"Für BürgerInnen und Bürger ist es in Dresden gefährlicher gegen Nazis zu protestieren, als an anderen Orten in Sachsen. Friedliche Platzbesetzer sind in Dresden offenbar eher Strafverfolgung ausgesetzt, als anderswo", bewertet Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, die Antwort der Staatsregierung auf seine Kleine Anfrage, die er im Mai gestellt hatte.

Der Justizminister Jürgen Martens (FDP) hat ihm am 20. Juni geantwortet. Die Antwort war erhellend und gibt durchaus Anlass zu der Vermutung, dass die Strafwürdigkeit eines Vorganges innerhalb Sachsens durchaus davon abhängt, welche Gerichtsbarkeit zuständig ist.

“Während sich die über 100 Personen, die als friedlichen Protest gegen Nazi-Aufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden Plätze besetzten, mehr als ein Jahr danach weiterhin in Strafverfahren verantworten müssen, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu Geldstrafen verurteilt wurden oder Strafbefehle erhielten, wurden die in Chemnitz gegen sogenannte Blockierer des Nazi-Aufmarsches am 5. März 2011 in nur vier Fällen von der Staatsanwaltschaft Chemnitz eingeleiteten Verfahren zwischenzeitlich endgültig eingestellt, weil so ausdrücklich ‘kein Straftatbestand’ erfüllt sei”, stellt Lichdi nach Lesen der 14 Seiten langen Aufstellung fest.

“Ich sehe mich durch diese ungleichen Bewertungen sächsischer Staatsanwaltschaften in dem Verdacht bestärkt, dass die Staatsanwaltschaft Dresden politisch motiviert gegen Platzbesetzer durchgreift, um Bürgerinnen und Bürger von dieser Versammlungsform in der Landeshauptstadt abzuschrecken”, bewertet Lichdi diesen Sachverhalt. “Dass 302 Personen, gegen die ein Strafverfahren allein wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet wurde, an das Bundeskriminalamt als politisch motivierte Kriminalität gemeldet wurden und in einer Verbunddatei ‘Innere Sicherheit’ gespeichert werden, wie es eine weitere Kleine Anfrage (Drs. 5/9178) ergab, zeigt, dass bürgerlicher Protest in eine kriminelle Ecke gestellt wird.”

Eine Platzbesetzung fällt zumindest unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Grundgesetz. Unter Umständen kann eine Auflösung der Platzbesetzung rechtmäßig und auch eine nachfolgende Räumung unter weiteren Voraussetzungen rechtmäßig sein. Erst dann kommt eine Strafbarkeit in Betracht. Diese Zusammenhänge verkenne die Staatsanwaltschaft Dresden und das Amtsgericht Dresden, so Lichdi. Das OLG Dresden hatte jüngst ein erstes Platzbesetzerurteil aufgehoben.

Die Kriminalisierung der Demonstrationsblockaden hat freilich auch noch weitere Folgen: Die ans Bundeskriminalamt gemeldeten Zahlen erhöhen – ohne dass es dafür irgendeine sinnhafte Begründung gibt – den Falzahlbestand “politisch motivierte Kriminalität links”. Den Demonstranten wird einfach eine linke – in der sächsischen Variante sogar eine linksextremistische – Motivation unterstellt. Man bestärkt sich mit diesen fiktiven Fallzahlen im ganz speziellen Weltbild aus gleichwertigem Links-/ Rechtsextremismus.

Kleine Anfrage ‘Strafverfolgung wegen Verstößen gegen das (Sächsische) Versammlungsgesetz’ (Drs 5/9174)
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9174&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

Die Anfrage zu den ans Bundeskriminalamt gemeldeten Personendaten (Drs 5/9178) findet man hier:
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9178&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

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