Am heutigen Mittwoch, 17. Oktober, ist der internationale Tages für die Beseitigung der Armut. Viele denken dabei an Afrika oder die Slums in Südamerika. Aber Armut ist kein natürlicher und auch kein selbstverschuldeter Zustand. Armut ist das Ergebnis von Verteilungsprozessen. Und natürlich von politischen Entscheidungen, deren Folgen selbst ihre Akteure nicht verstehen. Die sächsischen Grünen fordern Sachsens Regierung jetzt zum Umdenken auf.

“Wir brauchen ein sächsisches Maßnahmenpaket gegen Armut: Stärkere Investitionen in Bildung, die Rücknahme der verheerenden Kürzungen im Sozialbereich und der Einsatz für eine faire Entlohnung in Sachsens Unternehmen sind der wichtigste Armutsschutz”, erklärt die Grünen-Landesvorsitzende Claudia Maicher. “Wer jetzt gut ausgebildet wird und seine Ziele hier in Sachsen umsetzen kann, braucht später nicht zum Sozialamt.”

Wer die Defizite in der Bildungspolitik verkenne oder immer noch auf Niedriglöhne setze, um Unternehmen nach Sachsen zu locken, hätte die Zeichen der Zeit nicht erkannt, mahnt Maicher: “Schwarz-Gelb tut nichts gegen Armut in den Familien und im Alter. Im Gegenteil, die Kommunen werden beim Teilhabepaket und der Umsetzung der Lernmittelfreiheit zulasten der Schüler allein gelassen. Die Folgekosten dieser Politik tragen wir alle.”

“Immer mehr Menschen sind in Sachsen mit Armut konfrontiert. Jeder fünfte Sachse ist von Armut bedroht – Tendenz steigend! Besonders für alte Menschen und Kinder bedeutet Armut eine Abwärtsspirale aus der sie kaum herauskommen. Wer Armut bekämpfen will, muss Ursachen frühzeitig anpacken und Unterstützungsangebote vor Ort erhalten. Aber gerade da versagt Schwarz-Gelb in Sachsen”, erläutert Maicher die Gefahren der Politik des Wegschauens. “Die anstehenden Haushaltsverhandlungen in Sachsen werden zeigen, ob die sächsische Staatsregierung Prioritäten beim Schutz vor Armut setzt oder ob es bei Sonntagsreden bleibt.”

Während statistisch in Sachsen jeder Fünfte von Armut bedroht ist, ist es in Leipzig sogar jeder vierte. 26,4 Prozent errechneten Leipzigs Statistiker – immerhin noch satte 3 Prozent mehr als noch vor Ausbruch der sogenannten “Finanzkrise” 2007/2008, die im Grund nichts anderes ist als eine große Umverteilungs-Krise, bei der den Staaten und Kommunen die Gelder entzogen werden. Das schlägt sich auch im Leipziger Haushalt nieder – in wegbrechenden Finanzierungen durch den Freistaat, abschmelzende Förderungen, einschneidende Kürzungen.
Mittlerweile macht sich die rigide Rentenpolitik der Bundesrepublik bemerkbar, die die Zahl der Rentner, die auf soziale Hilfen angewiesen sind, drastisch ansteigen lässt. Was wiederum als Kostenblock im Stadthaushalt landet. Was nicht nur ostdeutsche Kommunen an den Rand der Finanzierbarkeit treibt. Dasselbe Problem haben längst auch Kommunen in NRW. Ob der Appell der Grünen an die schwarz-gelbe Landesregierung freilich fruchtet, ist eher fraglich. Erst am 21. September hat der zuständige Minister für Wirtschaft und Arbeit, Sven Morlok (FDP) auf den Thüringer Vorstoß für einen flächendeckenden Mindestlohn mit einer deutlichen Absage reagiert.

Das wäre eine “De-Industrialisierungskampagne des Ostens”, sagte er der LVZ. “Ein Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde würde dazu führen, dass Ost-Unternehmen in Westdeutschland nicht mehr konkurrenzfähig wären.” Löhne sollten durch die Tarifparteien geregelt werden. “Der Staat sollte sich da heraushalten.”

Ja, wenn er es nur täte. Aber er subventioniert zahlreiche Billigbranchen ja erst und zwingt Arbeitsuchende mit Sanktionen dazu, auch solche subventionierten Jobs mit Entlohnungen weit unter dem Existenzminimum zu akzeptieren. Es ist der Staat selbst, der hier als Förderer des Lohndumpings am Pranger steht.

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Am 13. September hatte das Statistische Bundesamt aktuelle Zahlen zur Armutsgefährdung vorgelegt: Danach liegt der Anteil der armutsgefährdeten Menschen in Sachsen bei 19,6 Prozent, also deutlich niedriger als in Leipzig. Bundesweit haben 15,1 Prozent der Menschen weniger als 60 Prozent des Mittleren Einkommens (Median) der Gesamtbevölkerung zur Verfügung und gelten damit als armutsgefährdet. Auch die sächsische Arbeiterwohlfahrt erhob daher erneut ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn und warnt vor einer sich verfestigenden Kinder- und Familienarmut.

“Jeder fünfte Sachse ist armutsgefährdet”, sagte bei der Gelegenheit Margit Weihnert, Vorsitzende der AWO. “Aber diese desaströse Zahl kommt nicht von ungefähr. Wir wissen längst, dass 23 Prozent der Beschäftigten in Sachsen unterhalb eines existenzsichernden Stundenlohns arbeiten. Sachsen hat damit den zweithöchsten Anteil Geringverdienender bundesweit.”

Im Freistaat müsse man sich endlich von einer verfehlten Niedriglohnstrategie verabschieden: “Arm trotz Arbeit darf nicht sein. Wer Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können. Wir fordern daher die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, damit der Wettbewerb über gute Produkte und nicht über Hungerlöhne geführt wird”, so Weihnert.

Das Armutsrisiko über prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne sei nur eine Seite der Medaille. “Gleichzeitig erleben wir eine Verfestigung und Vererbung von Armut durch fehlende Bildungschancen und Perspektivlosigkeit”, warnte die Verbandsvorsitzende. “Unsere Familienberatungsstellen betreuen manchmal bereits die dritte Generation. Menschen, die seit der Wende nicht mehr in Arbeit gefunden haben, junge Erwachsene, die ihre Eltern nie haben zur Arbeit gehen sehen, im sächsischen Schulsystem scheiterten oder in den mageren Ausbildungsjahren nicht berücksichtigt wurden und nun selbst Kinder haben.”

Personell besser ausgestattete Kindertageseinrichtungen, mehr Familienbildung und ein sozialer Arbeitsmarkt für Menschen mit großen Vermittlungshemmnissen können aus Sicht der AWO wichtige Instrumente zur gegen Armutsvererbung und Perspektivlosigkeit sein. “Dafür braucht es aber den politischen Willen”, so Weihnert.

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