Im Vorfeld der Stadtratswahlen in Leipzig werden wahrscheinlich viele Wahlkampf-Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien geführt. Wir fanden es interessant, bei einigen Stadträtinnen und Stadträten, die ihre erste Legislaturperiode im Stadtrat hatten, nachzufragen, wie sie diese erlebt haben.

Erste Frage: Du bist der Stadtrat, du bist berufstätig. Erzähl uns mal ein bisschen was über dich.

Ich bin Getu Abraham, aktuell 56 Jahre alt. Ich bin ursprünglich aus Äthiopien zum Studium, kurz vor der Wende 1989, nach Leipzig gekommen. Ich habe hier in Leipzig nach dem Deutschkurs Veterinärmedizin studiert, bin Tierarzt geworden und habe dann nach dem Abschluss meiner Tierarztausbildung an der Universität viele Jahre geforscht.

Wesentlich über Arzneimittel bei Tieren und klinischer Pharmakologie, beim Pferd und so weiter. Dann bin ich Hochschullehrer geworden und Professor in der Veterinär-Pharmakologie und bin seit geraumer Zeit in der Veterinärmedizinischen Fakultät Universität Leipzig tätig.

2019 hast du dich zur Stadtratswahl aufstellen lassen. Was hat dich dazu bewogen?

Ich habe über viele Jahre soziale Projekte gemacht und war in Vereinen aktiv, mich hat immer ehrenamtliche Tätigkeit interessiert. Ich habe ein Projekt in Äthiopien zur Förderung der Bildung von Kindern. Das ist der Weg aus der Armut dort. Ich saniere und baue Schulen in Äthiopien, selbst durch Spendengelder aus Leipzig und auch von Freunden. Und über die Jahre ist es mir so gewachsen, dass ich der Gesellschaft hier in Leipzig, meiner zweiten Heimat, etwas zurückgeben möchte.

Ich habe mich 2016 entschieden, in eine Partei einzutreten. Ich überlegte, was war für mich wichtig: Gerechtigkeit, Chancen, Gleichheit und Solidarität. Ich habe dann die SPD ausgesucht und bin 2016 in die Partei reingekommen. Und ein, zwei Jahre danach habe ich überlegt, wie kannst du da mitwirken? Wie kannst du in der Gesellschaft etwas tun? Ich wollte nicht nur Mitglied werden, sondern selbst aktiv werden. Ich habe ziemlich leise gesprochen und gesagt, ich würde etwas hier in der Gesellschaft machen und wurde gefragt, ob ich vielleicht für den Landtag kandidieren wolle.

Das war mir zu hoch, und ich habe gesagt, ich würde eher etwas in der Nähe mit Menschen machen. Ich verbringe ja viel Zeit mit Studenten und auch mit anderen Menschen, also lieber kommunal und habe gesagt, ich könnte mich dafür engagieren, für den Stadtrat zu kandidieren. Und wichtig war für mich der Zusammenhalt der Menschen, die Solidarität und auch einfach was tun, machen, zuhören, für die Menschen aktiv sein.

Das war mein Motto und da habe ich tatsächlich 2019 kandidiert und bin glücklicherweise in den Stadtrat gekommen.

Als du dich aufstellen lassen hast, hattest du ja bestimmt ein paar Vorstellungen, was du in Leipzig ändern würdest und dann bist du mit der Stadtratsrealität konfrontiert worden. Was machst du im Stadtrat konkret, wo liegen deine Schwerpunkte?

Ich hatte, um ehrlich zu sein, keine Vorstellung zuvor, was ich tun würde, wenn ich gewählt werden würde. Damals hat meine Frau sogar gesagt: Du wirst sowieso nicht gewählt, also mach dir nicht so viele Gedanken. Aber ich bin doch reingekommen, da müsste ich mir auch Gedanken machen, was ich tun kann für die Menschen und die Stadt.

Mich hat immer interessiert, zunächst einmal kennenzulernen, wie die Gesellschaft hier funktioniert bzw. wie der Stadtrat überhaupt funktioniert. Ich habe ein bisschen Zeit gebraucht dafür. Bildungsthemen haben mich interessiert, also Hochschulbereich, die Stadtentwicklung und auch Umweltthemen, da ich auch im Fachbereich Toxikologie und Giftstoffe tätig bin.

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Diese Themen haben mich interessiert und ich wurde dann mit der Realität kurze Zeit später konfrontiert. Wie man bestimmte Themen, die einen interessieren, auch in der Realität durchsetzen kann, wie sich mit anderen Parteien Kooperationen zu solchen Themen danach umsetzen lassen.

Zu Beginn waren einige Sachen nicht so einfach, aber im Laufe der Zeit habe ich auch gelernt, dass Dinge eigentlich nur funktionieren, wenn man miteinander redet, und zwar vernünftig.

Und da bin ich soweit tatsächlich zufrieden. Ich kann für Menschen nach wie vor etwas tun. Ich bin unterwegs, auch individuell, aber auch in Gruppen mit Menschen, nicht nur im Stadtrat zu verschiedenen Themen. Für mich persönlich würde ich nicht sagen, ich will mich nur um Straßenverkehr kümmern, sondern auch im Kunstbereich und im Kulturbereich interessieren mich Themen. Mich interessieren auch einzelne Probleme der Menschen und da tue ich tatsächlich etwas.

Ich weiß aus eigener Erfahrung: Stadtratsarbeit ist ja ganz viel Papierarbeit, sprich Akten, Eigenvorschläge, Verwaltungsstandpunkte und so weiter. Wenn man es wirklich noch in Papier machen würde, wäre es ein riesengroßer Berg. Wie viel Zeit setzt du ungefähr für die Stadtratsarbeit ein?

Ja, das ist tatsächlich nicht wenig Zeit, die darauf verwendet wird. Ich hatte zu Beginn tatsächlich richtig viel Aufwand getrieben, weil ich noch in Papierform gearbeitet habe. Ich wollte erstmal das System verstehen, wie was geschrieben wird, welche Inhalte, welche Formen. Da habe ich tatsächlich ein halbes Jahr gebraucht und in elektronischer Form ging es dann tatsächlich besser, die Dinge systematisch zu bearbeiten.

Und was ist relevant, was ist nicht relevant, das musste man erstmal auch auseinanderdividieren. Ich brauche mindestens 10 bis 20 Stunden pro Woche für die Stadtratsarbeit, zumal das eine ehrenamtliche Aufgabe ist. Mag sein, dass viele das als einen normalen Job sehen, aber ich bin ja berufstätig und habe Familie und ich habe ein Hobby, ich bin Läufer und dafür braucht man Zeit.

Da kommen wir jetzt gleich zum nächsten. Du bist ja berufstätig, wie wir schon festgestellt haben. Was sagten, in deinem Falle, die Universitätsleitung oder Institutsleitung, was sagten deine Kolleginnen und Kollegen und natürlich die Familie dazu, dass du dich ehrenamtlich politisch engagierst, unabhängig erstmal von welcher Partei?

Ja, erstens war es die Bewunderung, dass man sich für so etwas engagieren kann. Aber viele hatten wirklich keine Vorstellung, was das bedeutet. Also reale Lebensarbeit. Ich werde von der Universitätsleitung tatsächlich unterstützt als jemand, der sich aus dem Bereich der Universität auch für Bildung und Hochschule und auch für jüngeren Menschen in der Stadt Leipzig engagieren kann. Ich kriege gute Unterstützung auch vom Rektorat.

Und ich habe auch tatsächlich versucht, den Leuten zu erklären: Was könnte man machen, also damit sie selbst aktiv werden? Das ist immer meine Motivation, Leute dahin zu bewegen, dass sie sich beteiligen. Es gibt ja manche, die stört, dass die Straße zu eng wird oder zu breit wird. Und ich sage denen, dass sie selbst auch was realisieren können.

Ich versuche nach wie vor Leute zu motivieren, in die Politik zu gehen, unabhängig von welcher Partei auch immer. Und das sehe ich auch als Aufgabe tatsächlich. Nicht nur Leuten, die in den nächsten 20 Jahre gewählt werden, sondern um neue Leute dazuzugewinnen.

Zur Stadtratswahl dieses Jahr stehen ja nun viele neue Kandidaten. Wenn die dich fragen würden, was würdest du denen mit auf den Weg geben? Was sollen sie machen? Was sollen sie beachten? Was erwartet sie?

Grundsätzlich ist es, zum einen, sehr aufwendig. Zum anderen, man muss auch offen sein für alle Themen. Nicht nur für eins, das ist auch schon gut, aber man muss auch offen sein für andere Themen. Was mich jetzt umtreibt in der letzten Zeit, ist eine grundsätzliche Sache, dass wir eigentlich gewählt wurden oder gewählt werden wollen, um für die Menschen etwas zu tun. Also das heißt, wir müssen mit der Gesellschaft zusammenarbeiten.

Das ist nicht nur Stadtrat, das ist Stadtrat mit der Verwaltung und beide zusammen mit den Wählern. Und da hat für mich auch jeder Stadtrat oder Kandidat die Pflicht, dass er mit den Wählern kommuniziert, auch nach der Wahl. Insofern würde ich mitgeben, dass ein Feedback wichtig ist für die Leute. Es gibt auf der Straße genug Themen, die wir bearbeiten können, also von Fledermaus bis irgendwohin.

Getu, ich danke dir für das Gespräch.

Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes und Interviewer war von 2019 bis zu seinem Rücktritt 2022 selbst für die Piraten Mitglied im Leipziger Stadtrat. Für diese Interview-Reihe fragte er sämtliche dortigen Fraktionen bis auf die AfD an. Die CDU hat bisher auf seine Anfrage nicht geantwortet.

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