute von 18 bis 34 Jahren, die noch am Anfang ihrer Karrieren standen. Die erste Gruppe, die zu ihnen aufschloss, waren 2007 die 35- bis 49-Jährigen – klares Zeichen dafür, dass sich der Leipziger Arbeitsmarkt endlich stabilisierte und nicht nur die offiziellen Arbeitslosenzahlen sanken, sondern für gut ausgebildete Fachkräfte auch besser bezahlte Jobs da waren. Ganz bestimmt hat der Start von Porsche und BMW da eine wesentliche Rolle gespielt.

Die Deprimierten fand man fast die ganze Zeit vorrangig in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen, der Altersgruppe also, die am stärksten unter den wirtschaftlichen Umbrüchen seit 1990 zu leiden hatte und damit auch die heftigsten Brüche in der eigenen Erwerbsbiografie hinnehmen musste. Seit 2011 aber hellt sich auch in dieser Altersgruppe die Stimmung auf. Natürlich steckt hinter dieser Entwicklung auch das Phänomen der wachsenden Stadt. Leipzig ist schon lange nicht nur Zuwanderungsstadt für junge Leute, die zur Ausbildung herkommen, sondern zunehmend auch für ganze Familien. Das wirkt sich vor allem in den zentrumsnahen Ortsteilen aus, wo der Wert der allgemeinen Zuversicht durchweg über 80 Prozent liegt. Und weil man nicht nur einen guten Job hat, sondern auch gut ausgebildet ist, schaut man dort sogar sehr zuversichtlich in die Zukunft.

Der Wert der positiven Zukunftssicht hat mit 62 Prozent ebenfalls einen neuen Rekord erreicht. In der Mitte der Stadt liegen die Zuversichtswerte flächendeckend über 65 Prozent.Man kann zwar die Kurven von Zufriedenheit und Zuversicht nicht 1:1 neben die Einkommenskurven setzen. Aber die gefühlte finanzielle Stabilität spielt unübersehbar eine Rolle.

Dass auch 2013 die Nettoeinkommen der Leipziger leicht anwuchsen, konnten wir schon im März vermelden. Der Median stieg leicht von 1.135 auf 1.152 Euro. Median ist der Wert, bei dem die Hälfte alle Einkommen drunter liegt, die andere Hälfte drüber. Zugelegt haben alle Gruppen ein bisschen. Doch die Kehrseite der Medaille ist natürlich auch: Am geringsten war der Zuwachs bei den 20 Prozent der niedrigsten Einkommen. Hier erhöhte sich der Durchschnitt nur von 793 Euro Nettoäquivalenzeinkommen auf 801, während die einkommensstärksten 20 Prozent von 1.750 auf 1.876 zulegten. Die höchsten Einkommensgruppen legten auch am stärksten zu. Was im Klartext heißt: Die Schere zwischen den Armen und den Reicheren geht auch in Leipzig auseinander.

Mit der Einschränkung: Die Gruppe mit den niedrigsten Einkommen ist ein Gemischtwarenladen – hier findet man neben den obligaten ALG-II-Empfängern , Rentnern und Niedriglöhnern auch die für Leipzig wichtige Gruppe der Auszubildenden und Studierenden.

2011 durfte Bürgermeister Andreas Müller auch zu recht Angst haben, dass auch Leipzigs Selbstständige in diese Einkommensgruppe abstürzen. Seit 2009 befanden sich die Einkommen der Selbständigen im freien Fall. Ein mögliches Erklärungsmuster dürften die Hunderte von Notgründungen sein, die in Folge der Hartz-Gesetzgebung und der sich abzeichnenden Finanzkrise aus dem Boden schossen. Doch seit 2012 ist der Druck im Wesentlichen weg, verzeichnen sowohl IHK wie auch Handwerkskammer sinkende Gründerzahlen. Dafür haben hunderte Kleinstunternehmer ihr Gewerbe wieder abgemeldet und die Chance ergriffen, wieder eine Anstellung anzunehmen. Sofort schnellten die Monatseinkommen der Selbstständigen wieder über 1.350 Euro.

Und es ist auch unübersehbar, welche Altersgruppen vor allem vom wirtschaftlichen Aufschwung in Leipzig profitieren: das sind die 31- bis 51-Jährigen. Sie erzielen deutlich höhere Monatsnettoeinkommen als die 52- bis 62-Jährigen – der Abstand beträgt über 200 Euro.

Ausgerechnet hat es das Amt für Statistik und Wahlen für die Gruppe der 35- bis 49-Jährigen, die über ein Monatsnettoeinkommen von 1.464 Euro verfügten, während die 50- bis 64-Jährigen im Schnitt 1.202 Euro hatten.

Die Bürgerumfrage bestätigt aber auch, dass sich das Bild der Stadt wandelt. Noch vor zehn Jahren wohnten die Personen mit den höchsten Einkommen fast durchweg am Stadtrand. Anfangs waren es Quartiere wie das Waldstraßenviertel, die als attraktive Wohnorte für die Besserverdienenden nachzogen, mittlerweile haben sich auch Schleußig und Gohlis in dieser Region etabliert. Andere Innenstadtquartiere drängen nach. Es gibt also tatsächlich schon einen Effekt der Sesshaftwerdung mit leicht steigendem Wohlstand. Was natürlich die Frage aufwirft: Wo bleibt das quirlige Leben der Jungen und Kreativen? Hat es in Leipzig überhaupt noch einen Platz? Und wenn: Wo?

Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

Der Bericht ist für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandgebühr) erhältlich beim Amt für Statistik und Wahlen und steht kostenfrei zum Download auf www.leipzig.de/statistik unter der Rubrik “Veröffentlichungen” zur Verfügung.

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