Der Neonazi-Großaufmarsch in Dresden ist Geschichte. Vorerst zumindest. Wahrscheinlich werden die Kameraden auch kommendes Jahr versuchen, sich in der Landeshauptstadt zu versammeln. In diesem Jahr fiel das braune Stelldichein ins Wasser. Statt Neonazis zu blockieren, demonstrierten am Samstag, 18. Februar, tausende Menschen gegen braune Ideologie und staatliche Repression.

Selten zuvor traten Autonome und Gewerkschafter, Ökos und Kommunisten, Punks und Hippies so vereint auf wie am Samstag. Auch zahlreiche Prominente waren gekommen. Unter ihnen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt. Die Grünen-Politikerin wird derzeit als mögliche Nachfolgerin von Ex-Bundespräsident Christian Wulff gehandelt. Aus dem Landtag waren unter anderem Henning Homann (SPD) und Freya-Maria Klinger (Die Linke) nach Dresden gereist. Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) sprach auf der Abschlusskundgebung, Liedermacher Konstantin Wecker musizierte. Obwohl schon im Vorfeld feststand, dass in der Landeshauptstadt an diesem Samstag kein rechter Aufmarsch stattfinden wird, waren tausende Neonazi-Gegner aus dem In- und Ausland angereist. Einerseits um ihren Erfolg zu vom vergangenen 13. Februar zu zelebrieren. Andererseits um gegen die Repressionen zu demonstrieren, mit denen die sächsische Justiz seit Jahren Antifaschisten überzieht, die sich aktiv an der Verhinderung des rechten Schaulaufens beteiligten.Die Stimmung unter den Neonazi-Gegnern war spürbar entspannt. Tausende Menschen hatten sich ab 11 Uhr auf dem Wiener Platz vor dem Dresdner Hauptbahnhof versammelt.

Ein Redner der MLPD wettert gegen den Kapitalismus. Die Linkspartei verteilt Infomaterial, die “Junge Welt” Freiexemplare und eine “VoKü” heißen Tee. Von einem Lauti tönt Punkrock, ein anderer unterhält schwarz gekleidete Autonome mit Technobässen. Bodo Ramelow posiert mit einigen Genossen lässigen an einem Transparent. Der Linken-Politiker steht seit 2010 im Visier der Dresdner Behörden. Weil er den Neonazi-Aufmarsch 2010 mitblockierte, erhielt er jüngst einen Strafbefehl über 3.400 Euro. Für ihn eine Unverschämtheit. “Ich bestehe darauf, das Geld nicht zu bezahlen, weil ich das Schauspiel vor dem Gericht erleben möchte”, zeigte er sich bei der Schlusskundgebung empört. “Ich möchte den Rechtsstaat erleben. Ich möchte euch alle als Zeugen einladen, da wir gemeinschaftlich gehandelt haben. Weil ich glaube, dass die geistige Form des Wegguckens genauso schlimm ist wie das Aufmarschieren, müssen wir zusammenhalten und dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen.”
Keine Frage, die rechten Aufmärsche in der Elbestadt zählen wie Castor-Transporte oder G8-Gipfel längst zur Champions League des Protesttourismus. Berliner Autonome, Leipziger Punks, hessische Ökos und antiimperialistische Sekten aus dem Ruhrpott zieht es jeden Februar gleichermaßen nach Dresden. Alle versuchen die Themen Antifaschismus, Erinnerungskultur und Geschichtsklitterung für sich zu besetzen. Ein erheiterndes Schauspiel, erst recht wenn keine Neonazis in der Nähe sind. Da fordert ein Altkommnuist “internationale Solidarität” mit Staaten, die er vermutlich nicht auf der Weltkarte einzeichnen könnte. Einen Block weiter verlangen vermummte Jugendliche in schwarzen Windbreakern “antinationale Solidarität”. Ein sächsisches Antifa-Bündnis verheißt plakativ “extrem_ist_in”. Dahinter verbirgt sich eine inhaltliche Kritik an sächsischer Innenpolitik, die zu fetzigen Techno-Beats unüberhörbar aus den Boxen des mitgebrachten Lautsprecherwagens tönt.
Die Demo, die das Bündnis “Dresden Nazifrei” auf die Beine gestellt hatte, stand auch im Zeichen des Erinnerns an 177 Opfer rechter Gewalt. Ihre Namen tragen Teilnehmer auf Schildern verteilt über den ganzen Aufzug, der sich über mehrere hundert Meter erstreckt. Eine Aktion, die die Neonazi-Gegner trotz aller ideologischer Widersprüche vereinte. Erst als sie gegen 17 Uhr die Abschlusskundgebung vor dem Haus der Begegnung in der Großenhainer Straße beendet hatten, wurde das friedliche Miteinander kurz getrübt. Nachdem sich zwei Teilnehmergruppen in die Haare gerieten, ging die Polizei dazwischen. Mit fatalen Folgen. Autonome fühlten sich provoziert, bewarfen die Beamten mit Flaschen. Einzelne Neonazi-Gegner versuchten die aufgebrachten Gemüter auf beiden Seiten zu beruhigen. Mit durchwachsenem Erfolg. Zwar zogen sich die behelmten Ordnungshüter langsam zurück, doch als weitere Gegenstände flogen, griffen sie zum Pfefferspray. Wenigstens eine Person wurde augenscheinlich verletzt.
Ein trauriger Schlussakkord, wenn man bedenkt, dass sich die Polizei insgesamt äußerst deeskalativ verhalten hat. So zeigten sich am Rande vergleichsweise wenig Einsatzkräfte, die zahllose Verstöße gegen das Vermummungsverbot tolerierten. Als der Aufzug das Ministerialgebäude und die Staatskanzlei passiert und Autonome aus Protest Farbbeutel und Böller werfen, schreiten sie nicht ein. Szenen, wie man sie aus der Landeshauptstadt aus der Vergangenheit lange nicht gewohnt gewesen ist.

Die Organisatoren bewerten ihre Demonstration als Erfolg. “Wir haben heute den Nazis in Dresden keinen Meter gelassen und sie werden sich sicherlich überlegen, ob sie es in Dresden nochmal versuchen wollen”, sagte Sprecherin Franziska Radtke. “Unser Dank gilt all denjenigen, die seit nunmehr drei Jahren das Bündnis mit begleiten.” Nach Angaben von “Dresden Nazifrei” beteiligten sich über 10.000 Menschen an der Veranstaltung, die Polizei spricht von bis zu 6.500 Teilnehmern.
Parallel veranstaltete die stadt- und CDU-nahe “AG 13. Februar” eine eigene Protestveranstaltung. Hauptredner war der ehemalige Bundespolitiker Hans-Jochen Vogel (SPD). An der Veranstaltung mit dem Motto “Mit Mut, Respekt und Toleranz – Dresden bekennt Farbe” nahmen nach Polizeiangaben 1.500 Menschen teil. Unter ihnen Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Die Demo begann 14.30 Uhr und führte vom Postplatz aus zur Synagoge. “Es ist gut, dass so viele Menschen dem Aufruf der AG 13. Februar gefolgt sind”, äußerte Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung und Moderator des Bündnisses. “Sie haben ein friedliches Zeichen für die Demokratie und gegen Extremismus gesetzt.”

Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert dankte “allen demokratischen Kräften und politischen Parteien, dass sie sich zusammengefunden haben, für ein gemeinsames Vorgehen, für unsere Stadt.” Der FDP-Politiker rief zu gemeinsamen Handeln auf, denn wir seien aufgefordert nicht nur heute oder am 13. Februar Farbe zu bekennen, sondern jeder jeden Tag. Mahnende Worte fand Eugeniusz Kolodziejczyk aus Wielun. Der 86-Jährige überlebte die deutschen Bombenangriffe auf die polnische Stadt. “Nur ein gemeinsames Gedenken und gemeinsames Wachsamsein sind ein Garant für das friedliche Zusammenleben unserer Völker”

Die Polizei zog insgesamt eine positive Bilanz. Beide Veranstaltungen seien insgesamt friedlich abgelaufen. Fünf Beamte wurden verletzt, vier Demonstranten festgenommen. Ein 18-Jähriger widersetzte sich einer Kontrolle, muss sich nun wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte verantworten. Ein 21-Jähriger verletzte einen Polizisten mit einem Böllerwurf. Zwei Männer im Alter von 17 und 18 Jahren wurden eingesperrt, nachdem sie Flaschen auf Ordnungshüter warfen. Gegen sie wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.

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