Die LVZ war sich am 16. Juni schon ganz sicher: „Freiheitsdenkmal: Freistaat hält Bürgerentscheid am 24. September in Leipzig für rechtswidrig“. Klingt kurz und knapp, ist aber falsch. Wäre auch nicht mal durch die Sächsische Gemeindeordnung gedeckt. Gefragt hat Leipzigs Verwaltung trotzdem beim Freistaat. Man hat den Antrag der Linksfraktion durchaus ernst genommen.

So ernst, dass die Verwaltung den Linken im März gleich mal vorgerechnet hat, was so ein Bürgerentscheid eigentlich kostet. Was das Kulturdezernat, das irgendwie organisatorisch für den ganzen Prozess um das Freiheits- und Einheitsdenkmal verantwortlich ist, auch in seiner neuen Stellungnahme zum Antrag der Linksfraktion aufgeführt hat: „Auf die Stadt Leipzig kämen aufgrund der ausfallenden Kostenerstattung und der Mehraufwendungen für den Bürgerentscheid Kosten in der Höhe von geschätzt 300.000 € zu.“ Zumindest im günstigeren Fall.

Ob das Kulturdezernat tatsächlich verantwortlich ist, das darf mittlerweile gründlich bezweifelt werden. Denn wie bei so vielen Projekten hat sich auch hier Oberbürgermeister Burkhard Jung im Januar wieder die Regie in sein Amt geholt und – natürlich via LVZ – aller Welt verkündet, dass er sich den Matthäikirchhof irgendwie als Demokratie-Campus vorstellen könnte und hier auch den möglichen neuen Standort für das Freiheits- und Einheitsdenkmal (FuED) sähe.

Was bekanntlich erste Proteste auslöste. Damit hatte er schon wieder genau die Entscheidungen vorweggenommen, die eigentlich erst im Ergebnis einer richtigen Bürgerbeteiligung gesucht werden sollten.

Die hat ja bis heute nicht stattgefunden.

Wenig später ruderte der OBM zurück, tat so, als wolle er jetzt endlich einmal die Finger davon lassen – beauftrage aber kurzerhand die Stiftung Friedliche Revolution (in deren Kuratorium er den Vorsitz führt) damit, den Prozess jetzt zu steuern. Wieder hat er gleich zwei Projekte miteinander vermengt – so wie bei der ersten Runde am Wilhelm-Leuschner-Platz, wo er Denkmalwettbewerb und Platzgestaltung vermengte.

So bringt man Wettbewerbe nicht nur zum Scheitern, so macht man sie in den Augen der Bürger, die mit sichtlich gesteuerter „Bürgerbeteiligung“ immer wieder ausmanövriert werden, regelrecht inakzeptabel.

Aber wie ist das nun mit dem Antrag der Linksfraktion, zur Bundestagswahl am 24. September auch gleich noch einen Bürgerentscheid zum Freiheits- und Einheitsdenkmal durchzuführen?

Ist das rechtswidrig, wie die LVZ behauptet? Was ja dann für Sachsen etwas Außergewöhnliches wäre, denn andere Länder (so schreibt die LVZ selbst) würden ganz selbstverständlich Bürgerentscheide parallel zur Bundestagswahl durchführen. Das ist ihr gutes Recht.

Deswegen ist in der Vorlage des Kulturdezernats auch der Punkt „Rechtswidrig und/oder“ nicht angekreuzt.

Auch die Einschränkung, dass ein Bürgerentscheid gleichzeitig mit der Bundestagswahl rechtswidrig wäre, stimmt nicht.

Nachgefragt hat die Stadt. Aber Innenministerium und Landesdirektion müssen etwas Anderes formuliert haben. Das sich nun in der Vorlage mit diesem Satz wiederfindet: „Eine organisatorische Verbindung von Bundestagswahl und Bürgerentscheid wird sowohl vom Sächsischen Staatsministerium des Innern als auch von der Landesdirektion als nicht möglich angesehen.“

Da steht nichts von rechtswidrig, sondern nur von „nicht möglich“. Und zwar allein in Bezug auf die „organisatorische Verbindung“. Was bedeutet: Der Bürgerentscheid kann nicht zusammen mit der Bundestagswahl abgewickelt werden, er kann nur parallel dazu passieren.

So sieht es auch das Kulturdezernat, dem natürlich eine organisatorische Verbindung lieber gewesen wäre – dazu hätte man weniger Personal und Aufwand gehabt und die Strukturen zur Bundestagswahl einfach mitnutzen können.

Das wäre deutlich preiswerter gekommen.

Aber die Verwaltung hat beide Varianten geprüft.

„Würden Bundestagswahl und Bürgerentscheid verbunden, so wie die seit Jahren praktizierte Verbindung von Kommunal- und Europawahl, werden auch hierfür zusätzliche Kapazitäten benötigt, wenn auch nicht in dem Umfang wie bei unabhängig voneinander stattfindender Wahl und Entscheid. Allerdings ist davon auszugehen, dass analog der Verbindung von Europa- mit der Kommunalwahl die Kosten für die Versendung der Wahlbenachrichtigungen und der Briefwahlunterlagen sowie für die Erfrischungsgelder für die Mitglieder der Wahlvorstände nur anteilig ersetzt werden (§ 50 Abs. 2 Bundeswahlgesetz).“

Da wären dann 300.000 Euro mehr für die Stadt.

Aber Bundestagswahl und Bürgerentscheid ließen sich organisatorisch nicht verbinden, meinten Innenministerium und Landesdirektion. Was zumindest verblüfft, denn weder das Bundeswahlgesetz noch die Sächsische Gemeindeordnung lassen dazu ein Wort fallen. Es ist also eine reine Interpretationsfrage.

Nicht ausgeschlossen ist aus Sicht der Sächsischen Regierung eine parallele Durchführung des Bürgerentscheids.

Was freilich aus Sicht der Leipziger Verwaltung keinen Sinn macht, denn dazu hat sie gar nicht die Extra-Kapazitäten. In der Stellungnahme des Kulturdezernats heißt es dazu: „Im Fall von a) finden Bundestagswahl und Bürgerentscheid unabhängig/parallel voneinander statt, mit der Folge, dass größere zusätzliche Kapazitäten hauptsächlich an Personal, Wahlhelfern, Räumen und an Geldern benötigt werden. Dieses ist am Tag der Bundestagswahl nicht leistbar, weil ein Großteil der vorhandenen Kapazitäten (z. B. Wahlhelfer, Räume) bereits für die Bundestagswahl gebunden sind.“

Die Durchführung des Bürgerentscheids am Tag der Bundestagswahl wäre also ganz und gar nicht rechtswidrig, wie die LVZ behauptet. Augenscheinlich aber hat das Sächsische Innenministerium einen Weg gefunden, die Durchführung am 24. September trotzdem unmöglich zu machen. Oder als unmöglich erscheinen zu lassen.

Das aber torpediert vor allem eines, was sich nicht nur die Linken wünschen: Eine möglichst hohe Repräsentativität. Denn Bundestagswahlen schaffen in der Regel eine besonders hohe Wahlbeteiligung. Das Ergebnis eines parallelen Bürgerentscheids, bei dem die Wähler einfach zwei Wahlzettel auch in zwei verschiedene Urnen stecken, wäre wesentlich aussagekräftiger und würde wirklich das ergeben, was Leipzigs OBM mittlerweile fehlt: ein richtiges Mandat der Bürger.

Oder – falls die Vermutung stimmt, dass die Leipziger gar kein Denkmal wollen – ein klares Ergebnis für eine Beendigung des Prozesses. Davor scheut sich aber augenscheinlich nicht nur OBM Burkhard Jung, sondern auch Innenminister Markus Ulbig.

Wo kämen wir da hin, wenn die Bürger eindeutig Ja oder Nein sagen dürfen?

Die Haltung von Burkhard Jung steht auch mit in der Stellungnahme, denn kein Papier aus den Dezernaten geht ohne Endredaktion in der Dienstberatung des OBM in die Öffentlichkeit.

Und Burkhard Jung ist felsenfest der Überzeugung, dass die Leipziger in diesem Fall nicht mitzureden haben.

Das steckt in diesem Abschnitt: „Ein Bürgerentscheid zur demokratischen Willensbildung wird prinzipiell positiv betrachtet. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig hat allerdings den Anspruch europäischer Bedeutung; es geht weit über die Ereignisse des Herbstes 1989 in Leipzig hinaus. Die Initiative basiert auf einem Beschluss des Bundestages. Aus diesem Grund wäre hier die alleinige Befragung der Leipziger Bevölkerung nicht adäquat.“

Die Willensbildung der Leipziger nicht adäquat? Das darf man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.

Das bedeutet aber eben auch das, was den ganzen Prozess so verstörend macht: Dass es die „Macher“ dieses Wettbewerbs nicht einmal für nötig halten, die Leipziger auf dem Weg zu „ihrem“ Denkmal wirklich mitzunehmen.

Am 21. Juni wird im Stadtrat dazu diskutiert.

Die Stellungnahme aus dem Kulturdezernat.

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Wenn das Freiheits- und Einheitsdenkmal den Anspruch europäischer Bedeutung hat, schlägt der OBM damit also einen europäischen Bürgerentscheid zu diesem Denkmal vor?

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