Drogen, Gewalt, Politik, Repression, Opfer, Täter und Hilfe in Leipzig - ein Spannungsfeld, in dem sich rasch Bürgerängste, Medien und Beteiligte verirren, widerspiegeln und verbeißen können. Das Thema kocht nun schon seit Wochen, vor allem in den Medien - wie man kritisieren wird. Nun folgten viele Leipziger einer Einladung des Linksnetzes und der Grünen in den Leipziger Hauptbahnhof, um die Frage zu debattieren. Eine Diskussion, die einen Effekt haben könnte. Wenn die Ansätze des Abends weiter verfolgt würden.

Es ist sieben Uhr, der Weg zum Saal ist nicht leicht zu finden, durch eine Pizzeria am Bahnhof, hinauf in den braun getäfelten Raum. Fast ein wenig ungläubiges Staunen auch beim Veranstalter – es ist voll, mehr Menschen als die 270 Stühle sind versammelt, um anfangs der Runde Kundiger da auf dem Podium zu lauschen, später selbst Fragen zu stellen und weit mehr einzubringen. Und eben jenes Podium scheint gut vorbereitet, wie auch die Gäste des Abends vor ihnen und dies bei durchaus komplexen Fragestellungen.

Wie sollen sich die in den Problemfeldern einer jeden Großstadt Tätigen im Umfeld scheinbar seit Jahren stabil hoher Kriminalität, offensichtlicher Fragen in der Drogenprävention und Verfolgung von Straftaten, welche auch aus Beschaffungskriminalität heraus entstehen, verhalten? Und wie groß ist das Problem eigentlich jenseits der medial groß aufgezogenen Debatte um das Thema und welche Ansätze helfen wirklich allen? Existieren vielleicht bessere Beispiele und ist die Stadt Leipzig in diesen Fragen bereits klüger als ihr derzeitiger Ruf?

Sylke Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig bekommt das Wort und versucht sich in Grundfeststellungen und Informationen zur Arbeit der Stadt im Bereich Suchtpolitik: “Die Drogenpolitik der Stadt Leipzig orientiert sich an bundesgesetzlichen Vorgaben. Und basiert auf den Leitlinien, welche der Stadtrat bereits im Jahr 1999 beschlossen und verabschiedet hat.” Alle zwei Jahre würden diese durch einen Maßnahmeplan konkretisiert und untersetzt. “Die Leitlinien sind Prävention, Beratung, Schadensminimierung und Repression.”
Wichtig an dieser einführenden Wortmeldung durchaus, dass wohl nochmals betont werden müsse, dass Drogensucht seit 1966 in Deutschland als chronische Krankheit gilt und nicht grundlos im Katalog der Krankenkassen aufgenommen wurde. Auch dass es ein großes Netz an Maßnahmen in Leipzig gibt, um der Lage gerecht zu werden. In insgesamt sieben festen Beratungsstellen werden alle Suchterkrankungen behandelt, wobei mit 60 Prozent die Behandlungen von Alkoholabhängigen an erster Stelle standen und stehen. Dies ergäbe so schlussendlich eine Stelle für die Behandlung von Drogenabhängigen im Bereich der illegalen Drogen, bei 36 Prozent der Fälle gesamt – gesamt derzeit rund 600 Patienten in Leipzig, so Lein. In 2010 waren es nach ihren Angaben insgesamt über 4.000 aus allen Suchtbereichen.

Was an statistischen Eingangszahlen noch zu nennen wäre, ist der Schlüssel von einem Mitarbeiter in der Suchtarbeit zu 20.000 Einwohnern in Leipzig – ein Verhältnis, welches in anderen Großstädten außerhalb Sachsens bei 1:15.000 liegt. Wichtig auch, in letzter Zeit gäbe es aufgrund der Drogenarbeit in Leipzig und ganz Deutschland in den Kreisen der Suchtkranken weniger Todesfälle. Zudem widersprach Sylke Lein der These, Leipzig wäre ein Gebiet, in welchem zunehmend Konsumenten von außen zum Drogenkauf in die Stadt ziehen – die Prozentzahl hätte sich bei 5 Prozent nicht verändert.

Den Kontrapart sollte in der ansonsten eher homogen aufgestellten Gesprächsrunde der Leipziger Polizeipräsident Horst Wawrzynski übernehmen und auch er hatte ein paar Zahlen dabei. Und so stellte auch er zuerst diesmal die polizeilichen Fakten, vor dem Hintergrund von rund 60.500 Straftaten in 2010, also 20,8 Prozent aller registrierten Straftaten in Sachsen, im Jahr 2010 in Leipzig, vor. In Leipzig bedeutet dies 11.766 Straftaten auf 100.000 Einwohner, während 9.168 Straftaten auf 100.000 Einwohner in Dresden geschähen und die Zahlen für Nürnberg mit 8.418 und München bei 7.684 Straftaten in diesem Vergleich wesentlich besser aussehen würden.

Demnach würde in einer Vergleichbarkeit zwischen München und Leipzig statt 60.000 etwa 20.000 Straftaten weniger stattfinden. Dieser Vergleich funktioniert natürlich nur, hätte man in Leipzig Münchner Verhältnisse. Zudem gingen vor allem Diebstähle, hier im besonderen in Wohnungen und Büros in Leipzig nach wie vor nach oben. Etwa 1.300 Straftaten mehr in 2010 noch im Vergleich zu 2009. Bis zum 11. Mai 2011 gäbe es für das laufende Jahr allein im Bereich der Raubdelikte bereits wieder 251 Straftaten zu verzeichnen (2010: 197), auch dies sei ein Plus zum Vorjahr, so der Polizeipräsident.

Warum man aus Sicht der Polizei sehr viele der Einbruchs- und Raubdelikte der Drogenszene zuordne, erkläre sich neben den Erfahrungen der Jahre zuvor aus einer einfachen Zahl. Bis zum 18. März 2011 seien von 22 Verhafteten 17 Personen als Drogenabhängige eingestuft worden. Im Übrigen sei es nicht so, dass man polizeilich nicht willkürlich alle, sondern einen großen Teil der Diebstähle eben den Betäubungsmittelabhängigen zurechne.

Im Folgenden gab es dann noch ein Rechenbeispiel, bevor die Debatte in voller Breite beginnen konnte. Laut Polizeipräsident gäbe es es einen schlussendlichen Bedarf eines von harten Drogen (hier also Crystal, Heroin oder ähnliche) Abhängigen in einer Größenordnung von immerhin 30 Euro am Tag laut Vernehmungsergebnissen der Polizei. Dies ergäbe einen Jahresbedarf von 10.000 Euro, welcher letztlich allein von einer Person in Leipzig in Drogen investiert wird. Bei derzeit vorliegenden Zahlen von etwa 1.000 bis 1.200 Klienten in Leipzig im niederschwelligen, also frühstadiellen Bereich der Suchtbetreuung macht dies laut Horst Wawrzynski einen Gesamtfinanzierungsbedarf von etwa 10 Millionen Euro im Jahr allein für die Sucht. Insgesamt seien aus Sicht der Polizei wenigstens 10.000 Straftaten in Leipzig der Beschaffungskriminalität zuzuordnen.

Anschließender – und letztlich die Debatte eröffnender – Ansatz seitens des Polizeipräsidenten: Ich sehe nicht, das die Verlautbarungen, die Drogenpolitik der Stadt Leipzig hätte nichts mit der hohen Kriminalitätsrate zu tun, stimmen würden, und auch dass die eigenen Leitlinien der Stadt Leipzig, die einen interdisziplinären Ansatz vorsehen, nicht gegeben sind. Fazit zu diesem Zeitpunkt also: Horst Wawrzynski stellt ausdrücklich die Hilfe für Suchtkranke nach eigenen Worten nicht in Frage, dies habe er auch bei jedem Interview verlautbart, auch wenn es nicht immer abgedruckt wurde. Und es sei ein christliches Wertbild, welches er vertrete. Aber auch habe jeder Unternehmer und jeder Bürger das Recht, davon auszugehen, dass der Standort Leipzig nicht durch den Faktor Sicherheit gefährdet wäre. Überdies sei es kein Weg, dass die Polizei, die schlussendlich immer nur gegen Phänomene kämpft, zu diesen Fragen der Presse allein Rede und Antwort steht.

VGWortLIZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar