Selten zuvor ließ sich Sachsens Verfassungsschutz von der Opposition so vorführen: Aufhänger einer Landtagsdebatte über Strukturen von "Blood & Honour" und "Hammerskins" in Sachsen war die Beantwortung einer Großen Anfrage der Linksfraktion durch Innenminister Markus Ulbig (CDU). Der Minister verließ sich auf den Nachrichtendienst. Dieser wiederum nur auf das, was ihm Neonazis in den vergangenen zwei Jahrzehnten zuflüsterten.

“Blood & Honour”? – “Hat sich nicht als politische Organisation angesehen, sondern vielmehr als Multiplikator der nationalsozialistischen Ideologie mittels Musik.” Das ist für Verfassungsschützer demnach keine politische Arbeit. Die Schlapphüte übertreffen sich in ihrer Analyse sogar selbst. “Für die Führungsmitglieder von ‘Blood & Honour-Sachsen’ war die Ideologie zweitrangig, deshalb wurden keine politischen Treffen beabsichtigt bzw. durchgeführt.” Vielmehr habe die Organisation von Rechtsrock-Konzerten im Vordergrund gestanden. Dass diese Events politische Treffen gewesen sind, wie etwa der investigative Dokumentarfilm “Blut muss fließen” belegt, ist für die Schlapphüte ausgeschlossen. Der Film war übrigens auch in Dresden zu sehen.

Dass am Rande von Nazi-Konzerten über Politik gesprochen wird und haufenweise Straftaten – etwa durch Zeigen des Hitlergrußes – begangen werden, kann den Verfassungsschützern gar nicht entgangen sein. Sofern sie jemals eine solche Veranstaltung besucht haben. Doch warum selber recherchieren, wenn man von willigen Rechtsextremisten für ein paar hundert Euro im Monat Infos erkaufen kann? Aus einigen hundert Euros wurden in manchen Fällen über die Jahre Zehntausende, mit denen Spitzeninformanten – etwa der Thüringer Tino Brandt – das rechte Netzwerk aus der Taufe hoben, das für den Tod von neuen Migranten und einer Polizistin verantwortlich ist.

Nach Enttarnung der Terrorgruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) im November 2011 versprachen hochrangige Innenpolitiker, ja sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf Bund- und Länderebene umfassende Aufklärung des staatlichen Versagens. Rund eineinhalb Jahre später herrscht Ernüchterung. Die Terroristin Beate Zschäpe und vier NSU-Helfer stehen in München vor Gericht. Das Verfahren wird vermutlich noch gut zwei Jahre bis zum erstinstanzlichen Urteil brauchen. Dies war einerseits zu warten. Andererseits gebietet es der demokratische Rechtsstaat, dass neben den Opfern auch die Täter ihre prozessualen Rechte vollumfänglich ausschöpfen dürfen. Gut Ding will Weile haben.

Weit schneller könnten die Aufklärungs- und Evaluierungsprozesse in den betroffenen Bundesländern, namentlich Sachsen und Thüringen, fortgeschritten sein. Doch statt sich endlich mit der Materie zu beschäftigen, etwa durch die Lektüre journalistischer und sozialwissenschaftlicher Fachliteratur, verlässt sich Innenminister Markus Ulbig offensichtolich auf dasselbe Personal, dass den sächsischen Verfassungsschutz zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko für die Demokratie hat werden lassen.

Derzeit belässt es der Minister bei Symbolpolitik. Behördenchef Reinhard Boos musste letzten Sommer gehen. Diesen Monat folgte sein Vize Olaf Vahrenhold. Der neue Behördenleiter, Gordian Meyer-Plath, spielte im NSU-Komplex als brandenburgischer V-Mann-Führer selbst eine undurchsichtige Rolle. Das Landesamt darf weiterhin V-Leute führen. Also gefährliche Neonazis für ihre “Arbeit” finanziell belohnen und vor Strafverfolgung schützen. Die Grünen-Abgeordnete Eva Jähnigen brachte gestern im Landtag auf den Punkt, was viele engagierte Neonazi-Gegner im Freistaat denken: “Wer sich in der Einschätzung von Blood & Honour auf die Staatsregierung und das Landesamt für Verfassungsschutz verlässt, ist verlassen.”

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