Eigentlich hätte der Stadtrat am 17. Oktober 2012 nur dem Grünen-Antrag zustimmen müssen, und Leipzig wäre in Sachen Bürgerbeteiligung einen wichtigen Schritt vorangekommen. Denn dieselben Rechte, die die Ortschaftsräte der in den Jahren 1999/2000 eingemeindeten Ortsteile haben, auch auf die Stadtbezirksbeiräte zu übertragen, hätte für die Verwaltung nicht einmal ein Umlernen bedeutet. Doch der Antrag wurde nicht angenommen. Stattdessen beschloss der Stadtrat denkbar knapp den Änderungsantrag der FDP-Fraktion, keine Entscheidung zum Thema zu treffen.

Manchmal steht sich der Leipziger Stadtrat selbst im Weg. Obwohl er selbst ein Gremium ist, das von der Verwaltung eher getrieben wird, als dass es mal selbst zum Treiben kommt. So passiert es immer wieder, dass einhellige Abstimmungen aus den Stadtbezirksbeiräten im Stadtrat selbst keinen Widerhall finden. Für die Leipziger Stadtspitze ist das längst schon eine Steilvorlage. Sie braucht auf die Stimmungsbilder in den Stadtteilen keine Rücksicht zu nehmen. Der Stadtrat selbst legt sich mit taktischen Fraktionsgeplänkeln selbst immer wieder lahm. Selbst wann man im Gremium selbst schon ganz anderer Meinung war, wird im entscheidenden Moment gekniffen, folgt man den von der Verwaltung verkündeten Sachzwängen. Und wenn man den “Sachzwängen” nicht glaubt, erwähnt der OBM schnell mal die juristischen Folgen. Etwa wenn ein von ihm versprochenes Parkhaus nicht gebaut wird.

Leipzig Politik leidet auch unter ihrer fehlenden Verwurzelung in den Stadtteilen. Und mit der Entscheidung vom Oktober hat die Stadtratsmehrheit die Beschneidung der Mitwirkungsrechte der Stadtbezirksbeiräte auf ungewisse Zeit weiter zementiert. Und damit natürlich auch den Stadtbezirksbeiräten und vor allem den Bürgern wieder einmal das Gefühl gegeben: Mitwirkung ist in Leipzig tatsächlich unerwünscht. Und das mitten in einer Diskussion, in der eben diese Beteiligung als notwendig empfunden wurde. Doch auch ein Alternativvorschlag der Verwaltung fand keine Mehrheit. Der Antrag hätte eine “Stärkung der Stadtbezirksbeiräte” im wesentlichen durch die Implementierung eines Antrags-, Rede- bzw. Anhörungsrechts hinsichtlich in der von Stadtbezirksbeiräten beschlossenen sogenannten “Wichtigen Angelegenheit” im Stadtrat vorgesehen. Darüber hinaus hätte eine Anpassung des Quorums für die Beschlussfassung einer “Wichtigen Angelegenheit” an die in der Regel erforderliche “einfache Mehrheit” erfolgen sollen.

Aber vielleicht hat die Verwaltung mit ihrem Vorschlag auch erreicht, was sie wollte: Die eh schon unschlüssigen Stadträte noch mehr zu verunsichern. Wenn bei so einer Gemütslage dann noch ein dritter, ganz simpler Vorschlag auf dem Tisch liegt, hat der meist gute Chancen auf Zustimmung. Den hat in diesem Fall die FDP-Fraktion vorgelegt.
Der entsprechende Beschluss lautet: “Mit Blick auf das Auslaufen der Eingemeindungsverträge im Jahre 2014 wird die Verwaltung beauftragt, spätestens im 1. Quartal 2013 eine Vorlage zur Entscheidung zur zukünftigen Struktur vorzulegen, die Entwicklungstendenzen der politischen Steuerung und demokratischen Beteiligung in einer modernen Großstadt berücksichtigt.”

Wie man sieht, drängt mal wieder die Zeit. Das 1. Quartal ging mit OBM-Wiederwahl-Feiern vorüber. Ein entsprechender Verwaltungsvorschlag liegt nicht vor. Wobei der Fakt natürlich auch sichtbar macht, wo es im Leipziger Stadtrat seit Jahren hängt: Man neigt dazu, die Denkarbeit immer wieder an die Verwaltung (zurück-)zudelegieren. Macht mal.

Im Kern hat die FDP-Fraktion ja recht. Gehandelt werden muss. Und das Jahr 2014 wäre eine ideale Gelegenheit für einen Quantensprung in Sachen Bürgerbeteiligung in Leipzig. Der Begründungstext der FDP: “Mit dem Auslaufen der Eingemeindungsverträge ergibt sich das dringende Erfordernis der Entscheidung über die künftige politische Struktur nicht nur in den Ortschaften, sondern im gesamten Stadtgebiet. Hierzu bedarf es nicht nur eines Absichtsbeschlusses, sondern eines detaillierten Konzeptes für eine dauerhaft tragfähige Struktur unter Berücksichtigung von klaren Regeln sowie eines Übergangs von der bisherigen auf eine solche neue Struktur. Selbstverständlich sollte sein, dass die Vorlage mit Vorlauf zur Kommunalwahl vorzulegen ist, so dass ausreichend Zeit zur breiten öffentlichen Diskussion in den Ortschaften und Stadtbezirken bleibt und gleichzeitig diese neue Struktur bei der Kommunalwahl bereits berücksichtigt werden kann.”

Und nun ist Leipzig in der Sommerglut schon wieder ins 3. Quartal getuckert. Ein Papier liegt nicht vor. Was aber auch wieder verständlich ist: Wer soll es schreiben? Die Verwaltungsleute selbst? Sollen sie freiwillig formulieren, welche Rechte sie künftig an die Stadtbezirksbeiräte/Ortschaftsräte abgeben wollen?

Und so wollen denn die Grünen in der Ratsversammlung am 18. September erfahren:

1. Wann ist mit der Vorlage zu rechnen und was sind die Gründe für die Verzögerung?

2. Beabsichtigt die Stadtverwaltung an der bisherigen Struktur der politischen Steuerung und demokratischen Beteiligung (10 Stadtbezirksbeiräte, 14 Ortschaftsräte) festzuhalten?

3. Wenn ja, wird sie den o. g. Verwaltungsstandpunkt gänzlich und unverändert als Vorlage so rechtzeitig dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorlegen, so dass ein Beschluss mit Beginn der nächsten Amtsperiode im Jahr 2014 umgesetzt werden kann?

4. Wenn nein, warum nicht?

Vielleicht sollte man auch die Frage stellen: Was kann eine Verwaltung befürchten, wenn Stadtbezirksbeiräte mehr Rechte bekommen? Und im Gegenzug: Was könnte sie gewinnen? – Wenn man es vom Thema echte Bürgerbeteiligung her denkt, könnte das eine ganze Menge sein. – Aber ob sich das mit dem Lenkungsverständnis der Stadtspitze verträgt, das steht dann wieder auf einem anderen Blatt. Da wird es dann psychologisch.

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