Leipzig hat in der kommenden Bundestagwahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der zweiten Folge äußert sich Thomas Feist von der CDU. Er hat im Jahr 2009 das Direktmandat im Süden geholt und stellt sich erneut zur Wahl.

Wie viel haben Sie zuletzt für eine Straßenbahnfahrt bezahlt?

Ich besitze die Umwelt-Card-Gold und nutze die Karte, weil ich in Leipzig eigentlich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin. Außerdem habe ich keine Lust auf ständige Parkplatzsuche. Straßenbahn fahren ist schön, Straßenbahn fahren ist kommunikativ. Ich habe zwar auch ein Fahrrad, bin aber kein Radfahrer, ich fahre wirklich lieber Straßenbahn. Ist auch etwas gefährlich hier mit dem Fahrrad, oder? Mit dem Roller fahre ich auch manchmal.

Was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten geärgert?

Am meisten hat mich geärgert, dass man mit den Vorhaben, die man anschieben will, so viel Zeit braucht. Ich bin ein ungeduldiger Mensch und bin ergebnisorientiert. Geärgert eigentlich nicht, das gehört zum normalen Politik-Betrieb dazu. Bevor ich im Bundestag war, habe ich Jugendpolitik bei der Landeskirche gemacht, ich weiß schon, dass manches einfach lange dauert. Aber wie gesagt, da bin ich manchmal einfach ungeduldig.

Was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten gefreut?

Ich hab mich am meisten gefreut, dass das Thema, mit dem ich in den Wahlkampf gezogen bin und das auch mein Herzensthema ist, nämlich kulturelle Bildung als Bildung zu etablieren in diesem Land, gelungen ist. Dass es gelungen ist, in einem langen Prozess Verbündete in den Reihen meiner Kollegen zu finden und wir dann einen Super-Antrag formuliert haben zur kulturellen Bildung, der vom Ministerium befürwortet wurde. Das Ministerium hat auch Geld in die Maßnahme gesteckt, jetzt haben wir mittlerweile 230 Millionen im Topf, so viel wie noch nie in einer Einzelfördermaßnahme für kulturelle Bildung.

Da sage ich mir: Mit dem Ding bist du angetreten, das hast du durch gekriegt, da bin ich stolz wie Bolle. Ich finde das wichtig, gerade im Ganztagschulbereich, dass am Nachmittag nicht einfach irgendjemand irgendetwas macht – das ist mir zu wenig. Ich wollte das auf eine pädagogische Ebene heben, da ich auch vorher kulturelle Bildung gemacht habe, Trainer in diesem Bereich bin und weiß, wie wichtig das ist. Und es war doch schon ein großer Kraftakt.

Bisher war kulturelle Bildung im Bereich Jugendhilfe – gibt es auch noch – beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt und das habe ich jetzt herübergeholt ins Bildungsministerium, da, wo es eigentlich hingehört. Und darüber bin ich froh und glücklich.

Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie gewählt werden?

Für Leipzig direkt Projekte anschieben ist schwierig, da hat man als Politiker auch gar nicht die Möglichkeit und das ist auch ganz gut so. Was ich aber nach wie vor machen werde, ich werde als Fürsprecher auftreten. Das heißt, wenn Leute hier gute Projekte haben, sie mit entsprechenden Unterstützer-Schreiben befürworten und größere Zusammenhänge auftun, um damit aufzuzeigen, dass bei den Leipzigern auch ein politischer Wille dahinter steht.

Und ich werde nach wie vor für meine Stadt Werbung machen in Berlin. Wo ich noch große Potentiale sehe, gerade an Hochschulen beispielsweise, werde ich unterstützend wirken. Dass man sagt, wo sind denn eure Stärken, wo gehen die Förderrichtlinien hin die vom Parlament festgelegt werden, wie kann man das eine mit dem anderen verbinden, wie kann man Leute zusammenbringen?

Oftmals ist es so, dass es an ostdeutschen Hochschulen diese Netzwerke, wie sie im Westen Deutschlands über 50 Jahre gewachsen sind, so gar nicht gibt. Deswegen ist es wichtig, dass man die Leute miteinander in Kontakt bringt. Kurz nachdem ich im Bundestag war, habe ich die ganzen Vertreter von Bildungseinrichtungen im Bereich akademischer Bildung, sowohl die privaten als auch die öffentlichen, die angegliederten Institute oder auch Vertreter von nichtuniversitären Einrichtungen zusammengeholt. Das war das erste Mal, dass die sich überhaupt gesehen haben.

Ich denke, so etwas anzuschieben ist auch für meine Stadt gut, weil die Stadt Leipzig von außen eher über ihre Schwächen wahrgenommen wird. Und das will ich eben ändern in einem kontinuierlichem Prozess.
Warum sollten die Leipziger Sie wählen?

Das ist eine gute Frage. Das ist ein bisschen schwierig, normalerweise sagt man: Ich hab das gut gemacht und deswegen wählt mich. Das ist aber nicht mein Ansatz, sondern ich habe das Vertrauen der Leipziger bekommen und habe versucht, das Vertrauen zurückzugeben. Jetzt würde ich gern weitermachen, weil ich zum einen im politischen Feld auch Netzwerke erschlossen habe, die Newcomern nicht offenstehen. Und weil ich meine Wahlversprechen, mit denen ich 2009 in die Wahl gezogen bin, umgesetzt habe und weil ich ein Leipziger bin. Ich denke, das ist ganz gut, wenn jemand aus Leipzig im Bundestag sitzt, der in der Stadt geboren ist, sich da auskennt und die Leute und die Mentalität kennt und nicht nur bestimmte Leuchtturmprojekte. Leipzig ist mir ans Herz gewachsen.

Ich bin ein großer Verfechter von freien und geheimen Wahlen, das war einer der Gründe, warum ich 1989 mitdemonstriert habe und warum ich mich auch vorher in der kirchlichen Friedensbewegung eingesetzt habe. Eine freie Wahl heißt auch immer, dass die Leute auch wirklich die Entscheidung haben. Das ist ein bisschen wie in einem Laden mit verschiedenen Produkten, die alle dasselbe Label tragen und die Produkte müssen sich voneinander auszeichnen, deswegen versuche ich auch im Wahlkampf, bestimmte Stärken, die ich habe, wie Durchsetzungsfähigkeit, Beharrlichkeit nach vorne zu bringen. Und weil ich das auch gern mache und denke, auch gut mache.

Was planen Sie, falls Sie den Einzug nicht schaffen?

Wenn das nicht klappt, dann werde ich zwei Monate Urlaub machen, das hab ich mir fest vorgenommen. Und dann würde ich wieder in meinen vorherigen Beruf gehen, in dem ich 15 Jahre gearbeitet habe, als Kulturreferent und Referent für interkulturelle Arbeit bei der Landeskirche in Sachsen, das hat mir auch viel Spaß gemacht.

Was sind Leipzigs drängendste drei Probleme?

Wir haben in Leipzig zu wenig Freiräume für Wirtschaft. Die Stadt hat zu viele Eigenbetriebe. Ich bin grundsätzlich ein starker Verfechter von Daseinsvorsorge, Eigenversorgung – das braucht jede Stadt. Aber wir haben über 150 kommunale Eigenbetriebe, teilweise auch Betriebe, von denen ich weiß, dass die nicht nur in Leipzig sondern auch in anderen Regionen, ob das Chemnitz ist oder Hannover, tätig sind und dort Unternehmen kaputt machen. Das halte ich für falsch. Wir brauchen mehr Freiraum für Wirtschaft, wir brauchen eine bessere Außendarstellung von Leipzig. Also wenn man sich mal anschaut, mit welchen Argumenten Studenten beispielsweise an die Uni geholt werden. Das Leben ist spannend hier, das Studium kostet nichts und man bekommt, wenn man den Zweitwohnsitz hier hat, nochmal 180 Euro. Damit kriegt man junge Leute nach Leipzig, aber ob so die besten hierherkommen, das ist für mich fraglich.
Wissen Sie eigentlich, wie viele Nobelpreisträger die Universität Leipzig hervorgebracht hat? Schauen Sie mal in Ruhe nach, Sie werden verblüfft sein, wie viele Nobelpreisträger an dieser Universität waren. Das sind Sachen, die muss man nach außen bringen und nicht, dass man ein Gebäude hat, wo man nicht weiß, wie es eigentlich heißt – Paulinerkirche oder Paulinum? Das ist die falsche Außendarstellung.

Das dritte Problem ist die Arbeitslosigkeit. Wir müssen hier runterkommen von im Schnitt zu hoher Arbeitslosigkeit, das heißt aber auch, wir brauchen Unternehmen, die sich hier ansiedeln und den Leuten eine Chance geben. Und wir müssen die Zahl der Schulabbrecher verringern. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Da kann man die Stadt unterstützen, das macht der Bund auch, obwohl das nicht seine Zuständigkeit ist. Es ist wichtig, dass genug Kitas und Schulen da sind. Zusammengenommen ist es wie mit dem deutschen Hochschulsystem. Wenn man sich mit Leuten aus anderen Ländern unterhält, die sind voll des Lobes, was wir für eine tolle universitäre Ausbildung haben und das auf einem riesenhohen Niveau. Das muss man den Leuten, die hier studieren, manchmal auch sagen. Sie nehmen das nicht wahr. Die Schlagzeilen in der Zeitung sprechen von der Armutshauptstadt, dass die Professoren an der Uni mit Herr Professorin angeredet werden… Das sind alles wichtige Themen, aber doch nicht die Kernthemen dieser Stadt.

Beamen Sie sich gedanklich ins Jahr 2030. Wie hat sich die Stadt verändert?

Das kommt auf die nächsten Monate und Jahre an. Ich möchte kein Prophet sein, weil das vorherzusagen ist wirklich schwer. Leipzig hat ein Super-Potential und vieles liegt hier noch brach. Wenn man an den richtigen Schrauben dreht, dann kann Leipzig wieder die Bürgerstadt werden, die es einmal war. Mit freien selbstbewussten Bürgern, mit den besten der Besten im Stadtrat, mit einer Verwaltung, die auf die politischen Linien des Stadtrats hört und nicht versucht, die Arbeit des Stadtrats zu erschweren, mit einer schlankeren, effizienteren Verwaltung. Eine Stadt, die stolz auf sich ist.

Im Jahr 2030 bin ich Rentner, da sitze ich im Garten und lese nur noch gute Nachrichten in anderen Zeitungen über meine Stadt. Das würde ich mir wünschen. (lacht)

Wie stehen Sie zum Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich versuche das mal so zu beantworten: Mit Leipzig als Hauptstadt kann ich mir das vorstellen.

Würden Sie Ihren Kindern den Job als Bundestagsabgeordneter empfehlen?

Wenn man das Amt eines Bundestagsabgeordneten als Job bezeichnet, liegt man falsch. Ich würde meinen Kindern empfehlen, erlernt einen ordentlichen Beruf, macht was aus eurem Leben, engagiert euch politisch, egal auf welcher Ebene.

Das Ausfüllen eines Mandates als Bundestagsabgeordneter erfordert ein hohes Zeitpensum. Dazu kommt eine gewisse innere Zerrissenheit, mit einem Bein in Berlin und mit dem anderen in Leipzig zu stehen und ganz verschiedene Themen aufzuarbeiten, die wechselseitig nicht unbedingt interessieren. Das ist schon eine Sache, die kann man nicht nur selbst entscheiden, da braucht man auch Familie und Freunde dazu, die zu einem stehen und einen unterstützen.

Ein richtiger Beruf, ein bisschen frische Luft um die Nase wehen lassen, das ist das, was die deutsche Politik braucht, gerade auch im Bundestag. Wir haben viel zu wenig Seiteneinsteiger, viel zu viele Lehrer und Juristen. Ein paar Leute, die auch mal richtig gearbeitet haben, stehen dem Deutschen Bundestag gut zu Gesicht.

Und deswegen würde ich das meinen Kindern empfehlen.

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