Zur Debatte um die verhaltensauffälligen Zwillinge in Leipzig, besser bekannt als "Kinderbande", nahm auch Prof. Dr. Felix Ekardt, OBM-Kandidat der Grünen, am 2. Oktober Stellung. "An dem Vorschlag der Linken, den Jugendamtsleiter abzulösen, führt kein Weg vorbei. Zu viele offene Baustellen, Fragezeichen und Fehler sind in letzter Zeit in diesem Ressort geschehen." Aber lösen Rücktrittsforderungen die zu Grunde liegenden Probleme? - Die L-IZ fragte nach.

Sehr geehrter Herr Ekardt, Sie fordern jetzt im Zusammenhang mit dem Medienrummel um die so genannte “Kinderbande” den Rücktritt des Jugendamtsleiters Siegfried Haller und die Neubesetzung des Amtes. Ist das denn wirklich die Lösung, wenn man vom aktuellen Fall absieht?

Eine einzelne Personalie ist wichtig, reicht allein aber nie. Außerdem trägt OBM Jung letzten Endes die politische Gesamtverantwortung. Jung konzentriert sich jedoch lieber auf Repräsentationsaufgaben und Großprojekte, anstatt reale, konfliktreiche und unangenehme Probleme anzupacken und in seinem Haus auch mal tatkräftig durchzugreifen. Er versteckt sich oft einfach hinter seinen Amtsleitern.

Sie erwähnen auch wieder den Tod einer jungen Mutter und ihres Kindes in Gohlis, der erst im Frühjahr für Schlagzeilen sorgte. Versteckt sich hier hinter den von einigen Medien erzeugten “Skandal”-Wellen nicht eigentlich ein anderes, größeres Problem, das mit dem Rücktritt des Jugendamtsleiters gar nicht gelöst wäre? Stichwort: “Armutshauptstadt” und zunehmende soziale Problemlagen.

Allein über Personalien zu reden, wäre zu wenig. Bloßer berufspolitikertypischer Populismus wäre es aber auch, wenn man so tut, als könnte man mit ein paar markigen inhaltlichen Zielen sachliche Probleme lösen. Die Einkommenssituation beispielsweise wird maßgeblich durch (letztlich globale) wirtschaftliche Entwicklung und durch die Gesetzgebung auf Bundesebene bestimmt – Stichwort etwa: Hartz IV. Dennoch kann man auch auf kommunaler Ebene soziale Akzente setzen. Man muss dann aber – diese Ehrlichkeit fehlt mir meist in der Politik – an anderer Stelle vielleicht auch weniger ausgeben. Etwa bei repräsentativen Großprojekten, deren vermeintliche Wirtschaftlichkeit meist nur schöngerechnet ist, oder bei einzelnen Hochkultureinrichtungen, namentlich bei der Oper.

Ist die Gemengelage in Leipzig nicht mittlerweile so komplex, dass ein Leiter eines Amtes für Jugend, Gesundheit, Soziales und Schule sowieso überfordert wäre? War nicht die Schaffung dieses Mega-Amtes 2010 ein Fehler?

Man könnte das überlegen, doch letztlich würde das Problem wohl nicht bestehen, wenn die Amtsleitung und auch OBM Jung mehr Führungsstärke zeigen würden.

Kann man das allein einem Amtsleiter anlasten? Oder ist nicht doch etwa die Leipziger Stadtverwaltung falsch strukturiert? Immerhin ballen sich mittlerweile fast alle grundlegenden Fragen im Sozialdezernat.

Eine Neuorganisation der Dezernate ist ein Thema, allerdings sind die inhaltlichen Fragen in der Tat entscheidender.

Bräuchte Leipzig nicht eine grundlegende Strukturreform, die endlich die anerkannten Prioritäten in der Stadtpolitik auch auf Bürgermeisterebene verankert? Stichwort: Familiengerechtigkeit, Arbeitsmarktpolitik.

In der Tat denke ich, dass man in Zeiten knapper werdender Finanzen – wenn man nicht wie OBM Jung unrealistische Einnahmeerhöhungen prognostiziert – Prioritäten setzen muss. Mehr Kita-Plätze und energetisch hervorragende neue Schulen wären mir da wichtiger als weiter steigende Subventionen für die Hochkultur. Gerade Kita-Plätze sind für die Familiengerechtigkeit essentiell.Und wie sieht es mit dem Mega-Thema Bildung aus? Ist nicht das Amt von Siegfried Haller völlig überfordert, das seit 2010 zusätzlich abwickeln zu müssen, obwohl es dafür eigentlichen einen eigenen verantwortlichen Bildungs-Bürgermeister brauchte? Denn Bildung – das hat man ja mittlerweile auch in Teilen des konservativen Bürgertums begriffen -, ist eigentlich die Ressource der Zukunft.

Bildung ist essentiell. Auch hier kommt freilich zunächst das ehrliche Eingeständnis, dass diesbezüglich wesentliche Entscheidungen besonders auf Landesebene getroffen werden. Einfluss hat die Stadt dagegen etwa auf Kita-Plätze, die die frühkindliche Bildung und vor allem auch die Sozialisierung fördern können. Ebenso hat die Stadt Einfluss darauf, dass anstehende Schulneubauten energetisch auf höchstem Standard erfolgen und damit Schülerinnen und Schüler künftig nicht nur intellektuell, sondern durch gelebte Praxis etwas über knappe Ressourcen und Klimawandel erfahren. Und wir wissen aus der empirischen Psychologie, dass Lernen oft stärker über Vormachen und Vorbilder als über rein intellektuellen Input verläuft. Energetisch sparsame Schulen kosten erstmal zwar mehr Geld, sind langfristig aber auch finanziell günstiger. Es ist ein Beispiel für die gleichermaßen bildungs-, wirtschafts- und klimapolitische Kurzsichtigkeit der Rathausleitung, dass bei den anstehenden Schulneubauten vermutlich nur die gesetzlichen Energiespar-Mindeststandards eingehalten werden.

Trauen Sie sich zu, die ganze Stadtverwaltung einmal nachhaltig umzubauen? Denn es gibt ja nicht nur im Jugendbereich Probleme. Es klemmt auch in der zentralen Schaltstelle der Stadt. Braucht es nicht einen echten Geschäftsführer im OBM-Bereich statt eines überforderten Verwaltungsbürgermeisters?

Der Verwaltungsbürgermeister ist aktuell durch den beispiellosen Skandal um die herrenlosen Häuser mehr mit sich selbst als mit allem anderen beschäftigt. Deshalb sollte er zurücktreten, zumal unter seiner Ägide schon einige weitere Skandale stattgefunden haben.

Wann sind Sie demnächst in der öffentlichen Diskussion zu erleben?

Ich trete – neben überörtlichen Terminen etwa im Bundestag – z.B. am 15. und 16.10. bei den Stadtwerken auf und mache am 29.10. eine Radtour zu verschiedenen Schulen, um auf einige Probleme im Bereich Bildung und Schulneubau hinzuweisen. Am 30.10. ist unser Wahlkampfauftakt-Parteitag in der Alten Schlosserei. Generell mache ich im Oktober nur wenige Termine, weil ich in ein paar Tagen voraussichtlich Vater werde.

Und mit welchen Themen wollen Sie in den nächsten Wochen wirklich eigene Akzente im OBM-Wahlkampf setzen?

Mein eigentliches Wahlprogramm wird in einigen Wochen vorliegen. Meine Themen sind die seit meiner Kandidatur angekündigten. Es geht um Alternativen zu Leipzigs Ganz Großer Koalition aus SPD-CDU-Linkspartei, die jetzt demnächst eine Wahlkampfshow inszenieren wird, obwohl sie inhaltlich doch weitgehend auf einer Linie liegen. Was auch immer dort von rhetorisch gut trainierten Berufspolitikern versprochen werden wird, erscheint mir deshalb unglaubwürdig, denn schließlich hätten die Kandidaten dieser Parteien ihre Absichten längst umsetzen können, wenn sie denn gewollt hätten. Ich setze dagegen auf ein Programm, mit dem Leipzig fit gemacht werden soll fürs 21. Jahrhundert, für den demographischen Wandel, für den Klimawandel, für die Zeit nach den fossilen Brennstoffen, für eine Wirtschaftsförderung mit zukunftsfähigen Industrien und Dienstleistungen statt mit Auslaufmodellen, mit einem guten Leben für alle als zentralem Politikziel u.a.m.

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