Nach zweieinhalb Jahren Regierung kann man eigentlich von den regierenden Fraktionen erwarten, dass sie ihre Zahlen, die sie zum Start verkündet haben, mit Konzepten untersetzen. Zum Beispiel den von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verkündeten Abbau des Landespersonals von 87.000 auf 70.000 Stellen. Doch stattdessen zog der Regierungschef Ende Februar gar die Notbremse und verkündete einen Einstellungsstopp.

Sämtliche Neueinstellungen, Vertragsverlängerungen und Entfristungen für Landesbedienstete dürfen bis zum 19. Juni 2012 nur von Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) und seinem Stellvertreter Sven Morlok (FDP) genehmigt werden. Das sollte – so ließ es sich die Leipziger Uni-Rektorin Dr. Beate Schücking von Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer extra bestätigen – keine Auswirkungen auf das Hochschulpersonal haben. Aber schon wenige Wochen später kam die Meldung aus der TU Chemnitz, dass sich dort der Semesterstart an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz wegen fehlender Vertragsverlängerungen für 20 Mitarbeiter infolge des von der Landesregierung beschlossenen Einstellungsstopps im öffentlichen Dienst verschob.

“Der verzögerte Semesterstart in Chemnitz ist sicher nur die erste sichtbare Folge dieser Haushaltssperre 2.0 der sächsischen Staatsregierung. Mit diesem Verfahren nimmt die Staatsregierung bewusst die Gefährdung des Lehrbetrieb und wirtschaftlicher Existenzen in Kauf. Das hat mit verlässlicher Politik nichts mehr zu tun, sondern ist ein weiterer Beleg für das Scheitern der Staatsregierung im Bildungsbereich”, meinte dazu der hochschulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Holger Mann. “Wer die Hochschulen so knebelt, ein Bürokratiemonster schafft und vier Ministerien damit beschäftigt die Hochschulautonomie auszuhebeln, muss sich fragen lassen, ob er nicht selbst Teil des Problems statt der Lösung ist. Noch vor Inkrafttreten des Ministererlasses hat die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag das vom Kabinett beschlossene so genannte ‘Personalcontrolling’ als realitätsfremdes Bürokratiemonster und Hypothek für den Hochschulstandort Sachsen kritisiert. Nun in Woche zwei seit Inkrafttreten des Erlasses, zeigen sich am Beispiel der Philosophischen Fakultät Chemnitz die Auswirkungen solcher Regierungsattitüden.”

Sein Fazit: “Entgegen der Beschwichtigungsversuche von Ministerin von Schorlemer und Staatskanzleichef Beermann ist das auferlegte Genehmigungsverfahren im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen ein Hemmnis für die Hochschulen. Die Staatsregierung muss dringend umsteuern und den Hochschulen ihre gesetzlich verbrieften Freiheiten gewähren. Hochschulautonomie funktioniert nicht an der Leine des Finanzministers!”

Doch der kurze Blackout im Hochschulbereich steht ja für ein viel größeres Dilemma. Auch der Kultusminister ist ja zurückgetreten, weil er mit dem zusammengesparten Personal den Schulbetrieb auch mit größter Strenge nicht mehr gewährleisten konnte. In der Größenordnung sieht es auch der hochschulpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Dr. Gerhard Besier: “Die Implosion der Staatsregierung durch selbst auferlegten Sparzwang läuft ungehemmt weiter und reißt nach den Schulen nun auch die Hochschulen mit ins Chaos. Arnold Vaatz wird in dem gerade erschienenen Buch ‘Regieren in Sachsen’ mit dem Satz zitiert, es sei ‘die Finanzpolitik das einzige Alleinstellungsmerkmal Sachsens in der Bundesrepublik’ (Harald Noeske, Regieren in Sachsen, Dresden 2012, S. 93). Wie der aktuelle Tanz ums Goldene Kalb ‘Schuldenverbot in der Landesverfassung’ zeigt, wird diesem einzigen über Sachsen hinausweisenden Ergebnis von 22 Jahren CDU-Dauerregierung alles geopfert, was nicht niet- und nagelfest ist.”Natürlich verpflichtet sich eine Regierung, wenn sie Sparziele erklärt, ihren Wählern auch zu zeigen, wie sie – ohne Kollateralschaden – erreicht werden sollen. Doch Personalpolitik wird in Sachsen seit einiger Zeit, wie Holger Mann sagt, “nach Gutsherrenart” betrieben. Selbst die Angestellten und Beamten empfinden das immer stärker so. Mit Argumenten ist bei den zuständigen Ministern nicht mehr durchzudringen.

Dass es dabei zuerst um das wichtigste Zukunftsthema des Landes geht, wird einfach ignoriert und – wie im Ressort Wissenschaft – einfach ausgesessen. Da sind weitere Kürzungspläne noch immer nicht vom Tisch.

Besier: “Nun lässt die CDU unter Mitwirkung der FDP die Bildung über die Klinge springen. Es ist in der Kette der Katastrophen an Schulen und Hochschulen relativ belanglos, welche Mitverantwortung das zuständige Ministerium trägt. Die Richtlinienkompetenz liegt beim Ministerpräsidenten. Herr Tillich aber hat wohl schon lange die Kontrolle über sein sinkendes Regierungsschiff verloren. Ich fordere die Koalitionsfraktionen auf, endlich schadensbegrenzend in das Treiben des Kabinetts Tillich einzugreifen, damit Studierende wie Schülerinnen und Schüler nicht weiter in ihrem Recht auf Bildung beschnitten werden.”

Und weil der Ministerpräsident einfach nicht Farbe bekennen will, fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ihn jetzt mit einem Antrag auf, dem Landtag ein langfristiges und alle Ressorts betreffendes Personalkonzept vorzulegen. Der Antrag wird auf der 54. Sitzung des Landtages am Mittwoch, 4. April, diskutiert.

“Anstatt sorgfältig zu analysieren, wie viele Staatsbedienstete, zum Beispiel Lehrer, Richter, Justizvollzugsbeamte, in Sachsen in den nächsten 20 Jahren in den Ruhestand gehen und wie viele, wann neu eingestellt werden müssen, wird einfach eine Zahl der reduzierenden Stellen festgelegt. Und weil sich die Verwaltung ‘nur’ an den bereits beschlossenen Stellenabbau hält und alle anderen frei werdenden – haushaltsrechtlich vorgesehenen – Stellen wieder besetzt, wird sie nun an die Kandare genommen”, begründet Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion Sachsen, die parlamentarische Initiative. “Mit dem Genehmigungsvorbehalt wird ein verheerendes Zeichen gesetzt: Sachsens Regierung sieht keinen Einstellungsbedarf im Öffentlichen Dienst.”

Die Zahlen aber sprechen eine andere Sprache: 23,5 Prozent der im öffentlichen Dienst Beschäftigten sind älter als 55 Jahre. Bis 2020 gehen rund 20.000 Bedienstete in den Ruhestand. Weitere 34,2 Prozent der Beschäftigten sind bereits jetzt älter als 45 Jahre. Diese weiteren 30.000 Bediensteten gehen bis 2030 in Ruhestand.

“Hier besteht also dringender Handlungsbedarf”, so Jähnigen. “Wenn die Staatsregierung nicht schnellstens anfängt, Einstellungskorridore für alle Bereiche festzulegen, wird sie in naher Zukunft noch größere Probleme bekommen, ausreichend Fachkräfte zu finden. Ein bloßer Einstellungsstopp und die Erweiterung der bereits seit etlichen Jahren bestehenden Personalvermittlungsplattform reichen dafür bei weitem nicht.”

Und im Bildungsbereich brennt schon jetzt die Luft. Da hat die Regierung kein Jahr mehr Zeit, um die Weichen umzulegen. Eva Jähnigen: “Das Lehrerdilemma muss gelöst und für andere Fachbereiche der Landesverwaltung durch konsequentes Tun abgewendet werden. Dass die Regierung stattdessen jedwede Personalentscheidung in die Regierungsspitze delegiert ist leider erneut nur Zeichen von Ohnmacht und Bürokratie. Mit Personalentwicklung hat das nichts zu tun.”

Der Grünen-Antrag “Personalkonzept statt Einstellungsstopp – Nachhaltige Personalpolitik umgehend einleiten”, (Drs.5/8694): http://edas.landtag.sachsen.de

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