Am Dienstag, 2. Juli, stellten Sachsens Innenminister Markus Ulbig und Landespolizeipräsident Rainer Kann das neue Leitbild "Strategie der sächsischen Polizei" vor. Kern des 15-seitigen Papiers bilden die Strategiefelder "Sicheres Leben", "Kriminalitätsbekämpfung", "Verkehrssicherheitsarbeit", "Prävention" und "Ressourcen". Auch der zunehmenden Bedeutung des Tatorts Internet wird im Kapitel "Cybercrime" deutlich Rechnung getragen. Dafür gab's postwendend Kritik der Opposition. Denn den Grundmangel der sächsischen Polizei behebt das Papier ja nicht.

Aber vielleicht erhöht es ja die Motivation der überlasteten Beamtinnen und Beamten. Jedenfalls glaubt das der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Innenpolitik in der CDU-Landtagsfraktion Christian Hartmann: “Bei dem vorgestellten Strategiepapier handelt es sich um ein von der sächsischen Polizeiführung selbst erarbeitetes Leitbild, das die selbstgesteckten Ansprüche der Polizeiarbeit im Freistaat enthält. Sie soll den Beamtinnen und Beamten Orientierung in ihrer schwierigen Arbeit geben, sich dabei stets an die aktuellen Herausforderungen der Polizeiarbeit in Sachsen ausrichten. Damit gewährleistet die Strategie auch einen Blick in die Zukunft.”

Wenn eine von der Regierung eingesetzte Polizeiführung ein neues Leitlinienpapier erarbeitet, hat das mit “selbstgesteckten Ansprüchen der Polizeiarbeit” noch lange nichts zu tun. Denn umsetzen müssen es die Polizistinnen und Polizisten vor Ort. Nur: Wer nicht da ist, kann nichts umsetzen. Da kann sich die Führung noch so sehr mit hübschen Federn brüsten.

Aber was sagt man, wenn ausgerechnet Grüne und Linke wieder die sichtbare Unterbesetzung der sächsischen Polizei kritisieren?

Hartmann: “Gegentöne ohne konkrete Vorschläge sind ohne jeden Mehrwert. Es handelt sich um ein Leitbild, das sich die Beamtinnen und Beamten selbst gegeben haben. Dies zu kritisieren zollt keinen Respekt gegenüber der Arbeit unserer Polizei.”

Die Beamtinnen und Beamten werden sich ganz bestimmt freuen, wenn sie von den besorgten Bürgern jetzt ganz respektvoll begrüßt werden auf der Straße.

Es ändert aber nichts am Grundproblem.Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Grünen: “Mit dieser Ansammlung von Allgemeinplätzen sind die realen Probleme der Polizei nicht zu lösen. Personalabbau, hohes Durchschnittsalter und Großeinsätze belasten die Polizeibediensteten. Das neue Strategiepapier wirkt nicht motivierend. Es ist ein ‘Laberblatt’ in Hochglanz zur Polizeiarbeit. Alle Aufgaben, die die Polizei hat, sind bereits gesetzlich geregelt.”

Und sie ahnt, dass das schöne Papier jetzt auch noch gegen die Polizisten selbst verwendet werden wird. “Die Ankündigung, dies jährlich fortzuschreiben, ist eine Bedrohung für die Polizeiarbeit”, sagt sie. “Bei der Polizei zählen nicht der schöne Schein, sondern Zahlen und Fakten: Wie lange müssen Bürgerinnen und Bürger warten, bis nach einem Notruf die Polizei vor Ort ist? Ist die Polizei personell und fachlich in der Lage, Computerkriminalität aufzuklären? Konzentriert sie sich auf die wesentlichen Dinge, etwa die Bekämpfung von Rechtsextremismus oder bringt sie ihre ganze Kraft in die Verfolgung von Platzbesetzern ein? Was bewirken ständig neue Auftritte des Innenministers bei Polizeibediensteten, die einen Kollegen nach dem anderen in den Ruhestand gehen sehen und nicht mehr wissen, wie sie die Arbeit übernehmen sollen?”

Und das Hochglanzprodukt hat auch noch sichtbare große Löcher. Jähnigen: “Leitbilder sollten wenigstens vollständig abbilden, was die Arbeit der Polizei leiten soll. Leider fehlt in der sogenannten ‘Strategie’ vieles: Vorschläge zur Erhöhung der Bürgernähe trotz Personalabbaus, Verbesserung der Antidiskriminierungsarbeit, Maßnahmen gegen Rassismus und latenten Rechtsextremismus, interkulturelle Kompetenz der Polizei, Deeskalationsstrategien, Frauen- und Motivationsförderung – diese Punkte werden in der sogenannten Strategie nicht einmal angeführt.”

Der innenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Dr. André Hahn, spricht dann auch gleich mal von einer angeblich neuen “Strategie der sächsischen Polizei”.

“Diesmal war es egal, dass der Innenminister über eine angeblich neue ‘Strategie der sächsischen Polizei’ einmal mehr zuerst die Presse und nicht den morgen tagenden Innenausschuss des Parlamentes informiert hat, denn die inklusive Vorworte gerademal 15 Seiten dünne Vorlage ist nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde”, stellt er fest. “Markus Ulbig und sein immer irgendwie überfordert wirkender Landespolizeipräsident luden also zu einer Pressekonferenz und hatten nichts zu sagen. Eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen, Selbstverständlichkeiten und unkonkreten Absichtserklärungen ist ganz sicher keine Strategie oder ein Handlungskonzept für die sächsische Polizei.”

Was er erwartet hatte, wurde nicht mal erwähnt. “Weder erfolgte die längst überfällige Aufgabenkritik noch eine Revision des geplanten und aus unserer Sicht unverantwortlichen Personalabbaus im Polizeibereich. Echte Schwerpunkte für die Arbeit der Polizei werden nicht benannt. Dass die Beamtinnen und Beamten bei der Polizei auch in Sachsen für Kriminalitätsbekämpfung zuständig sind, ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis”, brummt Hahn. “Und dass auch Prävention zu ihren Aufgaben zählt, ist bekannt; allerdings muss man ihnen dann auch die erforderlichen Mittel und das benötigte Personal zur Verfügung stellen. Doch genau das soll auch jetzt nicht geschehen.”

Für ihn das Fazit aus dieser neuen PR-Aktion in Sachen Schein-Sicherheit: “Das vorgelegte Papier ist so blass wie die beiden Verwaltungsbeamten, die es präsentiert haben. Die Praktiker in der sächsischen Polizei werden einmal mehr die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, und die (nicht zuletzt durch das Hick-Hack um die Besoldungsanpassung) demotivierten Polizistinnen und Polizistinnen sehen leider weiterhin kein Licht am Horizont.”

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