Am Samstag, 22. März, fand in der Volkshochschule der Leipziger Teil der Workshops zur Charta 2030 des Leipziger Neuseenlands statt. Es sollten neun Schwerpunkte vertieft werden, die sich bei der Auftaktveranstaltung in der Stadtbibliothek herauskristallisiert hatten. Aber man einigte sich lieber auf zwei, sonst hätte man das in einem Workshop gar nicht bewältigt. Das Ergebnis erinnerte dann ein wenig an den Ethikunterricht Klasse 9.

Auf eine knappe Formel gebracht: Jeder benimmt sich im Neuseenland so, dass er andere nicht behindert, bedrängt oder gefährdet wird. Es braucht Regeln für alle – aber so wenig wie möglich. 80 Leipziger hatten sich die Zeit genommen, an diesem Workshop teilzunehmen und sich in fünf Arbeitsgruppen mit zwei Themen intensiver zu beschäftigen und auszutauschen. In einem erstaunlich fairen Dialog, stellt im Nachhinein Kathrin Rieger, Mediatorin der ZAROF GmbH, fest. Immerhin hat ZAROF schon etliche Bürgerdialoge in Leipzig organisiert. Aber so sachlich sei es dann doch eher selten zugegangen. Selbst dort, wo eigentlich Interessen aufeinander prallen.

Das tun sie auch im Leipziger Gewässerknoten. Wirtschaftstreibende haben naturgemäß andere Interessen als Sportler, Naturschützer oder Bürger. Das überlagert sich im Gewässerknoten. Mehr oder weniger friedlich. Man respektiert einander, kommt aber nicht ganz ohne Regeln aus. Und man weiß, wie eng es an einigen Stellen wird.

Beispielhaft ist der Floßgraben, der 2011 mit dem “Tag Blau” feierlich in Betrieb genommen wurde. Die maßgeblichen Politiker der Region wollten schön gemütlich im Fahrgastboot durchfahren – und waren mehr als nur verblüfft, wie organisiert der Widerstand von Wassersportlern und Naturschützern war, die den verantwortlichen Leipziger Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) genauso zum Umsteigen ins Paddelboot drängten wie OBM Burkhard Jung (SPD) und Landrat Gerhard Gey (CDU). Für Rosenthal war es ein einschneidendes Erlebnis. So deutlich hatte die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, in der die Kommunen zusammen arbeiten, vorher nicht gemerkt, dass nun die Nutzer der Gewässer ihr Mitspracherecht einforderten und drohenden Entwicklungen ihr “Nein!” entgegen hielten.

Dass er so überrascht war, liegt auch daran, dass diese Steuerungsgruppe und ihre Vorläufer 15 Jahre lang eher ungestört planten und bauten. Sie dachten praktisch gleich mal für die Bürger mit, entwickelten über die Jahre mehrere Visionen für die Gestaltung der Gewässerlandschaft, die ja erst mit dem Volllaufen der alten Tagebaurestlöcher Gestalt annahm. Auch die Diskussion um die künftigen Gewässeranbindungen zu den Seen geschahen eher im kleinen Kreis. Man entwarf verschiedene Varianten, verwarf sie wieder. Mal aus Naturschutzgründen, mal des Geldes wegen. Der Floßgraben war am Ende ein Kompromiss. Er war mit überschaubaren Mitteln herzustellen und stellte eine zwar eingeschränkte, aber attraktive Verbindung zum Cospudener See her.

Und dann dieser deutliche Protest. Was tun? – Die Öffnung der Charta-Diskussion war die Folge. Eine Öffnung, die auch eine weitere Erkenntnis mit sich brachte: Es gibt – anders noch als 1998/1999 – heute eine Menge Menschen, die sich einbringen wollen in die Diskussion: “Wie nutzen wir unser Neuseenland?” – Jetzt mal in Anführungszeichen gesetzt, denn genauso deutlich wurde es am Samstag dann auch formuliert. Es gibt keine Gewässerlandschaft mehr, die eine eher offiziöse Steuerungsgruppe für die Allgemeinheit baut. Der Gewässerknoten ist gelebte Wirklichkeit und wird von den Leipzigern intensiv genutzt. Das Wasserfest, das der Wasser-Stadt-Leipzig e.V. vor dreizehn Jahren zum ersten Mal organisierte, muss nicht mehr für die attraktive Wasserlandschaft werben.Stattdessen überlagern sich die Nutzungen – der Trainingsbetrieb der Wassersportler, die hier ja schon seit Jahrzehnten zu Hause sind, mit der Fahrgastschifffahrt, die seit Wieder-Inbetriebnahme des Karl-Heine-Kanals im Aufwind ist, mit den zunehmenden Aktivitäten von Ruderern, Paddlern, Gondolieri. Entlang der Gewässer sind zahlreiche Unternehmen entstanden – von der Bootsausleihe bis zum Wassercafé. Von Schatz und Schmuckstück war am Samstag die Rede und von einem Kleinod, das es nun zu bewahren gelte.

Diskutiert wurde natürlich vor allem über den Leipziger Teil am Gewässersystem: den Gewässerknoten mit Stadtelster, Elsterbecken, Karl-Heine-Kanal, Elstermühlgraben, über den Floßgraben und den Leipziger Teil des Cospudener Sees. Am Horizont auch noch Kulkwitzer See und Lindenauer Hafen. Alles in den letzten zehn Jahren deutlich stärker genutzt.

So war denn eines der Themen, die in den Arbeitsgruppen diskutiert wurden, der notwendige Konsens über die Regeln, die im Gewässerknoten künftig gelten sollen. Möglichst wenig, war der Tenor, um überhaupt noch eine leichte Lesbarkeit für alle zu erhalten. Aber dennoch klar. Hier spielte die künftige Schiffbarkeitserklärung eine Rolle. Dazu gleich mehr.

Klare Regeln für die Nutzung heißt aber auch, dass man sich im Charta-Prozess einigt, welche Boote man im Gewässer haben will. Denn eine der größten Ängste all jener, die sanften Wassersport betreiben, ist ja seit der Verabschiedung des novellierten Sächsischen Wassergesetzes 2013, dass nun private Motorboote in den Gewässerknoten drängen und damit die schwächeren Verkehrsteilnehmer natürlich an den Rand drängen. Befeuert auch durch die 2013 noch einmal bestätigten Träume, den Elster-Saale-Kanal ausbauen zu wollen und damit Kapitäne aus Hamburg und von anderswo über die Saale nach Leipzig zu locken. Das Thema ist noch völlig offen. Auch in seiner wirtschaftlichen Berechnung, denn der Endpunkt dieser Motorbootanreise wäre zwangsläufig der Lindenauer Hafen, der zum Transithafen werden soll, wie Angela Zábojník, Leiterin der Arbeitsgruppe Gewässerverbund der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, betont: Die Ankömmlinge sollen dort umsteigen auf Boote, wie sie im Leipziger Gewässerknoten erlaubt sind. Selbst die niedrigen Brücken über die Stadtelster würden eine Weiterfahrt von Motorbooten ins Neuseenland unmöglich machen.

Zweites großes Diskussionsthema war am Samstag aber auch die Nutzung der Gewässer durch den Wassersport. Schon heute begegnen sich unterschiedliche Wassersportarten auf den Gewässern. Hier sind die Sportvereine zu Hause, die dringend Platz und Zeit auch zum Training für die Kinder und Jugendlichen brauchen. Das ist allein mit separaten Trainingszeiten nicht geregelt. Also steht die Frage: Gibt es Gewässer(-abschnitte), die man den Sportlern reservieren kann? – Eine Idee ist, im Lindenauer Hafenbecken ein Trainingszentrum für den Nachwuchs einzurichten.

Mehr zum Thema:

Charta Leipziger Neuseenland (1): Auftakt zu einer lange überfälligen Diskussion
Wohin entwickelt sich das Leipziger Neuseenland …

Charta Leipziger Neuseenland (2): Ein Berg von Diskussionspunkten wird jetzt sortiert
Das lange Jahre gepflegte Nebeneinanderher …

Tag Blau im Floßgraben: Am Ende sind sie alle Paddler
Der Floßgraben ist und bleibt der neuralgische Punkt …

Leipziger Neuseenland: 30 Millionen Euro fehlen noch – Charta-Diskussion beginnt am 6. Februar
Fast elegant ging Dr. Gerhard Gey …

Auf den großen Seen waren sowieso schon unterschiedliche Nutzungen vorgesehen. Aber auch das ist noch nicht zu Ende durchdekliniert. Dürfen mit der Schiffbarkeitserklärung auch Motorboote auf den Cospudener See – gar noch benzinbetriebene? Ziehen die Segler ganz um an den Zwenkauer See, wo sie eine echte Regattastrecke bekommen? Oder leben die Seen nicht gerade davon, dass man mit den Booten über die Verbindungskanäle ins Nachbarrevier fahren kann?

Und wie ist es mit Fahrgastbooten? Sollen die künftig gar nicht mehr durch den Floßgraben fahren dürfen, obwohl gerade ältere Leipziger damit ihren Traum erfüllen können, die einst so geschundene Landschaft auch mal vom Boot aus erleben zu können?

Die Ergebnisse aus den Workshops werden jetzt gesammelt. Der Workshop für den Südraum findet am 29. März in Borna statt, der für den Nordraum am 5. April in Delitzsch. Danach soll es in der Stadt Leipzig genauso wie in den beiden Landkreisen noch einmal ausführliche Bürgerbefragungen geben. Leipzig will das im Rahmen seiner Bürgerumfrage 2014 mit abwickeln. All das soll dann mit einfließen in die Neufassung der “Charta Leipziger Neuseenland 2030”, die wahrscheinlich zur Messe “Beach & Boat” im Februar 2015 vorgestellt wird. Diese steht dann wieder zur Diskussion. Auch online sollen sich die “Neuseenländer” dann erneut einbringen können, bis das Papier dann beschlussreif ist. Es ist zwar “nur” eine Selbstverpflichtung, aber Heiko Rosenthal verspricht zumindest für Leipzig, dass es zu einem eigenen Stadtratsbeschluss dazu kommen wird.

Und warum die Steuerungsgruppe die kommende Schiffbarkeitserklärung im Neuseenland sogar begrüßt, dazu gleich mehr an dieser Stelle.

www.charta-leipziger-neuseenland.de

www.wasserfest-leipzig.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar