Nachhaltiger Hochwasserschutz fängt schon damit an, dass man die kostengünstigsten Varianten sucht und nicht einfach losbaut nach dem Prinzip "Erstmal technischer Schutz für Menschen, Häuser, Infrastrukturen - dann der Rest". Denn dieser technische Schutz ist die teuerste Variante. Sie versucht das schützenswerte Gut erst da aufwändig zu schützen, wo es direkt bedroht ist. Er entspannt die Hochwasserlagen nicht, sondern versucht, die Maximalpegel zu "bekämpfen".

Das ist in Sachsen in letzter Zeit jetzt schon zwei Mal schief gegangen. Auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) stellte in seiner Reaktion auf die Flutfolgen fest, dass man sich mit solchen technischen Lösungen nicht gegen alle Hochwassergefahren wappnen könne.

Erst recht, wenn die Hochwasserextreme von dem deutlich abweichen, was Jahrhunderte lang die Norm war, definiert dann als ein Extremhochwasserereignis pro Jahrhundert – HQ100. Nun waren aber sowohl 2002 als auch 2013 Hochwasserereignisse, die die sächsischen Verantwortlichen in die Kategorie HQ150, teilweise sogar HQ200 einsortierten. Die Wassermenge, die binnen kürzester Zeit einige Flüsse hinabdrängte, übertraf die für ein HQ100 berechnetes Volumen teilweise um 30 bis 50 Prozent. Da helfen auch keine immer teureren technischen Bauten mehr. Da ist auch der Wasserdruck auf die Deiche so hoch, dass es nur noch eine Frage des Ortes und der Zeit ist, wo sich dieser gewaltige Wasserdruck entlädt.

Da Sachsen nach 2002 seine ganze Kraft in die Verstärkung der Deiche gesteckt hat, hat sich dieser Druck 2013 nicht in Sachsen, sondern im flussabwärts gelegenen Sachsen-Anhalt entladen und dort für zusätzliche Schäden in Milliardenhöhe gesorgt.

Aber auch Sachsen, das verglichen mit dem benachbarten Bundesland, noch halbwegs glimpflich davonkam, vermeldete nach dem Juni-Hochwasser Schäden in Höhe von 2 Milliarden Euro. Unter anderem auch, weil mit Meißen und Grimma wieder zwei historische Altstädte direkt betroffen waren. Die gewaltigen Investitionen in den technischen Hochwasserschutz haben also keineswegs die teuren Folgeschäden in Sachsen verhindert.

Die Grüne-Landtagsabgeordnete Gisela Kallenbach aus Leipzig hat die Sächsische Staatsregierung nach der Juni-Flut auch gefragt, wofür ab 2002 die sächsischen Hochwassergelder tatsächlich ausgegeben wurden. Innenminister Markus Ulbig hat die Zahlen nun genannt. Für Hochwasserschutz und “nachhaltige Hochwasserschadensbeseitigung” an der Elbe und den Gewässern 1. Ordnung hat der Freistaat Sachsen seit 2002 insgesamt 1,55 Milliarden Euro ausgegeben. Der Löwenanteil – über 92 Prozent – floss in den klassischen Hochwasserschutz, in neue oder größere Deiche, Sperrwerke usw.Die wichtigste Lehre aber aus dem Hochwasser von 2002 – den Flüssen mehr Raum zu geben, um gerade an den bedrohten Städten am Fluss den Druck aus dem kanalisierten Gewässer zu nehmen, – wurde schon bei der ersten Überarbeitung der Prioritätenliste von 2003/2004 über Bord geworfen. Die Größe der zu planenden Rückhalteflächen schrumpfte von 7.500 auf rund 1.300 Hektar. Und während die technischen Schutzbauwerke die Prioritätenliste anführten und seitdem auch konsequent (auch mal mit Tricks wie in Leipzig mit dem “Tornadoerlass”) umgesetzt wurden, wurden selbst von den geplanten Überschwemmungsflächen und Deichrückverlegungen nur 141 Hektar umgesetzt. Weitere sind zwar in Planung, aber nur eine wird “vorzeitig” begonnen.

Entsprechend niedrig sind auch die Summen, die in diesen tatsächlich nachhaltigen Teil des Hochwasserschutzes geflossen sind: 115 Millionen Euro oder – wie Markus Ulbig ausrechnet – 7,4 Prozent vom gesamten Paket. Er verweist auch auf das geänderte Hochwasserregime in den sächsischen Talsperren, in denen für Hochwasserereignisse Staukontingente bereitgehalten werden.

Aber auch diese Zahlen zeigen die starre Fixierung auf möglichst viel technischen Schutz am Ende der Ereigniskette – und im Grunde einen fahrlässigen Umgang mit den Hochwassern oberhalb der gefährdeten Städte. Sachsen hat eine echte Chance verpasst, sich für künftige Hochwasserereignisse tatsächlich nachhaltig zu wappnen. Denn der allgemeine Temperaturanstieg auf der Erde bedeutet eben auch, dass die warmen Luftmassen deutlich größere Wassermengen transportieren können als in vergangenen Jahrhunderten. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Hochwasser vom Kaliber HQ150 oder HQ200 in relativ kurzen Abständen gibt, hat sich deutlich erhöht.

(Was dann natürlich dazu führt, dass diese HQ150 oder 200 herabgestuft werden, weil sie ja häufiger auftreten als nur aller 150 oder 200 Jahre. Dann heißen diese Extremereignisse vielleicht sogar HQ10 oder HQ20.)

Und was bei den vielen Hochwasserschutzprojekten tatsächlich eklatant fehlt, ist die sinnvolle Koordinierung vor Ort. Die Verstärkung der nördlichen Deiche an der Neuen Luppe hat 11 Millionen Euro gekostet, obwohl sowohl die südliche als auch die nördliche Burgaue im Hochwasserschutzkonzept der Stadt Leipzig als Polder vorgesehen sind – als gesteuertes Überflutungsgebiet im Hochwasserfall. Jeder der beiden Polder kann kurzzeitig um die 10 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen.

Das Geld wäre also für eine Ertüchtigung der Polder nachhaltiger und sinnvoller angelegt gewesen.

Für den Schutz der Stadt Leipzig wäre auch die geplante Freilegung der Alten Elster wichtiger gewesen. Was in einer ähnlichen Dimension kosten wird, denn diese Maßnahme soll mittelfristig genauso umgesetzt werden wie der Überlauf von der Weißen Elster zur Neuen Luppe (und dann in die südliche Burgaue), um Hochwasser der Parthe abzufangen. Aber die starre Fixierung auf den technischen Hochwasserschutz (und die damit verbundene Panikmache in den direkt betroffenen Orten) hat eine wirklich nachhaltige Gestaltung des sächsischen Hochwasserschutzes verhindert. Und es sieht leider auch nicht so aus, dass man gewillt ist, aus dem Juni-Hochwasser 2013 etwas zu lernen.

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