Die Diskussion um die Sperrung des Floßgrabens und damit des Kurses 1 spitzt sich derzeit zu. Und die verantwortlichen amtlichen Instanzen tragen nicht wirklich zu einer Erdung der Debatte bei. Grund dafür ist auch ein Papier mit dem Titel "Wassertouristisches Nutzungskonzept" (WTNK), das seit 2007 Grundlage der Handlungsstrategien im Leipziger Neuseenland ist. Es verspricht eine Wasserzukunft, die mit der Realität im Leipziger Gewässerknoten nicht viel zu tun hat.

Was dann auch in der aktuellen Diskussion um die (Teil-)Sperrung des Floßgrabens, die seit dem 9. Mai Realität ist, dazu führt, dass Ursache und Wirkung vertauscht werden, stellt Holger Seidemann, Vorstand des Ökolöwen, fest.

“Der Eisvogel brütet nachweislich seit über zehn Jahren mit ein bis zwei Brutpaaren am Floßgraben. Das Biotop ist Teil des Europäischen Vogelschutzgebietes ‘Leipziger Auwald'”, betont er eine der wesentlichen Grundlagen dessen, was das Umweltdezernat nun als Entscheidung vorlegen musste. “Das vorrangige Erhaltungsziel dieses SPA-Gebiets dient dem Schutz einer sachsen- bzw. bundesweit bedeutenden Eisvogel-Population. In SPA-Gebieten soll der verbleibende Rest der Vogelwelt unter anderem genetisch gesichert werden. Deshalb gilt in diesen Gebieten ein striktes Störungsverbot. Diese Fakten waren den zuständigen Fachabteilungen der Leipziger Stadtverwaltung bekannt. Seit 2007 wies der Ökolöwe in seinen jeweiligen Fachstellungnahmen zum Schleusenbau und zum Gewässertouristischen Nutzungskonzept auf die eingeschränkte Nutzbarkeit des Floßgrabens hin.”

Das alles wussten die Planer für das WTNK und die beiden Bootsschleusen am Cospudener See und am Connewitzer Wehr. Der Leipziger Auwald ist übrigens schon seit 1959 Landschaftsschutzgebiet, 1998 wurde die geschützte Fläche deutlich erweitert. Nur in der Leipziger Stadtverwaltung scheint man das immer wieder zu vergessen. Ein Beispiel dafür sind auch die wilden Planungen zum Mittleren Ring. Die nordwestliche Trassenführung sollte direkt durchs Auengebiet der Weißen Elster im Bereich der Gustav-Esche-Straße führen. Der südliche Teil dieses Ringprojekts hätte praktisch mitten durch den südlichen Auwald geführt. Das gigantische Straßenprojekt liegt bis jetzt lediglich auf Eis, wurde von OBM Burkhard Jung nur aus finanziellen Gründen um mindestens zehn Jahre vertagt. Aber die Wahrheit ist: Ein solches Projekt darf im Leipziger Auwald gar nicht umgesetzt werden. Auch nicht 2023 oder sonstwann.Und so ähnlich war es eigentlich auch von Anfang an bei den Planungen für die Nutzbarmachung des Floßgrabens für die bootsgängige Befahrbarkeit Richtung Cospudener See.

Seidemann: “Es klingt absurd: Die Bauwerke zur Ertüchtigung des Kurses 1 (Brückenanhebung; Schleuse) wurden von den Planungsträgern des WTNK sehenden Auges in einen unlösbaren Rechtskonflikt hineingeplant und dafür Millionen Euro verschwendet. Angesichts der Rechtslage und der Empfindlichkeit des Biotopes Floßgraben wäre nach Artikel 6 der FFH-Richtlinie von Beginn an eine alternative Planvariante zu prüfen gewesen. Auch das war in den Amtsstuben bekannt, die Alternativenprüfung blieb aus.”

Auch die von Amtsleiterin Freifrau von Fritsch in der LVZ erwogenen Ausgleichsmaßnahmen für den Eisvogel an anderer Stelle sind laut Seidemann juristisch fragwürdig: “Nach dem strengen europäischen Recht sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in SPA-Gebieten nur in sehr seltenen Einzelfällen umsetzbar. Für die Nutzung des Floßgrabens als Bestandteil von Kurs 1 müsste ein überwiegendes öffentliches Interesse nachgewiesen werden. Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen aus unserer Sicht nicht vor.”

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Doch statt im Jahr 2013 – auch vor dem Hintergrund der völlig unbezahlbaren Visionen zum “Elster-Saale-Kanal” endlich einzugestehen, dass man mit einer technischen Ertüchtigung des Leipziger Gewässerknotens für den Wassertourismus die falschen Weichen gestellt hat, macht man den Umweltbund für das Dilemma zum Buhmann. Die Öffentlichkeit musste spätestens nach dem zelebrierten “Tag Blau” 2011 den Eindruck bekommen, mit dem “Kurs 1” durch den Floßgraben seien allen Probleme gelöst.

“Der Ökolöwe taugt nicht als Sündenbock für die Fehlplanungen der Stadt Leipzig, des Grünen Rings und der übrigen Akteure. Wir überwachen gemäß unserer Vereinssatzung die Einhaltung der europäischen Umweltstandards. Weder der Eisvogel noch der Ökolöwe tragen die Verantwortung für die aktuelle Situation”, stellt Holger Seidemann fest.

Die Stellungnahme des Ökolöwen zum Gewässertouristischen Nutzungskonzept aus dem Jahr 2007 könne jederzeit abgefordert werden. Darin sei die hier vorgetragene Argumentation umfassend dargelegt.

Das WTNK gehört längst auf den Prüfstand. Und ein verantwortlicher Leipziger Umweltbürgermeister hätte das auch längst veranlasst. Aber vielleicht will er ja erst mal seine Wiederwahl abwarten. Die steht im Juli auf der Tagesordnung des Leipziger Stadtrates.

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