Sachsen darf ab dem 1. Januar 2014 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Dazu hat der Sächsische Landtag am Mittwoch, 10. Juli, erstmals seit der Verabschiedung vor 21 Jahren die Sächsische Verfassung geändert. Insgesamt stimmten 102 von 132 Abgeordneten des Sächsischen Landtages dem "Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen zum Verbot der Neuverschuldung" zu.

Die Aufnahme des Neuverschuldungsverbotes in die Verfassung wurde von den vier Fraktionen CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen eingebracht. Es gab zwar gerade bei SPD, Grünen und Linken auch die Auseinandersetzung über das Vorhaben in den Landesverbänden. Aber ob das, was da am 10. Juli abgestimmt wurde, “eine Sternstunde in der Parlamentsgeschichte Sachsens”, war, wie Steffen Flath, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion, sagte, darf bezweifelt werden. Denn ganz sicher ist eine Politik ohne Schuldenmachen immer die beste Politik. Aber das sollte eigentlich ein politischer und moralischer Maßstab sein, kein Korsett.

Die Verschuldung des Freistaates Sachsen betrug Ende 2012 rund 11,7 Milliarden Euro. Hinzu kommt noch eine implizite Verschuldung aus Pensionsverpflichtungen von rund 10,4 Milliarden Euro sowie ein Gegenwartswert von etwa 9,2 Milliarden aus dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets, formuliert die CDU-Fraktion die mögliche Maximallast, die so nicht eintreten wird. Denn die Pensionsansprüche werden durch den jährlich gefütterten “Generationenfonds” aufgefangen. Und auch die diversen “Anwartschaften” werden über den laufenden Haushalt abgedeckt. Rein faktisch sind nur die 10,4 Milliarden Euro an Krediten. Seit 2006 nimmt Sachsen keine neuen Schulden mehr auf. Gleichzeitig tilgt der Freistaat seitdem jedes Jahr rund 75 Millionen Euro alte Verbindlichkeiten.

Mit der Verfassungsänderung vom 10. Juli ist die Neuaufnahme von Krediten zwar grundsätzlich nicht gestattet, es gibt jedoch einige Ausnahmen: So ist eine Kreditaufnahme im Freistaat Sachsen erst wieder ab einer massiven negativen konjunkturellen Entwicklung möglich. Bei einem Absinken der Steuereinnahmen um drei Prozent oder mehr kann an eine Kreditaufnahme gedacht werden. Diese Kreditaufnahme wäre, bei einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, auf 99 Prozent gedeckelt. Gleiches gilt bei der Ausnahme vom Neuverschuldungsverbot bei Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen. Des Weiteren besteht darüber Konsens, dass sich der Freistaat nicht auf Kosten der Kommunen entlasten will, um das Neuverschuldungsverbot einhalten zu können.

Die Abgeordneten schätzten diese Spielräume augenscheinlich als ausreichend ein. Deswegen bringen wir hier die Statements dazu einfach mal, wie sie nach dieser “Sternstunde” geäußert wurden.

CDU-Fraktionsvorsitzender Steffen Flath: “Damit ersparen wir unseren Kindern und Enkeln nicht nur einen immer weiter wachsenden Schuldenberg, sondern ziehen darüber hinaus die richtigen Lehren aus der europäischen Schuldenkrise.

Die heutige Sternstunde im Parlament kann aber auch ein Meilenstein für die Demokratie werden. Denn die globale Finanz- und Bankenkrise ist in Wirklichkeit eine Schuldenkrise der einzelnen Staaten. Die Verträge zur Währungsunion werden einfach ignoriert. Dieses Verhalten ist eine Fehlentwicklung, die unsere Demokratie gefährden kann. Leider glauben viele sogenannte Experten und Politiker nicht mehr daran, dass wir uns wieder an die vereinbarten Regeln annähern könnten. So wird Vertrauen verspielt. Was wir in Sachsen seit Jahren beweisen und heute in die Verfassung schreiben, ist, dass im Normalfall die staatlichen Aufgaben mit den jährlichen Einnahmen ohne Kredite finanziert werden.”

Marko Schiemann, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion: “Die sächsische Verfassung ist die einzige deutsche Verfassung, die noch nie geändert wurde. Darauf können die Sachsen stolz sein. Jede Verfassung ist das rechtliche Fundament eines Staates. Deshalb sollte man eine Verfassung nicht einfach nach parteipolitischem Kalkül, tagespolitischer Profilierung oder dem allgemeinen Zeitgeist ändern. Deshalb sollte die heutige Änderung kein Tor für weitere Änderungen sein. – Die heutige Verfassungsänderung wird nicht zu Lasten der sächsischen Kommunen gehen. Alle Mehrbelastungen der Städte und Gemeinden sowie der Landkreise, die der Freistaat zu verantworten hat, werden durch das Land ausgeglichen. Auch die Regelungen beim Finanzausgleichgesetz bleiben unverändert. Die Wirkung der Grundrechte in Sachsen wird mit dem heutigen Tag in keiner Weise eingeschränkt. Ich halte die heutige Verfassungsänderung für einen ehrlichen Kompromiss.”

Jens Michel, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion: “Staatsverschuldung ist ein Übel und Betrug an der Zukunft des Landes. Je eher man dem eine verfassungsrechtliche Hürde vorschieben kann, desto besser. Katastrophale Auswirkungen defizitärer Staatsfinanzen wie wir sie derzeit in Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern erleben, kann nur mit geordneten Staatsfinanzen entgegengewirkt werden. – Mit der heutigen Verfassungsänderung geben wir der Zukunft Sachsens einen verfassungsrechtlichen Finanzrahmen. Er zeigt klar eine Stopplinie auf. Mit dem Neuverschuldungsverbot machen wir den Freistaat wieder ein Stück zukunftsfester. Aber besonders sorgen wir verfassungsrechtlich für Stabilität und schließen Notmaßnahmen à la Griechenland aus.”Dr. Liane Deicke, Mitglied der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag aus Nordsachsen: “Ich habe dem Neuverschuldungsverbot zugestimmt, weil ich einen handlungsfähigen Staat haben will. Soziale Gerechtigkeit, gute Bildung und nachhaltiges Wachstum gibt es nicht auf Pump. Nicht neue Schulden, sondern ein fairer Lastenausgleich und ein gerechtes Steuersystem müssen die Basis eines starken Staates sein. – Uns ist es in den monatelangen Verhandlungen gelungen, notwendige Ausnahmeregelungen festzuschreiben und einen Schutzschirm über die sächsischen Städte und Gemeinden zu spannen. Wir gehen den Weg solider Finanzen und eines handlungsfähigen Staates. Das ist gut für die Menschen und das Land.”

Holger Zastrow, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Mit der Verankerung des strengsten Neuverschuldungsverbotes in der Bundesrepublik und der verfassungsrechtlichen Festschreibung des Generationenfonds für künftige Pensionslasten der Beamten übernehmen wir Verantwortung für die Zukunft des Landes Sachsen. Wir vererben unseren Kindern und Enkeln echte Gestaltungs- und Handlungsspielräume anstatt Schulden. – Wer auch immer unser Land in 10, 20 oder 30 Jahren regiert: Er wird sich andere Konzepte als Schuldenmachen einfallen lassen müssen – so wie es CDU und FDP auch getan haben, als wir mitten in der weltweiten Finanzkrise vor drei Jahren gegen erhebliche Widerstände eine Milliarde Euro sparen mussten, um keine neuen Schulden aufzunehmen.”

Antje Hermenau, Vorsitzende der Grünen-Fraktion: “Ein überschuldeter Staat ist der Spielball der Märkte. Das haben einige immer wieder beobachten können – in Sachsen nicht so sehr, aber in anderen Ländern innerhalb der Eurozone besonders dramatisch. Ein überschuldeter Staat kann nicht für seine Bürger da sein. Um sich als Staat, eben auch als Freistaat Sachsen, von den Finanzmärkten so weit wie möglich unabhängig zu machen, muss man die Demokratie und das Zukunftsvertrauen der Gesellschaft stärken. Das ist eine Stütze für die gesellschaftliche Stabilität. Darauf kommt es in diesen Zeiten an. – Deshalb ist es wichtig, wenn man die Schuldenbremse einführt, dass man weiß, dass die Verteilungskämpfe in der Gesellschaft für die vielen politischen Wünsche, die in der Gesellschaft existieren, härter werden. Diesen Prozess zivilisiert zu gestalten, ist die Aufgabe einer reifen Demokratie. Diese Aufgabe hat das sächsische Parlament heute Nachmittag hoffentlich bestanden.

Ich höre hier immer Aussagen wie: Wir sind Vorreiter in Deutschland, wir haben eine besondere Position. Das klingt immer ein wenig nach dicker Lippe. Ich wäre da außerordentlich vorsichtig. Das kann sehr schnell in Angeberei ausarten. Wir haben mit der Regelung, die wir vorgeschlagen haben, sicherlich eine verbesserte moralische Position oder Basis für eine Verhandlungsoption, wenn es um den Länderfinanzausgleich geht, der nach der Bundestagswahl das nächste große Thema im Finanzbereich in Deutschland sein wird. (…) Ich habe gelesen, dass jemand sagte, die Schweizer hätten das Glück gehabt, die Schuldenbremse vor der Finanzkrise einzuführen. Nun, wir führen sie vor dem Auslaufen der speziellen Aufbau-Ost-Förderung ein. Es möge Segen darauf liegen!”

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke: “Der stattgefundene Beratungsablauf war leider oft nicht von angemessenem Respekt gegenüber der Bedeutung des Themas getragen. Das bedauere ich sehr, weil meine Fraktion ohnehin den größten kulturellen Kraftakt zu stemmen hatte. Und es ist immerhin die erste Änderung der Verfassung seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1992. – Mir geht es um den Gesetzestext selbst, der sinngleich mit dem Dokument der Verständigung ist, unter das ich am 1. Februar meine Unterschrift gesetzt habe und für das ich dann in Fraktion und Partei geworben habe. (…) Ich will auch heute nicht um den heißen Brei der Schuldenbremse herumreden.

Wir sind und bleiben Gegner der Schuldenbremse im Grundgesetz, deren ungeachtet Kanzlerin Merkel gerade mit allerlei Wahlversprechen um sich wirft. Wir sind und bleiben Gegner einer neoliberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Europa in den letzten Jahren an den Rand des Abgrundes geführt hat. Und wir sind und bleiben Gegner einer konservativen Doppelmoral in Sachsen, wo die Staatsregierung erst die Landesbank im Spekulationssumpf versenkt, einen Milliardenschaden verursacht und sich hinterher mit dem Thema “Neuverschuldungsverbot” als Hüterin solider Finanzpolitik aufspielt. – Deshalb konnten wir Ihnen auch nicht ersparen, sich heute noch in einer aktuellen Debatte mit den Folgen des Zusammenbruchs der Sachsen Landesbank beschäftigen zu müssen. Immerhin wurde für die Abwicklung des Milliardenschadens auf Steuerzahlerkosten die erste Bad Bank Deutschlands gegründet. Ich glaube nicht, dass diese Leistung heute noch irgendjemanden mit Stolz erfüllt.

Es gehört zum Wesen von Verhandlungen, dass jeder anders rausgeht, als er hineingegangen ist. Die Koalition wollte ein hartes Neuverschuldungsverbot – das wird es nicht geben. Es wird auch künftig Kredite geben können, nicht nur im Katastrophenfall, sondern auch wenn dies aufgrund von erwarteten Steuerausfällen notwendig ist. Wir sollten allerdings alle gemeinsam weniger über Staatskredite und mehr über Staatseinnahmen sprechen. Ich weiß, dass der kleinere Regierungskoalitionspartner auf diesem Ohr taub ist, aber es hilft nichts, wenn wir bei der Aufstellung öffentlicher Haushalte künftig weitgehend auf Kredite verzichten wollen, dann brauchen wir für die Finanzierung des Gemeinwohls neue Geldgeber.”

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