Am Donnerstag, 19. November, verhandelte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Klage der Grünen Liga Sachsen gegen die Festlegung von Flugrouten über Leipziger Naturschutzgebiete. Und was selbst die Fluglärminitiativen im Leipziger Norden schon nicht mehr erwartet hatten: Das Gericht gab der Klage statt. Sie ist damit zulässig.

Am Donnerstag entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Grüne Liga Sachsen, ein in Sachsen anerkannter Naturschutzverein, die festgelegten Flugrouten zur sogenannten kurzen Südabkurvung für den Flughafen Leipzig/Halle gerichtlich überprüfen lassen kann, und hat damit eine gegenteilige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen aufgehoben. Die Flugrouten, die das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festgesetzt hatte, ohne den Kläger zu beteiligen, führen über das Vogelschutzgebiet “Leipziger Auwald” und das Landschaftsschutzgebiet “Leipziger Auensystem”.

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts müssen Flugrouten vor ihrer Festlegung darauf geprüft werden, ob ihre Benutzung geeignet ist, Gebiete zum Schutz von Natur und Landschaft erheblich zu beeinträchtigen. Ist dies im Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen nicht erfolgt und ergibt die spätere Prüfung, dass die Nutzung der Routen zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen kann, ist ihre Festlegung unzulässig, wenn nicht eine Abweichungsentscheidung ergehen kann. An dieser Entscheidung sind anerkannte Naturschutzvereine zu beteiligen, betont das Gericht.

Ihr Beteiligungsrecht ist nicht nur verletzt, wenn eine Abweichungsentscheidung ohne ihre Beteiligung getroffen wird, sondern auch dann, wenn – was hier in Betracht kommt – eine Abweichungsentscheidung unterbleibt, weil die Behörde ihre Erforderlichkeit zu Unrecht verneint hat. Die hier mögliche Verletzung des Beteiligungsrechts eröffnet die Klage gegen die Flugroutenfestlegung.

Ob die Klage begründet ist, hängt davon ab, ob die Routen nur auf der Grundlage einer Abweichungsentscheidung hätten zugelassen werden dürfen. Die Frage kann erst beantwortet werden, wenn die Auswirkungen der Flugrouten auf die betroffenen Schutzgebiete ermittelt worden sind. Diese Aufgabe muss das Oberverwaltungsgericht erfüllen, an das die Sache deshalb zurückverwiesen worden ist. Der Ausgang des Rechtsstreits ist damit wieder offen.Trotzdem zeigen sich nicht nur die Umweltverbände überrascht.

Auch die Fluglärmgegner sehen nach über sechs Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen um die Flugpraxis am Flughafen Leipzig/Halle endlich ein wenig Licht am Ende des Tunnels.

“Man hätte es fast nicht für möglich gehalten, nach dem Aufwand und Aufgebot des Luftfahrtbundesamts, Klagen gegen die legendäre kurze Südabkurvung am Flughafen Leipzig-Halle für unzulässig zu erklären”, stellt Matthias Zimmermann, Pressesprecher für die Bürgerinitiativen “Gegen die neue Flugroute” und “Gegen Flug- und Bodenlärm” fest. “Die Grüne Liga Sachsen e.V. hat ihr Recht auf Klage gegen die Flugroute über Leipzigs Naturschutzgebiet nun erstritten. Ein Erfolg auch für die vielen Unterstützer (moralischer und finanzieller Art) im gesamten Bundesgebiet, allem voran die Bürgerinitiative ‘Gegen die neue Flugroute’. Ein kleiner Schritt zunächst, das ist wohl wahr. Er spiegelt aber die gewachsene Befindlichkeit der Gesellschaft zum Thema Fluglärm wieder. Gemäß nunmehr erlangter Rechtsprechung ‘müssen Flugrouten vor ihrer Festlegung daraufhin geprüft werden, ob ihre Benutzung geeignet ist, Gebiete zum Schutz von Natur und Landschaft erheblich zu beeinträchtigen’. Und der betroffene Bürger möchte anfügen, auch zum Schutz des Menschen.”

Dass Bürger und Verbände vor Ort stets am kürzeren Hebel saßen, wenn es um das Einfordern ihrer eigentlich gesetzlich gewährten Rechte geht, hat damit zu tun, dass die entscheidende Behörde sich seit Jahren ausschließlich nur als Vertreter der Flughafenbetreiber betrachtete – und entsprechend alle Mittel einsetzte, um die Lufthoheit der Flughafen und ihrer Nutzer zu verteidigen: das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. So argumentierte es auch noch im Juni 2013, als es um die beiden umstrittenen Flugrouten am neuen Berliner Großflughafen ging und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Klage gegen Müggelseeroute und Wannseeroute abwies: “Das Gericht ist in seiner heutigen Entscheidung der Rechtsauffassung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung (BAF) gefolgt. Beide Klagen gegen die vom BAF im Januar 2012 festgelegten Flugverfahren über den Müggelsee und den Wannsee sind vom OVG Berlin-Brandenburg abgewiesen worden. (…) Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass für die Festlegung von Flugverfahren entgegen der Ansicht der Kläger keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) besteht. Eventuellen Defiziten der UVP in der Planfeststellung steht die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses entgegen, soweit nicht durch Abweichungen der festgesetzten Flugverfahren von der Grobplanung unlösbare Konflikte aufgeworfen werden.” Keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig? – Da fühlen sich nicht nur die Berliner veralbert. In diesem Verfahren wurde übrigens eine Revision zugelassen.

Matthias Zimmermann zum Leipziger Vorgang: “Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, bisher der unangefochtene, von der Flughafenlobby umworbene, Fels in der Brandung bei der willkürlichen Festlegung von Flugrouten, muss erstmals zur Kenntnis nehmen, dass es jenseits von Sicherheits- und vermeintlich wichtigen wirtschaftlichen Belangen auch noch eine andere Seite der Medaille gibt. – Wir halten mal fest: Im Planfeststellungsverfahren zur Start- und Landebahn Süd war die kurze Südabkurvung nicht enthalten. Der EU wird erklärt, über das Europäische Naturschutzgebiet führt keine Flugroute. Die Deutsche Flugsicherung bestätigt dem Flughafen Leipzig-Halle in 2006 die Nutzung der kurzen Südabkurvung auf max. 30 t und 44 Flüge im Jahr. Die Annahme der Petition zur Abschaffung der kurzen Südabkurvung wurde 2013 lediglich durch die Stimmen der Bundes-CDU abgelehnt. Der ehemaliger Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) sagte im Zusammenhang mit Flugrouten am Flughafen Berlin ‘Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, was Politik und Verwaltung ihnen 10 Jahre vorgelegt haben.’ Der seinerzeit die kurze Südabkurvung bestätigende Bundesverkehrsminister Tiefensee erklärt heute, dass diese nach seinen heutigen Erkenntnissen nicht notwendig ist. Der komplette Leipziger Stadtrat fordert mit Stadtratsbeschluss die Abschaffung der kurzen Südabkurvung. Und nun bestätigt auch noch das Bundesverwaltungsgericht das Recht auf Klage gegen Flugrouten bei Verletzung des Beteiligungsrechts. – Stellt man nun vorgenannte Sachverhalte in den Kontext der Aussagen des neuen Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD zum Thema Fluglärm, ergibt sich aus Sicht unserer Bürgerinitiative bis zur Klärung des Rechtsstreits nur ein Schritt für Politik und Verwaltung: Die kurze Südabkurvung muss vorerst ausgesetzt werden!”

Als Leipziger Akteur und Mitglied der Grünen Liga Sachsen war der Ökolöwe Initiator der jetzigen Gerichtsverhandlung. Er sah sich durch die diversen Ausweichmanöver der Verwaltungsinstanzen von Anfang an außen vor gehalten. Die Landesdirektion (damals noch Regierungspräsidium Leipzig) hatte im Jahr 2004 Flugrouten genehmigt, die dann 2007 nachträglich von der Deutschen Flugsicherung geändert wurden. Dabei entstand, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, die sogenannte kurze Südabkurvung, deren lautstarker Flugbetrieb die Nerven der Anwohner in Lützschena und Modelwitz angreift und Lärm ins Vogelschutzgebiet “Leipziger Auwald” trägt.

In der bisherigen Rechtsprechung gab es bezüglich der nachträglichen Flugroutenänderung eine Regelungslücke. Auf diese Unklarheit berief sich im Jahr 2012 nach vierjähriger Wartezeit das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen und wies die Klage des Ökolöwen zunächst ab. Begründung: Flugroutenänderungen seien von einem Naturschutzverein nicht vor Gericht beklagbar. Dieses Urteil stand am 19. Dezember 2013 beim Bundesverwaltungsgericht zur Revision. Der anerkannte Naturschutzverein Ökolöwe setzte sich in der Verhandlung mit seiner Position durch.

“Wir fanden es immer ungerecht, dass weder die Bürger noch die Umweltverbände sich gegen nachträglich veränderte Flugrouten wehren können, obwohl die europäische Gesetzgebung einen weiten Zugang zu den Gerichten fordert”, erklärt Holger Seidemann, Vorstand des Ökolöwen, seine Klagemotivation.

Wolfram Günther, der schon häufig erprobte Rechtsanwalt des Ökolöwen, merkt zum Verfahren an: “Juristisch ging es im Kern darum, ob Flugroutenänderungen einer Verträglichkeitsprüfung nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) zum Schutz des europäischen Naturerbes unterliegen und die Umweltverbände dazu Klagerechte besitzen. Daran hatten wir schon seit 2006 keinen Zweifel und sind nun höchstrichterlich bestätigt worden.”

Nach langjähriger Verzögerung scheint sich nun in der Deutschen Rechtsprechung der Geist der europäischen Gesetze niederzuschlagen. Der Ökolöwe tritt zusätzlich bei Flugroutenänderungen für die zwingende Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen ein, damit auch vom Fluglärm betroffene Anwohner angemessene Abwehrrechte erhalten.

www.oekoloewe.de

www.fluglaermleipzig.de

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung: www.baf.bund.de/DE/Home/home_node.html

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