Die orangene Revolution, ein boxendes Brüderpaar und eine bezopfte Politikerin im Gefängnis. Und sonst so? Eher negative Schlagzeilen in den deutschen Medien prägen das Bild, kaum detaillierte Betrachtungen einer der jüngsten Demokratien im östlichsten Nachbarland der EU findet Jelena V. Hoffmann, sächsische Honorarkonsulin der Ukraine. Die ehemalige SPD-Abgeordnete im Bundestag möchte dies anlässlich des 22. Geburtstages der Ukraine ein wenig ändern, wagt einen Ausblick auf die Zukunft des 45-Millionen-Staates und das zukünftige Verhältnis zur EU in einem Gastkommentar.

Wenn ich mich als Honorarkonsulin der Ukraine vorstelle, höre ich oft: das ist doch das Land, wo da eine Politikerin mit dem Zopf, -wie hieß sie gleich?- im Gefängnis sitzt? Oder: das ist doch ein Teil von Russland? Einige, die schon fast alles wissen, bitten mich zu erklären, wo die Grenze zwischen der West- und der Ostukraine verläuft (die es gar nicht gibt). Ah ja, die Brüder Klitschko, die Boxer, die sind doch auch aus der Ukraine, aber sie wohnen schon in Deutschland oder?

Viel über die Ukraine in Deutschland wird nicht berichtet, und dann, meist negativ. Warum auch, wenn in der deutschen Osteuropapolitik gilt: “Russia first”. Die Ukraine, seit 22 Jahren ein unabhängiger Staat mit z.Zt. etwa 45 Mio. Einwohnern, ist der östliche Nachbar der Europäischen Union. Das Jahr 2013 kann für das Land ein Schicksalsjahr werden: im November dieses Jahres wird über die Unterzeichnung des Assoziierungs- und Handelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine in Vilnius entschieden.

Wenn die Unterzeichnung erfolgt, wird endlich der Zerrissenheit zwischen dem “Westen” und dem “Osten” ein Zeichen gesetzt, wird klar, dass die Ukraine eine westeuropäische Entwicklung konsequent verfolgt.

Leicht hat es die Europäische Union dem Land mit einer langen europäischen Geschichte, die durch die Jahrhunderte lange Beziehungen mit Russland geprägt ist, nicht gemacht. Auch die letzte Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens seitens der EU – die Freilassung von Julia Timoschenko – scheint angesichts der ganzen Geschichte um die frühere Politikerin und einer der treibenden Kräfte der s.g. Orangenen Revolution, eher merkwürdig, als berechtigt. Die Erarbeitung von Regeln, Kriterien und Forderungen einer Zusammenarbeit mit der Europäischen Union hat der Ukraine viel abverlangt, doch die ukrainische Regierungen, egal welcher Farbe und geographischen Vorlieben, haben stets die europäische Ausrichtung des Landes unter Beweis stellen können.

Die EU könnte man jedoch manchmal verdächtigen, alles gemacht zu haben, um die Ukraine von sich zu weisen. Und das restriktive Visumsregime, das vor allem von der deutschen Politik verfolgt wird, könnte als Beleg dazu dienen.

Russland dagegen hat permanent versucht, die Ukraine einerseits für die intensive Zuwendung der ukrainischen Politik in Richtung Westens zu bestrafen (u.a. durch den höheren Preis des russischen Gases für die Ukraine und den Transit nach Europa oder den Bau der Nordpipeline), anderseits an sich zu binden, aber in der Manier des großen stärkeren Bruders, der mit Druck und diktatorischen Methoden die “Liebe” des Kleineren erzwingen will. Die Junktimierung des Beitrittes der Ukraine zur Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan und der Neuverhandlung des überhöhten Erdgaspreises ist das beste Beispiel dafür. Die verschärften langandauernden Grenzkontrollen für sämtliche ukrainischen Güter in jüngster Zeit deuten viele Beobachter als Schikane und als Reaktion des Kremls auf die bevorstehende Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union.

Es ist an der Zeit für die EU und vor allem für Deutschland, zu erkennen, dass die Strategie “Russia first” falsch ist, dass die Ukraine mehr Aufmerksamkeit bekommen muss.

Weil die Ukraine, zwischen Moldawien, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen, Weißrussland und Russland liegend, nicht nur ein wunderschönes Land mit vielen gut ausgebildeten Menschen und von der Fläche her um etwa 40% größer als Deutschland ist, mit faszinierenden Landschaften in den ukrainischen Karpaten und am Schwarzen Meer, mit schönsten Kirchen in der Hauptstadt Kiew und im ganzen Land, mit über 7.000 Flüssen und Bächen. Die Ukraine ist für uns in Deutschland, in Europa ein wichtiger strategischer Partner mit vielen Ressourcen, Wirtschaft und Wissenschaft und ist eben unser Nachbar, dem man auch helfen muss, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme zu überwinden.

Es wäre auch gut, wenn Sachsen den Partnerstädten, wie Leipzig (mit Kiew), Zwickau (mit Volodimir Volynsky) und Radebeul (mit Obuchow) folgen würde und die partnerschaftlichen Beziehungen zu solchen wirtschaftlich starken Regionen in der Ukraine, wie Charkiw oder Donetzk aufbauen würde.

Das Land ist jung, gerade 22 Jahre alt geworden. Ich gratuliere.

Internetseite von Jelena V. Hoffmann
www.jelena-hoffmann.com/start/

Konsulat der Ukraine (Berlin)
germany.mfa.gov.ua/de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar