Wahrscheinlich hatte man im Haus am Peterssteinweg am Sonntag, 30. November, so ein ganz übliches Problem: Es war Sonntag. Brühheißes war nirgendwo passiert. Aber die Montagsausgabe der LVZ musste nicht nur gefüllt werden, man brauchte auch irgendwie mal wieder was Brisantes. "War da nicht was mit dem STEP Verkehr? Können wir da nicht mal ein bisschen Remmidemmi machen?", muss da wohl einer gefragt haben. Also hat man ein bisschen Remmidemmi gemacht. Mit Material, das nun schon einen Monat alt war.

Und das auch so schon einmal in der LVZ zu lesen war, die gleich nach der öffentlichen Vorstellung des Entwurfs zum neuen Stadtentwicklunsplan (STEP) Verkehr die Gelegenheit nutzte, alle Stimmen zu sammeln, die gegen den in einem drei Jahre langen Prozess austarierten STEP Verkehr zu sammeln waren. Die Verkehrspolitik in einer Stadt ist immer ein Kompromiss. Alle Verkehrsarten müssen sich darin wiederfinden und zwar so, dass sie sich möglichst wenig gegenseitig behindern. So war auch schon der vor über zehn Jahren formulierte STEP Verkehr, der bis heute gültig ist. Und wer den alten und den neuen STEP nebeneinander legt, wird wirklich Revolutionäres nicht darin finden. Es gibt ein paar kleine Fortschritte bei der Anerkennung der umweltfreundlichen Verkehrsarten.

Aber es gibt keine Ankündigung, dass die Bedingungen für Wirtschaftsverkehr und Motorisierten Individualverkehr verschlechtert werden sollen. Obwohl die Stadt unter dem massiv wachsenden Pkw-Bestand leidet.

Am Sonntag, 30. November, hatte man dann also wohl irgendwie ein Loch im Blatt, das gefüllt werden musste. Gefüllt wurde es mit einem Artikel unter der Überschrift “Mehr Autos, Einwohner und Pendler – doch das Rathaus will weniger Pkw-Verkehr. Der Widerstand gegen den Verkehrsentwicklungsplan wächst – geplanter Ratsbeschluss wackelt”. Man suggerierte also – obwohl es keine neuen Fakten gab – eine sich neu formierende Front gegen den Entwurf des STEP.

Und zitierte auch eifrig “Verkehrsexperten” aus FDP und CDU, ohne sie – außer CDU-Stadtrat Ansbert Maciejewski – näher zu benennen. Tatsächlich zitiert man nur Wortmeldungen, die schon gleich am 30. Oktober und an den Folgetagen getätigt wurden – von René Hobusch (FDP) zum Beispiel und Sabine Heymann (CDU). Auch die wesentlichen Aussagen von IHK und Handwerkskammer, die jetzt wieder zitiert wurden, als ob sie neu wären, wurden schon vor vier Wochen getätigt. Es ist tatsächlich nichts Neues passiert. Außer dass jetzt die CDU-Fraktion gern möchte, dass die Entscheidung über den STEP Verkehr nicht mehr vom alten Stadtrat am 10. Dezember beschlossen wird, sondern Anfang 2015 vom neu gewählten Stadtrat.

Hoffend, das dann die Mehrheiten anders sind.

Und die Überschrift suggeriert, dass der STEP ein reines Produkt der Verwaltung ist. Obwohl noch zu keinem einzigen Stadtentwicklungsplan eine derart breite Bürgerbeteiligung stattgefunden hat wie zu diesem.

Darauf weist jetzt der Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e.V. hin, der wenig Verständnis für das nochmals aufgewärmte Störfeuer von IHK, HWK und CDU hat, nachdem der wirklich lange, drei Jahre laufende Beteiligungsprozess zur Fortschreibung des Stadtentwicklungsplans Verkehr und Öffentlicher Raum jetzt tatsächlich zu einem Ende gekommen ist.

“Im Rahmen der Fortschreibung des STEP gab es seit 2011 dutzende Sitzungen des Runden Tisches, an denen alle Fraktionen, Planungsämter, Verkehrsunternehmen und 12 Interessenverbände beteiligt waren. Dort wurde über jedes Komma gestritten. Dazu gab es noch einen Bürgerwettbewerb mit 618 Vorschlägen, mehrere Expertenhearings und 9 Fachgutachten von namhaften Verkehrsexperten. Am Ende stand ein Kompromiss, bei dem alle Akteure ein Stück zurück getreten sind”, sagt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen.

Und die Wirtschaftsverbände haben dabei viele Zugeständnisse erwirkt. Die Förderung des Wirtschaftsverkehrs ist ein übergeordnetes Ziel im STEP. Auf der anderen Seite werden natürlich auch Belange der Verkehrssicherheit, älterer Mitbürger und der Umwelt angemessen berücksichtigt. Sogar das Thema Fußwege ist drin, was selbst CDU-Stadtrat Konrad Riedel mit Verblüffung feststellte. Um das Thema kämpft der Senior in der CDU-Fraktion nun seit Jahren beharrlich und mit Herzblut.

Selbst aus dieser Sicht ist der STEP ein echtes Gemeinschaftswerk.Der STEP ist ein Rahmenplan, der – neben der Sicherung der existierenden Verkehrsarten – auch neue Angebote für stadtverträgliche Verkehrsarten möglich machen und eine hohe städtebauliche Qualität der Straßen und Plätze sicherstellen soll. Nur wenn die Bedingungen für Rad- und Fußverkehr, sowie für Nutzer von Bussen, Bahnen und Carsharing verbessert werden, steigen auch mehr Menschen auf diese platzsparenden Verkehrsmittel um. Er vereint also durchaus Widersprüchliches. Aber ohne Umsteuern werden Leipzig die jetzigen Probleme des rasant wachsenden Pkw-Bestandes über den Kopf wuchern.

“Wenn wir das nicht machen, droht in der wachsenden Stadt der Verkehrskollaps. Wenn alle Auto fahren, ist kein Platz mehr für den Wirtschaftsverkehr, sondern Dauerstau. Es ist schade, dass die Wirtschaftsverbände nicht in der Lage sind, diesen Vorteil des Papiers zu erkennen”, sagt Tino Supplies. “Natürlich könnten wir aus Umweltsicht noch genügend Haare in der Suppe finden. So ist das halt mit Kompromissen. Nach drei Jahren meckern muss man nun endlich mal machen. Es wurde längst ein Kompromiss gefunden. Der muss jetzt beschlossen und umgesetzt werden, um Leipzig weiter voranzubringen.”

Der wichtigste Kritikpunkt, der immer wieder vorgebracht wird, ist der im STEP formulierte “Modal Split”, nach dem bis 2025 immerhin 75 Prozent aller Wege in Leipzig mit umweltfreundlichen Verkehrsarten (ÖPNV, Fahrrad, zu Fuß) zurückgelegt werden sollen. Aktuell sind es 60 Prozent. Vor allem der ÖPNV-Anteil (Straßenbahn, Bus, S-Bahn) soll von 19 auf 25 Prozent steigen, der Anteil des Radverkehrs von 14 auf 20 Prozent. Darüber wurde am Runden Tisch hart gerungen.

“Eine Bürgerumfrage habe 2012 ergeben, dass die Leipziger zur Arbeit und zum Einkauf etwa jeden zweiten Weg mit dem Auto zurücklegen”, schreibt die LVZ. Das tun die Leipziger tatsächlich. Aber das hat Gründe, die wir in der aktuellen Serie zur “Bürgerumfrage 2013” noch einmal aufgreifen werden. Denn beim Verkehr geht es auch immer um vorhandene Strukturen und flankierende Politikfelder (Wirtschaftsansiedlungen, Einkaufszentren, Kitas, Schulen, Wohnortnähe, …). Oft sind heutige familiäre Logistik-Probleme ohne Auto nicht zu bewältigen, weil die Stadt noch lange nicht die nachhaltigen Strukturen entwickelt hat, die allen ein Leben ohne Auto in einer urbanen Umgebung ermöglichen.

Das ist übrigens die Gegenthese zu der These, die die LVZ vorbringt: “Die Verkehrsexperten von CDU und FDP lesen aus diesen Zahlen heraus, dass Leipzig bis 2025 mehr und bessere Straßen benötigt – und nicht weniger.”

Dabei haben sich sämtliche Straßengroßbauprojekte der letzten Jahre, die noch als Vision anstehen, als unbezahlbar und undurchführbar erwiesen – allen voran der “Mittlere Ring”, der aus Naturschutz- und Kostengründen nie gebaut werden wird. Trotzdem ersticken ganze Straßenzüge an geparkten Fahrzeugen. Ein Problem, das durch noch mehr Straßenraum nicht zu lösen ist. Es braucht also attraktive Angebote zum Umsteigen. Und die dreijährige Arbeit am STEP Verkehr war in dieser Hinsicht ein wichtiger Fortschritt. Und es war ein wichtiges Qualitätsmerkmal des Runden Tisches, dass er die Vielfalt der anstehenden Themen erstmals etwas komplexer aufgegriffen hat.

Aber Komplexität lässt sich ja nicht so schön als “heißes Eisen” verkaufen.

Dass die Stadt gerade ganz andere Probleme bekommt, weil sie bei der Senkung der Feinstaubbelastung nicht realisieren wird (was auch mit dem hohen Verkehrsaufkommen zu tun hat), wird ebenfalls ausgeblendet. Vom Autofahrersitz aus erscheint die Welt irgendwie immer noch ganz einfach.

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