Nicht nur schwere Frachtmaschinen drehen über Leipzig ihre Runden - auch diverse Gerichtsverfahren rund um den Flughafen Leipzig/Halle tun es. Eines der längsten geht jetzt, nachdem die Richter in Bautzen praktisch vier ergebnislose Jahre darüber nachgedacht haben, in die nächste Runde. Aber auch 2008 wollten die Bautzener Richter schon nichts mit der Südabkurvung zu tun haben.

Diese besondere Flugroute, die den Frachtfliegern vom Flughafen auch bei Nacht die kurze Kurve direkt über Leipziger Stadtgebiet ermöglicht, war in allen Beteiligungsverfahren vor dem Bau der Start- und Landebahn Süd kein Thema. Übrigens genauso wenig wie andere Flugrouten, die in Leipzig oder dem benachbarten Halle über dicht besiedeltes Gebiet führen. Die Leipziger merkten erst nach Eröffnung der Landebahn 2007 und der Eröffnung des Frachtflugzentrums 2008, was sich da über ihren Köpfen zusammengebraut hatte.

Direkt betroffene Bürger in den Ortsteilen, die jetzt auf einmal vom Fluglärm betroffen waren, scheiterten mehrfach mit ihren Klagen vor Gericht. Die Klage des Umweltverbandes Ökolöwe sollte erst gar nicht zugelassen werden. Doch 2008 erstritt sich der Ökolöwe vor dem Bundesverwaltungsgericht den Klageweg zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen gegen die sogenannte “Südabkurvung” am Flughafen Leipzig-Halle.

Im Kern geht es darum, dass die bei der Planfeststellung zum Flughafenausbau offiziell angenommenen Flugrouten nach Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses nachträglich völlig verändert wurden. In diesem nachgeordneten Verfahren wurde der Öffentlichkeit und den Umweltverbänden jegliche Beteiligung verwehrt. Im Grunde hat die Deutsche Flugsicherung diese Routen sogar aus eigener Entscheidungshoheit eingeführt.

Womit eigentlich die komplette Bürgerbeteiligung am Planfeststellungsverfahren ad absurdum geführt wurde. Was in Deutschland auch deshalb möglich ist, weil Flughäfen dieser Größenordnung keine Privatunternehmen sind, sondern aus Steuergeldern gebaut und erweitert werden. Die Bundesländer sind nicht nur Bauherr, sie sind auch Betreiber. Gleichzeitig sind sie Genehmigungsbehörde und Unterhalter der eigentlich unabhängig agieren sollenden Landesjustiz.

Doch all diese Interessenlagen überschneiden sich.

Auch die betroffenen Bürgern kritisierten die Verflechtung bei der Genehmigungspraxis. Denn das Land Sachsen besitzt als Haupteigentümer des Flughafens über 90 Prozent der Anteile, tritt aber gleichzeitig als Genehmigungsbehörde auf.
Die sehr niedrig fliegenden Flugzeuge auf der neuen Flugroute beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität der Anwohner von Lützschena und Modelwitz, sondern auch die Vogel-Fauna im Europäischen Schutzgebiet “Leipziger Auwald”. Als staatlich berufener Anwalt der Natur (siehe § 56 und § 57 Sächsisches Naturschutzgesetz) versuchte nun der Ökolöwe Schlimmeres von den besonders seltenen und schützenswerten Arten im Auwald wie Eisvogel, Kiebitz und Rotmilan abzuhalten.

Dazu erläutert Holger Seidemann, Vorstand beim Ökolöwen: “Der entstehende Lärm und eine für viele Arten bedrohliche wirkende Silhouette der Flugzeuge bewirken im Auwald eine Beeinträchtigung der Lebensräume für Vögel. Die Situation wird sich in Zukunft durch die geplante starke Zunahme des Flugverkehrs noch mehr verschlechtern.”

Jetzt entschied das Oberverwaltungsgericht in Bautzen über sein am längsten anhängiges Verfahren. Nach vier Jahren Wartezeit äußert sich das Oberverwaltungsgericht freilich nicht in dieser Sache, sondern sucht hinter der Auslegung europäischer Umweltstandards Schutz. In der mündlichen Verhandlung zeichnete sich schon ab, dass die Richter des Oberverwaltungsgerichts weder hinreichendes Interesse noch den notwendigen Schneid hatten, das europäische Umweltrecht in Sachsen/Deutschland zu vollziehen, schätzt der Ökolöwe ein.

Jedoch wurde die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich zugelassen. Innerhalb eines Monats muss diese eingelegt werden.

Dazu führt der Leipziger Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Umweltrecht, Wolfram Günther, näher aus: “Über prozessuale Kniffe verweigert das Oberverwaltungsgericht dem Umweltverband Ökolöwen das Klagerecht. Mit dieser Rechtsauffassung umgeht es aber eindeutig die maßgebliche europäische Rechtsauffassung. Die niedrige Flugroute über den Auenwald gilt juristisch als Projekt und hätte vor der Verkündung ein umfangreiches Prüfungsverfahren unter Beteiligung der Umweltverbände und der betroffenen Bürger durchlaufen müssen. Selbstverständlich hat der Ökolöwe auf Grundlage des Bundesnaturschutzgesetzes und der FFH-Richtline hier ein Klagerecht!”

Der Politikwissenschaftler Holger Seidemann merkt zum Verfahrensablauf mit einem Kopfschütteln an: “Wir rechnen mittlerweile vor sächsischen Gerichten kaum noch mit dem einer europarechtskonformen Rechtsprechung. Politisch brisante Entscheidungen landen nach einer unanständigen Verzögerung nach Revision irgendwann vor dem Bundesverwaltungsgericht. In der Zwischenzeit winken Genehmigungsbehörden und Richter schulterzuckend dubiose Großvorhaben durch.”

Im Hinblick auf die Fortführung des Verfahrens gibt Seidemann sich sportlich: “Wenn es die Spendenkasse hergibt, bleiben wir Ökolöwen natürlich an der Sache dran. Flugrouten, die über europäische Naturschutzgebiete führen sollen, müssen künftig schon frühzeitig und ordentlich untersucht werden und dürfen dann nicht mehr einfach nach Belieben verändert werden. Die Südabkurvung des Flughafen Leipzig-Halle ist schlicht illegal!”

Wer dem Ökolöwen bei seinem Gang vors Bundesverwaltungsgericht helfen will, kann dies mit Spenden tun:

Spendenkonto: Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e.V., Konto: 112 113 1561, BLZ: 860 555 92 bei der Sparkasse Leipzig, Zweck: Klageverfahren 971

www.oekoloewe.de/Fluglaerm.html

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