Sie saßen alle drei mit am Tisch: IHK, Handwerker und CDU-Fraktion, haben die Kompromisse mit abgestimmt, die im Entwurf des neuen Stadtentwicklungsplans (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum zu lesen sind. Im Januar war der STEP-Entwurf erstmals zu lesen. Fast ein ganzes Jahr konnte noch einmal diskutiert werden. Doch bis zum Ende Oktober, als das Papier in die Entscheidungsrunden des Stadtrants ging, herrschte Ruhe. Bis die LVZ anfing, aus dem Papier einen Skandal zu machen.

Vorher scheint man es weder bei IHK noch bei der Handwerkskammer als Problem gesehen zu haben. Und wer die Statements der IHK und (nicht der Handwerkskammer, sondern) der Kreishandwerkerschaft liest, findet die Forderungen allesamt im STEP Verkehr abgebildet – konzentriert noch einmal extra im fünfseitigen Kapitel “Wirtschaftsverkehr”. Das Papier ist im Grunde abstimmbar. Das findet auch Axel Dyck, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Eigentlich.

Die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat halte den Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum, der nach dreijähriger intensiver Diskussion am Runden Tisch Verkehr, begleitet durch den Bürgerwettbewerb “Ideen für den Stadtverkehr”, durch die Verwaltung vorgelegt wurde, insgesamt für zustimmungsfähig, teilt er nun mit.

Und tut dann etwas, was der Leipziger SPD in den letzten Jahren schon massiv Vertrauen und Wähler gekostet hat: Er knickt trotzdem ein.

“Wir wollen aber die in den letzten Tagen vorgetragenen Bedenken der Wirtschaftsverbände insbesondere zum Wirtschaftsverkehr uns noch einmal genau anhören und mit den Wirtschaftsverbänden erörtern. Daher plädieren wir für eine Verschiebung der Beschlussfassung im Stadtrat zum STEP”, erklärt Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender der SPD.
Der Riss geht mitten durch die SPD. Denn nach drei Jahren intensiver Bürgerbeteiligung einfach wieder von der Tagesordnung zu fegen, das frustriert. Das frustriert vor allem die jungen Leipziger, die im Prozess “Weiter denken” miterlebt haben, dass man in einer transparenten Diskussion zu realistischen Kompromissen kommen kann – und dann reicht eine Medienkampagne gegen den vorgeschlagenen “Modal Split”, und die politische Ebene knickt ein wie ein Kartenhaus.

Das geht so gar nicht, kommentiert der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und drängt darauf, dass der STEP Verkehr am Mittwoch, 10. Dezember, im Leipziger Stadtrat abgestimmt wird. Er appelliert an die Leipziger Stadträte, den Plan noch in diesem Jahr in der vorliegenden Form zu verabschieden.

In den letzten Wochen hatten vor allem die CDU, Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie die Kreishandwerkerschaft Leipzig die Zielstellungen des STEP infrage gestellt und bemängelt, dass der Wirtschaftsverkehr dort keine ausreichende Berücksichtigung fände.

Dazu erklärt Kerstin Dittrich, Sprecherin der Ortsgruppe Leipzig: “Die Verhandlungen und Debatten zur Aufstellung des STEP VöR wurden so transparent und öffentlich wie selten zuvor geführt. Hier gilt unser Lob ausdrücklich der Stadt Leipzig, die diesen Prozess der Bürgerbeteiligung erst möglich gemacht hat.”

Neben einer mehrjährigen Beratungsphase haben die Ideen des Bürgerwettbewerbs sowie zahlreiche Anregungen von Vereinen und Verbänden Eingang in das Planwerk gefunden. Nicht zuletzt am Runden Tisch, bei dem auch die Vertreter der Verbände, die das Konzept nun kritisieren, mit am Tisch gesessen haben, wurden für alle Seiten tragfähige Kompromisse gefunden.

“Wer diesen Konsens jetzt infrage stellt, handelt nicht nur unverantwortlich, sondern stellt auch den gesamten Prozess der Bürgerbeteiligung der letzten Jahre in Frage”, kritisiert Kerstin Dittrich.

Deshalb fordert der VCD die Stadträte dazu auf, in ihrer Sitzung am 10. Dezember den Stadtentwicklungsplan in der vorliegenden Form zu verabschieden. “Die Zeit der Debatten ist vorbei. Jetzt muss der Plan verabschiedet und dann zügig in die Tat umgesetzt werden”, mahnt Kerstin Dittrich an.

Tatsächlich entbrannt ist die Debatte ursprünglich um die Frage: Wie real ist der für das Jahr 2025 geplante “Modal Split”, also die Aufteilung der verschiedenen Verkehrsarten auf die wochentäglichen Wege der Leipziger.

Aktuell (Zahlen von 2008) werden 27,3 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt, 18,8 Prozent mit dem ÖPNV, 14,4 Prozent mit dem Fahrrad und 39,6 Prozent mit dem Auto.

Als Zielvision in den Plan geschrieben hat die Verwaltung: 30 Prozent der Wege zu Fuß, 20 Prozent mit dem Fahrrad, 25 Prozent mit dem ÖPNV. Übrig bleiben 25 Prozent für den Kfz-Verkehr.

Dieser Modal Split ist in mehrfacher Weise natürlich eine Utopie. Nicht weil der Autoverkehr derart niedrig angesetzt ist. Das kann sowieso niemand beeinflussen, die Stadt schon gar nicht. Sondern weil man einfach am grünen Tisch entschieden hat, dass 30 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt werden sollen. Eine Steigerung, die nur begründet wäre, wenn sich unter anderem die Einkaufsstrukturen in Leipzig drastisch verändern. Was nicht absehbar ist.

Die Steigerung des Radverkehr ist dagegen eher lächerlich: Nur 20 Prozent im Jahr 2025? Das schafft man nur, wenn man das Radwegenetz weiter so ausbremst wie gehabt. Dagegen sind 25 Prozent für denn ÖPNV ein Witz. Mit der augenblicklichen Kapazität an Straßenbahnen, Bussen und Linien schaffen die LVB bestenfalls mal 20 Prozent. Aber dann sind die Fahgrzeuge schon vollgestopft, dass niemand sich mehr rühren kann. Im STEP Verkehr ist aber nicht ansatzweise ein Konzepzt zu finden, das eine solche Kapazitätsausweitung des ÖPNV (+ 33 Prozent) in irgendeiner Weise finanziert sieht.

Dass Leipzig auf wesentlichen Gebieten weit hinterher kleckert, zeigt der Blick nach Bremen, wo der Radverkehr schon heute 25 Prozent aller Wege ausmacht. Und die Anteile werden nicht dem Motorisierten Individualverkehr abspenstig gemacht, sondern den Wegen zu Fuß und mit ÖPNV. Die Verkehrsmittel des Umweltverbundes stehen untereinander (auch) in Konkurrenz. Bis 2025 planen die Bremer eine leichte Erhöhung des Radwegeanteils auf 27 Prozent und eine leichte Senkung des MIV-Anteils von 40 auf 36 Prozent. Wohl auch, weil sie wissen, dass sie gar nicht so viel Geld in den ÖPNV stecken können, wie sie brauchen würden, um hier die Zahlen nach oben zu puschen. Und weil Verkehrsmittelwahl auch von Gewohnheiten abhängt: Es sind auch in Leipzig die jungen Verkehrsteilnehmer, die verstärkt umweltfreundliche Verkehrsmittel wählen. Im Entwurf zum STEP Verkehr heißt es dazu: “Verschiedene Untersuchungen haben darauf hingewiesen, dass die ‘Autoaffinität’ vor allem in der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den letzten Jahren abgenommen hat; dies drückt sich u.a. in einer größeren Flexibilität bei der Verkehrsmittelwahl und in einer geringeren Bewertung des Autos als Statusobjekt aus. Ein Indikator dafür ist auch der – trotz Zunahme der relevanten Altersgruppe – tendenzielle Rückgang bei der Ersterteilung von Führerscheinen in Leipzig.”

Es ist also – wie so oft, wenn sich die LVZ zu Wort meldet – eine Verweigerung der älteren Leipziger, die hier dem jungen Leipzig mal wieder zeigen, was sie von ihm halten: nicht viel.

Und so kann es passieren, dass der alte Leipziger Stadtrat bei seiner letzten Sitzung am 10. Dezember wieder einmal sehr alt aussieht.

Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD):
www.vcd.org/elbe-saal

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